Geschlossen und Entschlossen in 2018
Neujahrsrede zum Jahresauftakt der Partei DIE LINKE 2018 von Bernd Riexinger
Ich begrüße euch herzlich!
Ich hoffe, ihr hattet erholsame Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr.
Ich starte mit Optimismus ins neue Jahr. Wir haben eine Bundestagswahl hinter uns, bei der wir dazu gewonnen haben. Und wir wachsen. Wir haben im letzten Jahr 8500 neue Mitglieder gewonnen. Die Mehrheit dieser neuen Mitglieder ist unter 35, im Westen sind wir sogar die jüngste Partei. Kapitalismuskritik ist wieder in bei jungen Leuten und das ist gut so. Diese neue linke Generation wird eine wichtige Rolle spielen in der Auseinandersetzung darüber, in welche Richtung sich diese Gesellschaft entwickelt. Sie entscheidet mit darüber, ob wir irgendwann mit einem deutschen Trump aufwachen und ob der Kapitalismus wirklich das Ende der Geschichte sein kann.
Viele Neueintritte heißt auch: Unsere Partei verändert sich und erneuert sich.
Über unsere neuen Mitglieder und auch über unsere Wählerinnen und Wähler geistern manchmal seltsame Bilder durch die Diskussion: Manche haben Sorgen, dass wir zur Hipster-Partei werden. Und dass wir den Kontakt zur ArbeiterInnenklasse verlieren würden. Dabei wissen wir doch: die ArbeiterInnenklasse besteht nicht nur aus weißen Männern im Blaumann. Natürlich sind die wichtig und wir wollen uns dort gut verankern. Wie gerade bei der Unterstützung des Streiks der IG Metall oder der Beschäftigten bei Siemens. Aber was wir gerade erleben ist nicht, dass wir als Partei „die Arbeiterklasse“ verlieren, sondern wir erleben, dass unterschiedliche Teile dieser Klasse zur LINKEN kommen. Und das ist eine Riesenchance!
Die ArbeiterInnenklasse heute setzt sich völlig anders zusammen als noch vor 30 Jahren. Sie ist weiblicher, arbeitet häufiger im Dienstleistungsbereich und in prekären Beschäftigungsverhältnissen als früher. 50 Prozent eines Jahrgangs machen Abitur, fast so viele studieren. Trotzdem sind oder werden sie in ihrer überwiegenden Mehrheit lohnabhängig Beschäftigte und viele werden es schwer haben, den Lebensstandard ihrer Eltern zu halten, werden oft in prekärer Beschäftigung arbeiten. Wenn wir uns anschauen, wer neu in DIE LINKE eintritt, dann sind es oft Beschäftigte in Pflege und Gesundheit, Erziehung, Beschäftigte im Einzelhandel, Bürokaufleute, Elektriker, Köche, Informatiker. Das ist ein ganz guter Schnitt durch die ArbeiterInnenklasse.
Spannend ist dabei, sich die Interessen unserer neuen Mitglieder anzuschauen: die größte Rolle spielen soziale Themen, einschließlich Arbeit, Mieten, Gesundheit. Auch ganz wichtig sind ihnen: Steuern und Finanzen, Ökologie und Klimaschutz und Antirassismus, Solidarität mit Geflüchteten. Das umreißt unsere Aufgaben ganz gut!
Traditionell galt die Sozialdemokratie als Partei der abhängig Beschäftigten und die Grünen als Partei des sozialökologischen Umbaus und des Klimaschutzes. Inzwischen hat die SPD die Agenda2010 gemacht und die Grünen haben nicht nur das sozial aus sozial-ökologischem Umbau gestrichen, sie werden auch zur Partei der Automobilindustrie, halt mit „Elektro“ davor.
Hier liegt Potenzial für DIE LINKE und Herausforderung. Ich sage es ganz deutlich: Wir sind keine Ersatz-SPD und werden auf keinen Fall eine liberale grüne Partei! Wir sagen den Grünen ganz klar den Kampf an: wir werden die Partei des sozialen und ökologischen Umbaus dieser Gesellschaft sein. Euer Monopol ist vorbei.
