Gemeinsam für einen wirklichen, mutigen sozialen und ökologischen Kurswechsel kämpfen
Rede von Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei DIE LINKE, beim Politischen Jahresauftakt 2021
Liebe Genossinnen und Genossen, bevor ich zu unserem wirtschaftspolitischen Aufschlag komme, lasst mich noch wenige Sätze zu den Ausschreitungen in den USA sagen. Bei aller berechtigten Kritik und Empörung über Trump, aber auch über das Verhalten der Polizei, die gegenüber Linken oder der BLM-Bewegung anders aufgetreten wären, darf nicht verharmlost werden, welches Kalkül dahinter steckt. Es geht Trump und seinem Umfeld um die Orientierung der Republikanischen Partei radikal nach rechts. Um die jederzeit abrufbare Mobilisierung auch gewaltbereiter Massen. Um einen dauerhaften Kampf gegen demokratische Institutionen und damit um einen autoritären Kapitalismus. Längst gibt es diese Bewegung auch in Europa und Deutschland. Sie ist international, skrupellos und machtbewusst. Sie hat eine breite gesellschaftliche Basis, die durch die vielfältigen sozialen und wirtschaftlichen Krisen und ideologisch genährt wird. Der Kampf gegen die Rechte und ihren Nährboden wird eine Daueraufgabe linker Politik. Das Ringen um eine soziale und gerechte Wirtschaftsordnung gehört dazu.
Liebe Genossinnen und Genossen, das alte Jahr endete mit dem alles dominierenden Thema der Pandemie und beginnt mit einer Verschärfung des Lockdowns. Wir kritisieren die Bundesregierung nicht dafür, dass sie eine Überlastung der Krankenhäuser verhindern will. Wir kritisieren sie dafür, dass der soziale Schutzschirm bei Weitem nicht ausreichend ist, dass die notwendigen Maßnahmen zur Einschränkung von Kontakten nur die Freizeit der Menschen und die Familien treffen, während der Infektionsschutz am Arbeitsplatz zu kurz kommt. Nach fast einem Jahr Pandemie wurden immer noch nicht ausreichend Pflegekräfte eingestellt.. Hier erleben wir ein Spahn-Versagen und ein Markt-Versagen: der Pflegenotstand hält an, Krankenhäuser kommen in finanzielle Schwierigkeiten.
Die Regierung hält an der gescheiterten Orientierung an Markt und Wettbewerb fest – obwohl sie Leben kostet und Gesundheit gefährdet. Es hat sich über deutlich gezeigt: Der Markt regelt nichts. Wir müssen den Markt regeln.
Es ist auch skandalös, dass Konzerne staatliche Hilfsgelder bekommen und Dividenden auszahlen. Dass Hilfen an Konzerne an keinerlei Bedingungen zur Sicherung von Arbeitsplätzen und Klimaschutz geknüpft werden. Die Regierung schaut tatenlos zu, wie die Coronakrise von vielen Konzernen und Unternehmen missbraucht wird für massive Kostensenkungen zu Lasten der Beschäftigten. Die Beschäftigten in Branchen wie Gastronomie, Handel, Veranstaltungsdienstleistungen und Kultur werden. im Stich gelassen. Wer zum Mindestlohn arbeitet, kommt mit 60% Kurzarbeitergeld nicht über die Runden. Hunderttausende von Existenzen werden aufs Spiel gesetzt, um die Renditen hoch zu halten. Die Erwerbslosenzahlen sind bereits um 500 000 angestiegen. Wir brauchen höheres Kurzarbeitergeld von 90 Prozent für die Beschäftigten, die durch den zweiten Lockdown besonders bedroht sind, in der Gastronomie, im Handel, in den Bereichen, wo es keine Zuzahlungen gibt und die Löhne ohnehin niedrig sind. Es verschärft die soziale Kluft, wenn Millionen Menschen mit 60/67 Prozent nicht mehr über die Runden kommen. Das Gleiche gilt für Minijobber, Studenteninnen und Studenten sowie Soloselbständige. Außerdem muss der Mindestlohn sofort auf 12 Euro und danach auf 13 Euro erhöht werden.
Die ständigen Appelle der Kanzlerin an die Solidarität der Bevölkerung werden zum Missbrauch dieses schönen Wortes, wenn die konkreten Entscheidungen nicht zu einer solidarischen Gesellschaft führen. Ja sogar die soziale Spaltung vertieft wird. Die Bundesregierung tut so, als könnte nach der Pandemie einfach wieder der alte Zustand herbeigeführt werden. Sie hat keine Antwort auf die miteinander zusammenhängenden Krisen unserer Zeit. Noch schlimmer: Sie setzt auf gescheiterte Rezepte. Unser wirtschaftspolitischer Aufschlag für einen sozialökologischen Weg aus der Krise ist eine klare Alternative zum Kurs der Regierung.
