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Michael Schlecht

Europa-Skepsis – woher kommt die nur?

Von Michael Schlecht, MdB und wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE

Die Europa-Wahl steht vor der Tür und die Regierenden vor einem Problem: Laut den letzten Umfragen haben nur noch 32 Prozent aller Befragten "eher Vertrauen" in die EU. Vor der Euro-Krise Ende 2009 waren es noch 48 Prozent. Da liegt der einfache Gedanke nahe: Der Vertrauensschwund hat etwas mit der Politik in der Euro-Krise zu tun. Doch das sieht die Bundesregierung ganz anders.

Wie will Kanzlerin Angela Merkel die Menschen wieder an die EU heranführen? Durch ein neues "Leitbild", das die Bürger "wieder für dieses Projekt begeistern soll". Die CDU fordert "eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion" sowie eine "Stärkung der europäischen Institutionen". Außerdem "muss Europa bürgernäher werden", so Merkel.

Vielleicht aber sollte die Bundeskanzlerin mehr zuhören. Denn dann würde sie merken: Den Menschen fehlen keine "neuen Leitbilder", sondern Geld. Und die Stärkung der EU-Institutionen bringt ihnen auch keine Jobs.

Die Zahlen des Euro-Barometers sind eindeutig: Je schlechter die Wirtschaftslage in einem Land, umso EU-skeptischer sind die Menschen. So sind 76 Prozent der Griechen der Ansicht, ihre Stimme zähle nicht in der EU. In Portugal, Spanien und Italien teilen mehr als 70 Prozent diese Meinung, in Deutschland dagegen nur 44 Prozent.

Bei den Sorgen der Menschen stehen Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Lage einsam an der Spitze. Erst weit hinten folgen "Einwanderung" und "Kriminalität" - die beiden Sorgen, von denen die rechten Parteien schmarotzen wollen.

Warum sollten die Griechen auch von Europa "begeistert" sein - seit dem Land 2010 unter der Führung der Bundesregierung ein Rettungsring aus Blei übergeworfen wurde, ist die Wirtschaftsleistung um ein Drittel eingebrochen, der Reallohn ging um ein Viertel zurück. Rund 40 Prozent der Menschen geben an, dass ihr Einkommen nicht zur Deckung ihrer Ernährungsbedürfnisse reicht.

In Spanien liegt die Arbeitslosigkeit seit langem über 25 Prozent, bei den Jugendlichen sind zweidrittel ohne Job. In den vergangenen vier Jahren mussten laut Schätzungen fast eine halbe Million Familien ihre Wohnungen und Häuser verlassen, weil sie zwangsgeräumt wurden. Profiteure: die Banken, an die die Häuser fallen. Danke Europa?

In Portugal liegt der Mindestlohn heute mit 535 Euro in realer Rechnung 50 Euro unter dem Niveau von vor 30 Jahren. Die Zahl der Beschäftigen, die Tarifverträge durchsetzen können, ist auf ein Drittel des Vorkrisenwertes gesunken. Das rettet den Euro?

Irlands Staatsverschuldung ist von 30 auf über 120 Prozent der Wirtschaftsleistung explodiert. Denn unter Druck der EU musste die Regierung die riesigen Schulden der irischen Pleitebanken von 64 Milliarden Euro voll auf den irischen Steuerzahler übernehmen.

In Italien hat die Caritas in den vergangenen vier Jahren ein Drittel mehr Lebensmittelpakete ausgegeben als zuvor. Frankreich hat sich bislang dem Kürzungswahn erwehren können. Doch der Widerstand bröckelt. Unter deutschem Druck, der über die EU vermittelt wird, sind Regierungen in Paris und Rom gerade dabei massive Kürzungen und Verschlechterungen am Arbeitsmarkt durchzusetzen. Nach dem Motto: Am deutschen Wesen soll Europa genesen. Da kommt bei Italienern und Franzosen so richtig Freude auf.

Die von der Bundesregierung durchgedrückte Kürzungspolitik hat Millionen Menschen verarmt und die Wirtschaft über Jahre hinaus geschädigt. Da ist es kein Wunder, dass das Vertrauen in die EU schwindet und die hohle EU-Kritik der rechten Parteien anschlägt - als ob "Weniger Brüssel" schon Jobs und Einkommen schaffen würde!

Es muss endlich Schluss gemacht werden mit dem Wettbewerbsfähigkeits- und Kürzungswahn. Statt eines "neuen Leitbildes" braucht Europa ein Investitionsprogramm von 600 Milliarden Euro pro Jahr, um den Kontinent wieder auf die Beine und die Menschen in Arbeit zu bringen. Da Europas Millionäre mehr als 14 Billionen Euro haben, kann mit einer europaweiten Vermögensabgabe auch das Geld für ein Investitionsprogramm beschafft werden.

So wird's auch wieder was mit Europa.