Wir machen Politik für die Mehrheit der Beschäftigten, für die ArbeiterInnenklasse in ihrer Vielgestaltigkeit und mit ihren durchaus unterschiedlichen Arbeits- und Lebenslagen – vom Bauarbeiter bis zur Verkäuferin, von der prekär lebenden Solo-Selbständigen bis zur frei schaffenden Künstlerin, von der Pflegekraft über die befristet beschäftigte Wissenschaftlerin bis zum Facharbeiter und Ingenieur in der Industrie. Wir verbinden die verschiedenen Millieus der Beschäftigten solidarisch, die auch die soziale und die ökologische Frage stärker verknüpft. Das ist das Zukunftskonzept für eine moderne LINKE Partei mit klarer Klassenorientierung auf der Höhe der Zeit.
Klassenpolitik auf der Höhe der Zeit heißt auch, ansprechen, was alle angeht: dass Arbeit nicht krank machen darf, dass die Arbeit ums Leben kreist und nicht umgekehrt, dass die Miete nicht arm machen darf, eine gute und gleich gute Gesundheitsversorgung, für alle eine auskömmliche Rente. Verbindende Politik funktioniert aber nicht nur über richtige Forderungen oder Medienbotschaften. Es braucht eine verbindende und organisierende Praxis. Wir haben gesehen, dass wir bei Erwerbslosen weniger Prozente bekommen. Auch im Osten haben wir fast überall Stimmen verloren. Ich sage: Das bearbeiten wir nicht durch markige Sprüche oder durch eine Verschiebung unserer Positionen. Als Linke werden wir niemals die Erwerbslosen, die prekär Beschäftigten und Menschen in den sozialen Brennpunkten aufgeben! Seit letztem Jahr laufen die ersten Modellprojekte in einkommensarmen Nachbarschaften. Viele Genossinnen und Genossen in den Kreisverbänden gehen regelmäßig vor die Jobcenter und an die Haustüren und hören den Menschen zu, machen Angebote zur Organisierung im Kampf gegen Sanktionen, Niedriglöhne, Verdrängung und steigende Mieten. Wir wollen als Partei sichtbar sein im Alltag der Menschen, wir laden sie ein, sich selbst zu organisieren und mit uns aktiv zu werden!
Wir sind eine aktive Mitgliederpartei, die vom Engagement der vielen tausend Mitglieder lebt. Das ist unsere Stärke. Wir sind eine Partei in Bewegung!
Deswegen werden wir die Kampagne für mehr Personal und bessere Löhne in der Pflege fortsetzen und eine Kampagne für bezahlbare Mieten starten. Deswegen sind wir aktiv in den Initiativen gegen steigende Mieten und unterstützen diese aktiv im Stadtteil und im Parlament.
Über 3000 Beschäftigten bei Siemens wird mit Entlassungen der Boden unter den Füßen weggezogen. Und das zum Großteil in sowieso schon strukturschwachen Regionen in Ostdeutschland – und obwohl der Betrieb Profite schreibt. Dieses Wirtschaftssystem opfert die Leute, die die Betriebe aufgebaut haben. Und das Schlimme ist: weder Union noch die SPD haben einen Plan dafür, wie diese Umbrüche so gestaltet werden können, dass am Ende nicht wieder die Beschäftigten die Zeche zahlen. Für uns als LINKE ist klar: Wer Gewinne macht, darf nicht entlassen!
Im Grundgesetz steht: Der Gebrauch des Eigentums ist dem Gemeinwohl verpflichtet. Daran müssen wir erinnern. Und deswegen geht es nicht nur um ökologischen Umbau, die Wirtschaft muss auch demokratischer werden.