Er verbindet sofortige Antworten auf die Pandemie und die soziale Krise, den dringend notwendigen Umbau zu einer emissionsfreien Wirtschaft, mit dem, was jede Wirtschaftsordnung leisten sollte: gute Löhne, sichere und sinnvolle Arbeitsplätze, dem Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge und einer zukunftsfähigen Infrastruktur Vorrang geben. Und wir machen einen überzeugenden Vorschlag für eine gerechte und faire Finanzierung. Wir werden mit aller Kraft dagegen kämpfen, dass die Kosten und Folgen der Krise auf die Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentner- und Rentnerinnen abgewälzt, während die Superreichen noch reicher werden.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir wollen mit unserem Sofortprogramm die Weichen für eine bessere Zukunft für alle stellen. Dazu gehört ein ambitioniertes öffentliches Investitionsprogramm. Wir wollen ein krisenfestes, starkes Gesundheitssystem. Statt Fallpauschalen eine bedarfsgerechte Finanzierung. Krankenhäuser dürfen keine Profite machen und gehören in öffentliche Hand. Mit der Gründung einer bundesweiten Beteiligungsgesellschaft würde die Rückführung der bereits privatisierten Einrichtungen in öffentliches Eigentum unterstützt. Es wird höchste Zeit, dass ein Fonds im Bundeshaushalt eingerichtet wird, um die Grundgehälter in der Pflege um 500 Euro anzuheben. Wann begreift dieser Gesundheitsminister, dass eine Aufwertung der sozialen Berufe nicht mit Klatschen und schönen Reden zu haben ist. Wir kämpfen für starke Kommunen, die in der Lage sind, den Ausbau des ÖPNV, eine Senkung der Fahrpreise, Investitionen in öffentlichen und sozialen Wohnungsbau und eine gute Daseinsfürsorge finanzieren können. Dazu müssen sie durch einen Altschuldenfonds entlastet werden.
Kernstück einer ökologischen und sozialen Verkehrswende ist der Ausbau des ÖPNV, der Bahn und der Fahrradwege. Mehr Mobilität mit weniger Auto-Verkehr und Staus. Ohne dieses Kernprojekt wird der Klimaschutz auf der Strecke bleiben. Der Ausbau von ÖPNV und des Schienenverkehrs schafft mindestens 200 000 gut bezahlte Klima freundliche Industrie- Arbeitsplätze. Umsteuern heißt auch: es muss aufhören, dass der öffentliche Sektor und die öffentlichen Dienstleistungen nur als Anhängsel der privaten Wirtschaft betrachtet werden. Im Gesundheitssektor arbeiten 6 Millionen Beschäftigte, in der Personenbeförderung über 400 000, in Bildung und Erziehung 2,4 Millionen. Sie zahlen alle Steuern und Sozialbeiträge, kaufen beim Einzelhandel ein. Jede Investition in diese Bereiche beschäftigt zusätzlich HandwerkerInnen, Bauarbeiter, Reinigungskräfte. Der Soziologe Wolfgang Streek bezeichnet jene Sektoren als Fundamentalökonomie, die umso mehr zum gesellschaftlichen Wohlstand beitragen, je weniger sie nach kapitalistischen Prinzipien organisiert sind und funktionieren. Diese Fundamentalökonomie muss ausgebaut werden. Dort können auch bis zu 2 Millionen weitgehend emissionsfreie Arbeitsplätze geschaffen werden. Dass die Bundesregierung an der unsinnigen Schuldenbremse festhält, ist ausgerechnet in Zeiten von günstiger Kreditaufnahmen durch Negativzinsen ein ökonomisch absurder Hemmschuh auf diesem Weg.
Liebe Genossinnen und Genossen, den Ausbau des öffentlichen Sektors verbinden wir mit einem dringend notwendigen sozialökologischen Umbau der Industrie, der die Grundlage für emissionsfreies Wirtschaften und für sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze bildet. Der Grundgedanke dieses linken Green New Deal: Die Beschäftigten dürfen nicht vor die Entscheidung gestellt werden, dass sie entweder ihren Arbeitsplatz verlieren oder die Zukunft ihrer Kinder und Enkel aufs Spiel setzen. Deshalb müssen alle staatlichen Hilfen an Arbeitsplatz- und Standortsicherheit und an die Einhaltung von Tarifverträgen geknüpft werden. Wir fordern einen Transformationsfonds über mindestens 20 Mrd. Euro pro Jahr. Damit soll der Umbau insbesondere der Autozulieferer, unterstützt werden. Gerade hier haben wir es mit häufig kleineren und mittleren Betrieben zu tun, die aus eigener Kraft kaum in der Lage sind die Transformation zu bewältigen. Hier geht es nicht um klassische Wirtschaftshilfe sondern um den Umbau der Industrie.
