In Frankreich entstehen neue linke Parteien
Oskar Lafontaine Gastredner beim ersten Treffen der Parti de Gauche in Saint-Ouen
Um als Sozialist seinen Idealen treu zu bleiben, müsse man die immer mehr nach rechts abdriftende Sozialistische Partei Frankreichs (PS) verlassen. Das war der Gedanke, der das erste Meeting der im Entstehen begriffenen Partei der Linken (Parti de Gauche) beherrschte. Rund 4000 Sympathisanten fanden am Wochenende den Weg in die Sporthalle der Pariser Arbeitervorstadt Saint-Ouen.
»Als mein Abgeordnetenkollege Marc Dolez und ich kürzlich aus der PS austraten, hat uns die Parteiführung prophezeit, dass wir sehr allein sein würden«, rief Senator Jean-Luc Mélenchon aus. »Doch in nur wenigen Wochen sind uns schon tausende enttäuschte und desillusionierte Ex-Sozialisten gefolgt, und täglich werden es mehr«, so der Initiator der neuen Partei der Linken. Sie soll offiziell auf einem Parteitag im Februar gegründet werden. Um Mitglieder wirbt sie nicht nur unter ehemaligen Sozialisten, sondern auch unter linken Grünen, Globalisierungskritikern, Gewerkschaftern und Mitgliedern anderer Vereinigungen, mit denen linke Sozialisten wie Mélenchon schon 2005 bei der Kampagne für ein Nein zur EU-Verfassung eng zusammengearbeitet haben.
Die Partei der Linken habe sich nicht zum Ziel gesetzt, mit der Kommunistischen Partei oder der Neuen Antikapitalistischen Partei zu fusionieren, die der LCR-Sprecher Olivier Besancenont im Januar gründen will. Die hätten ihre eigene Identität, die man respektiere, unterstrich Mélenchon. Aber man wolle mit ihnen beispielsweise schon für die Europawahlen im Juni 2009 eine linke Front bilden und vielleicht sogar gemeinsame Listen aufstellen. Als programmatische Ziele der neuen Partei nannte er eine »Neuordnung der Republik und der Demokratie« mit einer »veränderten Verteilung der Reichtümer zwischen Kapital und Arbeit«, einer »ökologischen Planung«, dem Übergang zu einer »Demokratie des Volkes« und vor allem einer »Abkehr vom neoliberalen Kurs Europas«.
Mélenchon kritisierte scharf die immer stärker reformistischen und in Richtung auf das bürgerliche Zentrum abdriftenden sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien in Westeuropa und betonte, man werde sich die Partei Die Linke in Deutschland und die fortschrittlichen linken Parteien in Lateinamerika zum Vorbild nehmen. Evo Morales, der Präsident von Bolivien, hatte eine herzliche Grußbotschaft nach Paris gesandt, die von der Botschafterin des Landes verlesen und von den Anwesenden mit stürmischen Applaus bedacht wurde.
Mit starkem Beifall wurde dann auch der Gastredner des Meetings in Saint-Ouen, der Co-Vorsitzende der deutschen Partei DIE LINKE, Oskar Lafontaine, begrüßt, den Mélenchon als »Geburtshelfer und Paten« der Parti de Gauche bezeichnete. Lafontaine betonte in seiner Rede, dass zwar die politischen Bedingungen in beiden Ländern nicht die gleichen seien, dass es aber für die Linken durchaus Parallelen gebe. »Wir brauchen eine neue Linke, die faule Kompromisse ablehnt. Wenn die Linke ihre Glaubwürdigkeit verliert, hat sie keine Existenzberechtigung mehr.« Um zu Änderungen zu kommen, müsse die Linke »neu aufgebaut« werden - in Deutschland, in Frankreich und überall in Europa. Unter dem stürmischen Beifall der Anwesenden rief Oskar Lafontaine aus: »Das Beispiel in Deutschland zeigt, dass eine neu organisierte Linke in Europa Veränderungen erreichen kann, indem sie die anderen politischen Kräfte zum Reagieren zwingt.«
Nur unweit entfernt brachte zur gleichen Stunde Jean-Marie Bockel die Konkurrenzpartei Moderne Linke auf den Weg. Der Staatssekretär für Veteranen war nach 34 Jahren PS-Mitgliedschaft im Vorjahr vom Präsidenten Nicolas Sarkozy »abgeworben« worden. So hieß denn auch der Gastredner im Pariser Vorort Suresnes Francois Fillon. Der Premier sagte, die Regierung werde sich weiter »nach links öffnen«. Bockel steht für einen sozialliberalen und proeuropäischen Kurs. Die Moderne Linke zählt laut seinen Angaben vor ihrer Gründung bereits 1000 Mitglieder und 150 Gemeindevertreter.
Neues Deutschland, 1. Dezember 2008