Wenn die größte Industriegewerkschaft, die IG Metall, die 28-Stundenwoche für Menschen mit Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen fordert und dafür streikt, ist das ein wichtiges Signal. In vielen Teilen der Gesellschaft ist angekommen, dass wir so nicht weiterarbeiten können: abgehetzt und im Dauerstress die einen, unterbeschäftigt die anderen, kaum Zeit für Kinder, Pflege, Freunde. Wir brauchen eine neue, mutige Arbeitszeitpolitik. Wir sagen den Kolleginnen und Kollegen: Alles Gute! Zwei Jahre sind ein Anfang, und wir wollen noch viel weiter! Wir streiten für ein neues Normalarbeitsverhältnis, eine kurze Vollzeit für alle mit Lohnausgleich und mehr Personal. Damit Arbeitszeitverkürzung nicht zu Arbeitsverdichtung und mehr Stress führt!
DIE LINKE wird immer die Partei der sozialen Gerechtigkeit sein und es wird Zeit, und wir werden auch den sozialen ökologischen Umbau vorantreiben. An vielen Stellen stocken die politischen Lösungsvorschläge. An der Dieseldebatte war es gut zu sehen: Wo war denn der naheliegende Vorschlag, in allen belasteten Städten sofort den ÖPNV kostenfrei zu machen? Dann würde sofort die Hälfte der Pendler auf umweltfreundliche Verkehrsmittel umsteigen, Fahrverbote wären überflüssig. „Ja, aber“, heißt es dann, „der ÖPNV kann das ja gar nicht leisten und was wird dann aus der Automobilindustrie“? Das bringt die Probleme ganz gut auf den Begriff: das Öffentliche wird nicht nach Bedarf ausgebaut, obwohl das natürlich auch Arbeitsplätze schaffen würde. Die Strukturen der Wirtschaft gelten als unantastbar. DIE LINKE will: 1. Ein Neues Normalarbeitsverhältnis mit Umverteilung der Arbeit und guten Löhnen, 2. Den „sozialen Lohn“ wie das in Italien früher hieß: Einen Infrastruktursozialismus – das ist zumindest mein Begriff – also gut ausgebaute öffentliche Dienstleistungen und Daseinsvorsorge, die nach Bedarf organisiert ist. Die gesellschaftlichen Strukturen die sicherstellen, dass alle gut und sicher leben - und kulturell so leben können wie sie wollen. Dafür brauchen wir 3. Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, um breite Investitionen in die Zukunft zu finanzieren. Dieser Dreiklang steht für eine verbindende Klassenpolitik.
Wir sollten den eingeschlagenen Weg der Erneuerung fortsetzen. Unsere Positionen sind gut, aber wir ruhen uns darauf nicht aus. Und es gibt durchaus einiges zu klären. Es ist nicht unüblich, dass es in unserer Partei an wichtigen Punkten unterschiedliche Auffassungen gibt – lassen wir uns nicht erzählen, dass das vor allem persönliche Auseinandersetzungen sind. Dahinter liegen inhaltliche Fragen, die wir durchaus kontrovers und offen diskutieren sollten, aber in einer sachlichen und solidarischen Auseinandersetzung.
Als Parteiführung haben wir auch die Aufgabe, eine geordnete, solidarische und konstruktive Diskussion in der Partei zu ermöglichen. Das tun wir in den nächsten Wochen mit einer Reihe Regionalforen, wo wir inhaltlich und zur Frage, wie verstehen wir unsere Partei, wie wollen wir Politik machen, diskutieren werden. Denn so ist es bei der LINKEN: die Positionen werden von den Mitgliedern gemacht.
In den nächsten Jahrzehnten steht nicht weniger als die Zukunft der Demokratie auf dem Spiel. Ein „weiter so“ bedeutet ein zunehmend vergiftetes gesellschaftliches Klimas, eine weitere Rechtsverschiebung. Während die SPD sich anschickt, eine Verlängerung der Ära Merkel zu ermöglichen, bereiten sich ja Teile der Union bereits auf die Zeit nach Merkel vor – und selbst ein Kurs auf AfD-blau, wie in Österreich, ist nicht mehr ausgeschlossen. Es braucht eine Partei wie uns, die dagegenhält.