Viele Beschäftigte wissen, dass sich in der Industriestruktur viel ändern muss. Sie haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Kosten von jedem Umbau aus ihren Taschen und auf Kosten ihrer Lebensqualität bezahlt werden. Das muss bei dieser Transformation anders sein.
Wir brauchen ein Weiterqualifizierungsgeld mit Einkommensgarantie von 90 Prozent für zwei Jahre, um die Umstellung auf neue Technologien zu begleiten. .Das darf nicht ins Belieben der Unternehmen gestellt werden, die regelmäßig versäumen, die Beschäftigten rechtzeitig zu qualifizieren. Außerdem müssen die Fachhochschulen und Universitäten für Beschäftigte aus Industrie und anderen Bereichen geöffnet werden.
Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe keinerlei Verständnis dafür, dass Standorte geschlossen oder verlagert werden, die in Jahrzehnten von den Belegschaften aufgebaut wurden, nicht von den Managern, nicht von den Aktionären. Für höhere Profite können mit einem Federstrich Tausende von Menschen ihre Existenzgrundlage verlieren. Deshalb fordern wir eine Erweiterung der Mitbestimmung. Bei Standortschließungen, Verlagerungen und massivem Stellenabbau muss es ein Vetorecht der Betriebsräte geben.
Es ist skandalös, dass Betriebsräte z.B. beim Daimler mit Investitionsentscheidungen zu Zugeständnissen erpresst werden sollen. Deshalb wollen wir Wirtschafts- und Sozialräte einrichten, die zum Einstieg in besonders betroffenen Regionen am ökologischen Umbau der Wirtschaft beteiligt werden. Dazu braucht es einen Zukunftsplan, der für die CO2 freie Industrieproduktion bis 2035 sorgt und mit Arbeitsplatz- und Einkommensgarantien für die Beschäftigten verbunden ist. Unter Beteiligung von Belegschaften, Gewerkschaften, Wissenschaft, Umwelt- und Sozialverbänden. Wir leben im 21. Jahrhundert. Es wird Zeit für Einstiege in die Wirtschaftsdemokratie.
Die Arbeitslosigkeit wird steigen, wenn nicht gegengesteuert wird. Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung von Arbeit können Entlassungen verhindern. Das zeigen jetzt schon betriebliche Regelungen zur Vier-Tage-Woche. Es ist zynisch, wenn für hunderttausende die Arbeitszeit auf Null gefahren wird, während andere Überstunden machen. Deshalb fordern wir die politische Unterstützung für betriebliche und tarifliche Regelungen der Gewerkschaften zur Arbeitszeitverkürzung. Sie kann mit Weiterbildung verbunden werden. Auch kurzfristig brauchen wir Lohnausgleich. Deshalb sollte ein Solidarfond zur Finanzierung aufgelegt werden, in den Unternehmen einzahlen und aus dem Unternehmen, die in der Krise sind bei der Arbeitszeitverkürzung unterstützt werden.
Liebe Genossinnen und Genossen, all das ist finanzierbar. Durch eine Streckung der Schuldentilgung auf 50 Jahre, durch eine Vermögensabgabe ab einem Nettovermögen von 2 Millionen Euro zwischen 10 und 30 Prozent. Die jährliche Belastung betrüge gerade mal zwischen 0,1 und 1,5 Prozent, wenn die Rückzahlung auf 20 Jahre gestreckt wird. 320 Mrd. Mehr könnten eingenommen werden. Das wäre ein guter Einstieg in eine dauerhafte Vermögenssteuer von 5 Prozent für Reiche und Superreiche. Wer akzeptiert, dass der Club der Superreichen in der Pandemie sein Vermögen von 420 Mrd. Euro auf über 500 Mrd. Steigern konnte, während Millionen Menschen starke Einkommensverluste hinnehmen müssen, kann das Wort gerecht nicht für sich in Anspruch nehmen. Lidl-Eigentümer Dieter Schwarz hat während der Pandemie sein Vermögen um 11,1 Mrd. vermehrt, die Aldi Brüder ihres um 5 Mrd. während die Beschäftigten immer noch keinen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag haben. Wer das akzeptiert, dem stehen die Reichen näher als die Frauen im Niedriglohnsektor!
Liebe Genossinnen und Genossen, kämpfen wir gemeinsam für einen wirklichen, mutigen sozialen und ökologischen Kurswechsel. Ermutigen wir die Menschen für ein System einzutreten, in dem die Wirtschaft für die Menschen da ist.
Danke für eure Aufmerksamkeit.