Linkspartei: Zeit für eine Neuausrichtung
Die Europawahlen haben für alle Strömungen in der Partei DIE LINKE die dramatische Verschiebung der politischen Tektonik der Republik deutlich gemacht, die sich seit längerer Zeit abzeichnet.
Angesichts der Nähe zur 5-Prozent-Sperrklausel räumen selbst die hartnäckigsten Optimisten ein: Mit dem katastrophalen Ergebnis wird wie in anderen europäischen Nachbarländern auch die Linkspartei hier vor existenzielle Herausforderungen gestellt.
Die Linkspartei hat es nicht geschafft, mit einem klaren Profil die in den letzten Jahren gewohnte Unterstützung zu erhalten. Bei den wahlentscheidenden Themen Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und Frieden ist die politisch-strategische Gesamtkonzeption mangelhaft gewesen. Die Parteivorsitzende Katja Kipping mahnt zu Recht: »Die Wahlen am 26. Mai sind für uns ein Warnsignal, das wir ernst nehmen müssen. Bei einem Wahlergebnis von 5,5 Prozent müssen wir unsere Strategie und Haltung überprüfen.«
Und die scheidende Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht unterstreicht: Angesichts der Wahlergebnisse und jüngsten Umfragen sei die Existenz-Gefahr für die Partei unübersehbar. »Unsere Partei braucht eine Debatte über ihre Strategie. Natürlich war das Europawahlergebnis alarmierend. Uns sind vor allem die Wähler abhandengekommen, für die wir am meisten da sein müssten: die abstiegsbedrohte Mittelschicht, die Ärmeren, Arbeiter, Menschen in schlecht bezahlten Jobs. Sie sind großenteils auch nicht zu den Grünen, sondern ins Nichtwählerlager oder zu kleinen Parteien abgewandert.«
Alle Strömungen kommen von unterschiedlichen Einschätzung ausgehend zu dem übereinstimmenden Punkt: »Angesichts der bevorstehenden gesellschaftlichen Umbrüche und politischen Veränderung müssen wir als LINKE an einer Stärkung unserer gesellschaftlichen Verankerung und einer Weiterentwicklung unserer Strategie und Kommunikation arbeiten.« Dies gilt umso mehr, als die Aussichten bei den drei kommenden Landtagswahlen im September und Oktober 2019 für die Linkspartei keine Verbesserung versprechen.
In Brandenburg gilt als sicher, dass die AfD mit derzeit 21 Prozent stärkste Partei noch vor SPD (18 Prozent), CDU (17 Prozent) Grünen (17 Prozent) und Linkspartei (14 Prozent) wird. In Sachsen liegt die AfD mit 26 Prozent gleichauf mit der CDU, während die Linkspartei bei 15 Prozent liegt. In Thüringen liegt die Linkspartei mit 24 Prozent vor der AfD (20 Prozent) auf dem zweiten Platz hinter der CDU (26 Prozent) und die rot-rot-grüne Koalition mit Ministerpräsident Bodo Ramelow kämpft um die Verteidigung der Mehrheit.
Eine gründliche Debatte über Strategie und Kommunikation, erst recht eine vorbereitete Konferenz, lässt sich nicht herbeizaubern. Der Zeitdruck zwingt zur Bescheidenheit und der Parteivorstand schlägt zu Recht vor: »In den nächsten Wochen und Monaten gilt es ..., alle Kräfte auf die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen zu konzentrieren und als Partei geschlossen für den gemeinsamen Erfolg zu arbeiten. In allen drei Ländern gilt es, den Einfluss des Rechtspopulismus zurückzudrängen, die Regierungsbeteiligungen in Brandenburg und Thüringen mit dem ersten linken Ministerpräsidenten zu verteidigen.«
Die Konzentration auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen schließt ein, dass der Argumentation der rechtspopulistischen AfD entschieden widersprochen werden muss. Die AfD setzt sich dafür ein, die »nationale Identität, unsere Kultur sowie unsere freiheitliche Lebensform gegen die Verfechter einer multikulturellen Gesellschaft zu verteidigen«. Daher will sie sich in Brandenburg auf preußische Vergangenheit zurückbesinnen und »diese als Vorbild für die erfolgreiche Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft wiederaufleben lassen«.
Wer daran geht, die AfD zurückzudrängen, muss die Verteidigung der demokratischen Erinnerungskultur, die Verteidigung der multikulturellen Gesellschaft, über ein Reformprogramm zur Wiederbelebung der lange vernachlässigten ländlichen Räume (inklusive einer Transformation für die Kohleregion Lausitz) bis hin zu den Fragen von Mindestlöhnen und Mietenstopp linke Reformalternativen plausibel darstellen.
Die AfD Sachsen legt unter dem Titel »Sachsen trau Dich« ein Regierungsprogramm vor, mit dem ein grundlegender Richtungswechsel herbeiführt werden soll. Die Rechtspartei will »Sachsen wieder zu dem machen, was es einmal war: eine stolze, familienfreundliche und sichere Heimat. Eine natürlich gewachsene Heimat, die eine sichere sächsische und deutsche Identität prägt, nicht aber eine künstliche europäische Identität, die es so nicht gibt und nicht geben kann … Dieser Richtungswechsel lässt den gleichmacherischen und bevormundenden Zeitgeist außen vor.« Auch hier sind überzeugende Gegenargumente gefordert, soll der Aufwärtstrend des rechten Populismus gebrochen werden.
Die gegenwärtige Schwäche der Linkspartei wird an der Herausforderung Rechtspopulismus sichtbar, wenn im Wahlkampfmodus der realistische Blick auf die regionalen Verhältnisse unterbleibt und die Kritik sich in Allgemeinplätzen verliert. Bislang sind alternative Konzeptionen und Kommunikationsstrategien nur in Ansätzen vorhanden. Es kommt darauf an, in der verbleibenden kurzen Zeit eine wirksame Kampagne gegen den rechten Populismus zu organisieren.
Die Landtagswahlen in Ostdeutschland im Herbst sind eine wichtige nächste Bewährungsprobe, die für die weitere Zukunft der LINKEN wichtig ist. Angesichts des aktuellen Niedergangs, ja Krise, der Sozialdemokratie ist die weitere Zukunft der Großen Koalition begrenzt. Eine offene Krise der Bundesregierung und vorgezogene Neuwahlen im Bund sind nicht auszuschließen. Auch dies wird sich aller Voraussicht nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland entscheiden.
Es könnte sich daher im nächsten Jahr die Frage stellen, welche politische Konstellation und gesellschaftlichen Kräfte die Nach-Merkel-Ära bestimmen. Um auf diese Entwicklung vorbereitet zu sein, könnte eine selbstkritische Strategiedebatte hilfreich sein. Um in die Auseinandersetzungen eingreifen zu können und linke Alternativen zu stärken, sollte sich DIE LINKE auf eine kritische Gesellschaftsanalyse stützen, sowie auf ein realistisches Reformprogramm, in dem die linken Antworten auf die wesentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen und Umbrüche formuliert sind.
Vor diesem Hintergrund ist die Unruhe innerhalb der Partei einzuordnen, und aus dieser Sicht erklären sich die Forderungen nach einer überfälligen Strategiedebatte. Auch hier sollten sich die Aktiven auf das Machbare konzentrieren. Der Wunsch des LINKEN Parteivorstands, diese Debatte möglichst offen und breit anzulegen, ist verständlich: »Linke Mehrheiten sind nicht die einfache Addition von Wahlstimmen von Parteien ›jenseits der Union‹. Sie können nur entstehen aus gesellschaftlichen Bewegungen, die sich für konkrete inhaltliche Forderungen und Projekte mobilisieren, wie u.a. die Durchsetzung des Mietendeckels in Berlin zeigt. Deshalb schlagen wir vor, die Debatte über ein radikales und realistisches Reformprogramm für den sozial-ökologischen Umbau und den Kampf für linke Mehrheiten in der Partei und darüber hinaus mit Gewerkschaften, Bewegungen, Verbänden und Initiativen zu führen.«
Diese Konzentration auf die Ausarbeitung und Verständigung einer linken Strategie innerhalb der eigenen Reihen könnte der erste Schritt zu einer umfassenderen Diskussion sein. Hier stimmen wir Harald Wolf zu: »Rot-Rot-Grün muss deshalb zukünftig weniger als bloßes Parteienbündnis, denn als gesellschaftliches Bündnis zwischen den Kräften eher traditioneller gewerkschaftlicher Bewegungen, sozialen Bewegungen und Initiativen und der Ökologiebewegung gedacht werden.«