Ich bin überzeugt: Wir brauchen ein umfassendes, inklusives Verständnis von Solidarität. In der Geschichte hat sich immer gezeigt: wenn wir zulassen, dass die Rechte und die Lebensbedingungen von einigen Menschen verletzt werden, setzt das eine Abwärtsspirale für alle in Gang. Unsere Aufgabe ist es, klar zu machen, dass die Vorstellung „wenn die was kriegen, ist für uns nichts mehr übrig“ nicht richtig sein muss. Denn wir können gemeinsam für mehr kämpfen. Die Vorstellung, die Ärmsten würden unseren Wohlstand bedrohen und nicht die Reichsten, ist falsch. Und Reichtum ist teilbar. Unsere Solidarität umfasst dabei alle, die von den Verhältnissen des Neoliberalismus betroffen sind, von Geflüchteten über Erwerbslose und Rentner bis zu den unterschiedlichen Gruppen der Beschäftigten.
Den Kampf gegen rechts können wir nur gewinnen, wenn wir es schaffen, den sozialen Nährboden des Rechtspopulismus durch eine sozial gerechte Politik auszutrocknen. Wir zeigen klare Kante gegen Rassismus und klären auf. Wenn die AfD in den Betrieben zu Wahlen antritt, treten wir ihnen mit den Kolleginnen und Kollegen in den Gewerkschaften entschlossen entgegen. Grundlegende soziale Veränderungen können wir derzeit nicht mit dieser Sozialdemokratie - und gleichzeitig absehbar nicht ohne eine veränderte Sozialdemokratie durchsetzen. Und es funktioniert nicht in erster Linie über Medien. Natürlich müssen wir verstärkt konkrete Angebote machen an unzufriedene SozialdemokratInnen, Grüne, an Menschen die sich in Gewerkschaften, sozialen, antirassistischen Initiativen, in ihrer Nachbarschaft oder für globale Gerechtigkeit engagieren. Angebote an bestimmten Punkten wie beim Kampf um bezahlbare Mieten oder beim Thema Abrüstung, beim Kampf gegen rechts gemeinsam mit uns Druck zu machen.
Es geht aber nicht darum, zu werden wie die alte oder die neue Sozialdemokratie. Als LINKE haben wir ja einen anderen Kern, eine weiterreichende Perspektive: wir finden uns nicht mit einer Gesellschaftsordnung ab, die alle menschlichen Interessen und die Zukunft des Planeten dem Profitstreben unterordnet. Wir wollen ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell, das echte Demokratie in der Gesellschaft und in der Wirtschaft verwirklicht.
Wenn wir das aufgeben für eine irgendwie geartete Sammlungsbewegung – für die ich ehrlich gesagt wenig Begeisterung auch aus den Reihen von Sozialdemokratinnen, Grünen oder Gewerkschaften höre – dann laufen wir Gefahr, dass die Linke geschwächt wird. Es war nach 2012 keine kleine Arbeit, die tiefen Gräben in der Partei zuzuschütten und uns gemeinsam auf einen guten Weg zu bringen.
Es hat die ersten Jahre unseres Vorsitzes geprägt. Wir alle haben anderes zu tun, als damit wieder von vorn zu beginnen. Statt zu sammeln, was derzeit nicht gesammelt werden will, sollten wir doch gemeinsam daran arbeiten, die LINKE zu stärken. Denn die LINKE ist eine durchaus erfolgreiche Sammlungsbewegung, die Potential hat, weiter zu wachsen und stärker zu werden. Gerade in Zeiten der Krise der Sozialdemokratie, die mit dieser neuen GroKo sicherlich nicht zu Ende sein wird.
Liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns geschlossen und entschlossen in ein Jahr mit zwei Landtagswahlen gehen und uns auf die Europawahl vorbereiten.
Wir gehen da rein mit klarem Profil an der Seite der Erwerbslosen und der Beschäftigten, mit umfassender Solidarität statt Ellenbogengesellschaft. Mit einer Kampfansage an das Europa der Superreichen und Konzerne - und für soziale Gerechtigkeit, für Abrüstung und konsequente Friedens- und Entspannungspolitik, für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit!