Große Koalition als Club der Märchenerzähler
Statement des Bundesgeschäftsführers und Bundeswahlkampfleiters der Partei DIE LINKE, Dietmar Bartsch, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus
An diesem Wochenende hat sich die Große Koalition erneut als Club der Märchenerzähler präsentiert. Frei nach dem Motto "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Sozialste im ganzen Land?" versuchen die Parteien, sich zu überbieten in Dingen, die in besonderer Weise sozial sind. Am bizarrsten aus ist die anhaltende Diskussion um die Pendlerpauschale. Lassen Sie mich darauf noch einmal eingehen.
Zunächst will ich daran erinnern, dass die Kürzung der Pendlerpauschale eine Entscheidung der Großen Koalition war. CDU/CSU und SPD waren sich - gegen den deutlichen und erklärten Widerstand meiner Partei – einig, die Kilometerpauschale seit Jahresbeginn erst ab dem 21. Kilometer zu gewähren. Wir haben das immer wieder scharf kritisiert. Jetzt nehmen wir mit großem Interesse zur Kenntnis, dass neun Landesverbände der SPD und die CSU die Pendlerpauschale ab dem 1. Kilometer wieder haben wollen, mehrere CDU-Politiker fordern das auch. Und ich kann wirklich nur klar und deutlich feststellen: All jene wollen offensichtlich die Menschen verklapsen! Denn ein parlamentarisches Verfahren kann – wenn überhaupt – erst nach der Sommerpause im September beginnen. Davor ist gar nichts möglich, weil Gesetze in Deutschland nun Mal vom Deutschen Bundestag gemacht werden. Es ist also gar nicht möglich, hier eine Veränderung bis zum bayerischen Wahltermin herbeizuführen. Offensichtlich wird hier in der Sommerpause versucht, ein soziales Profil zu zeigen, was in der Praxis nicht stand halten kann.
DIE LINKE hat allerdings bereits vor der Sommerpause einen entsprechenden Antrag in das parlamentarische Verfahren eingebracht. Und ich freue mich jetzt schon darauf, wenn unser Antrag "Pendlerpauschale ab dem 1. Kilometer" im September im Bundestag zur namentlichen Abstimmung steht. Denn all diejenigen, die heute lauthals verkünden, sie wöllten eine Rückkehr zur alten Pendlerpauschale, also die Abgeordneten der SPD aus besagten Landesverbänden und der CSU, werden ja dann wohl zustimmen. Wir können uns in dieser Frage auch auf die FDP verlassen - dann wird es ja im Deutschen Bundestag eine Mehrheit für unseren Antrag geben. Wir brauchen dann nicht erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes abwarten. Ich bin sehr gespannt auf die Entscheidung im Deutschen Bundestag.
Dieser Vorgang erinnert auch ein bisschen an das Märchen vom "Hase und Igel". Die SPD versucht mit sozialen Themen – ein aktuelles Beispiel ist auch das Thema soziale Energiepreise – verlorene Wählergunst zurückzugewinnen. Auch zu "sozialen Energiepreisen" gab es von der LINKEN im Bundestag einen Antrag. Wir können wie so oft sagen: Wir sind schon da. Auch hier scheint es für andere Energiepreise eine Mehrheit im Deutschen Bundestag zu geben. Ich kann mich nur wundern, wie hier in der Sommerpause versucht wird, Themen zu setzen, ohne dass diese dann praktische Relevanz bekommen.
Der Geschäftsführende Parteivorstand hat sich heute zum ersten Mal mit dem Entwurf der Wahlstrategie für die Wahlen des nächsten Jahres befasst. Wir haben große Einigkeit in der Zielsetzung, dass wir nicht die politische Farbenlehre sondern die Politik in diesem Lande verändern wollen. Unser Kernthema bleibt die soziale Gerechtigkeit in seiner Vielfalt. Da geht es beispielsweise um gesetzlichen Mindestlohn, um soziale Energiepreise, um Gesundheitspolitik, da geht es um die Stärkung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber dem Kapital und vieles andere mehr.
Unser Ziel ist es, die Achse der Politik nach links zu bewegen. Wir wollen Adresse für die Menschen sein, die sich enttäuscht von der Politik abgewandt haben, weil ihre existenziellen Fragen von der Politik nicht mehr beantwortet werden. Das heißt im Klartext, dass wir sehr wohl ein Reservoir für uns bei denjenigen sehen, die gemeinhin als Nichtwähler bezeichnet werden. Natürlich werden die Dinge, die DIE LINKE in dieser Legislatur thematisiert hat, im Wahlkampf eine Rolle spielen. Bleibt die Überwindung von Hartz IV und der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan ein wichtiges Thema. Mit großem Interesse sehen wir da den Diskussionen im Herbst im Bundestag entgegen, wenn eventuell auch eine Verlängerung des Mandats über das eine Jahr hinaus zur Abstimmung stehen wird. All das werden wir uns anschauen und mit den Positionen, die wir seit einigen Monaten erarbeitet haben, in die Öffentlichkeit gehen.
Eine Bemerkung sei mir zum CSU-Parteitag gestattet. Für uns ist das, was die CSU gegenwärtig versucht - sich auch als Partei der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gerieren - nicht glaubwürdig. Die CSU hat all jene Entscheidungen, die wir als problematisch ansehen, im Bundestag mitgetragen. Die CSU hat auch der Unternehmenssteuerreform zugestimmt. Und das ist eine Entlastung von 10 Milliarden Euro. Damit hätte man die Pendlerpauschale ab dem 1. Kilometer sehr wohl finanzieren können. Sie wissen, dass die Pendlerpauschale ca. 2,5 Milliarden Euro für den Bundeshaushalt gebracht hat.
Wir werden in Bayern um jede Stimme kämpfen. An diesem Wochenende werden wir auf dem Landesparteitag in Bayern unsere Themen setzen: für ein soziales Bayern, für eine Schule für alle, für Ausbildungsgarantie, für ein weltoffenes Bayern... DIE LINKE hat in Bayern die realistische Chance, in den Landtag einzuziehen.
Eine letzte Bemerkung sei mir zu dem bevorstehenden Besuch von Barack Obama in Berlin gestattet. Ich bin schon einigermaßen erstaunt, wie umfangreich dieser Besuch in der Öffentlichkeit behandelt wird. Ich möchte ausdrücklich vor einer "Obamaphorie" warnen. Also bisher ist Herr Obama Präsidentschaftskandidat und noch kein Präsident. Die Wahlen sind noch nicht entscheiden. Eins ist ziemlich klar: Schlechter als in den beiden letzten Legislaturperioden mit George Bush kann es kaum werden. Aber, wir sind der Auffassung, auch Barack Obama wird - sollte er denn ins Weiße Haus einziehen - vor allem an seinen Taten gemessen werden und nicht an Ankündigungen. Manches, was dort geschildert wird, ist durchaus interessant, anderes ist sehr problematisch. Natürlich begrüßen wir, dass er, wenn er nach Europa kommt, auch nach Berlin kommt. Aber dieser Kampf um den Platz seiner Rede, ist nicht nachvollziehbar. Wir sagen, es ist Zurückhaltung angebracht, was Obama und seine Ankündigungen betrifft. Sollte er ins Amt kommen, werden wir sehen was daraus wird.