Maastrichter Vertrag zur Gründung der Europäischen Union 15 Jahre in Kraft
Von Helmut Scholz, Mitglied des Parteivorstandes der LINKEN und des Vorstands der Partei der Europäischen Linken (EL)
Am 1. November 1993 trat der Vertrag über die Europäische Union, besser bekannt als Vertrag von Maastricht, in Kraft. Er stellte die bisher größte Vertragsänderung seit den Römischen Verträgen dar.
Die PDS hatte ihn damals aus inhaltlichen Gründen – weil nicht auf der Höhe der Zeit der sich abzeichnenden Herausforderungen aus Globalisierung, forteilender Entwicklung der Produktivkräfte insbesondere im Kommunikations- und Technologiebereich mit tief greifenden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und das Wirtschafts- und Sozialgefüge aller europäischen Staaten, den gesamteuropäischen Entwicklungserfordernissen - abgelehnt. Ebenso wie nur wenig später die Art und Weise der Einführung des Euro der mit dem Maastrichter Vertrag begründeten Wirtschafts- und Währungsunion. Konsequent hatte die Linke damals formuliert: Maastrichter Vertrag, Euro - so nicht!
Nach nun 15 Jahren seines Wirkens ist festzustellen:
Mit der Schaffung der EU als Staatenverbund wurde der Erkenntnis, dass die Herausforderungen der Globalisierung nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Integration erfordern, entsprochen. Aber ihre vertraglichen Grundlagen und Institutionen verblieben in der Logik traditioneller kapitalistischer Lösungsmuster:
Für die Wirtschafts- und Währungsunion wurde eine Erweiterung des Binnenmarktes um die verbindliche Verankerung einer Sozial- und Umweltunion kategorisch abgelehnt: und damit für die EU eine neoliberale Entwicklungsrichtung zementiert. Heute ist festzustellen: die Schere zwischen Arm und Reich in der EU wird dadurch immer größer. Das Grundprinzip einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ führte zur gnadenlosen Konkurrenz um die niedrigsten Löhne und Sozialstandards und damit zum schrittweisen Abbau ihrer sozialstaatlichen Sicherungssysteme. Wohlgemerkt: herausgearbeitet von den Mitgliedstaaten der EU und den in ihnen regierenden Parteien. Gegenwärtig wird dieser Abbau ausgeweitet auf von der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in vielen Jahrzehnten erkämpfte Rechte.
Das Grunddefizit des Maastrichter Vertrages und seiner Nachfolge-Verträge von Amsterdam und dem heute noch geltenden Nizza-Vertrag - einschließlich des in Irland per Referendum abgelehnten Vertrages von Lissabon besteht darin, dass sie die vertraglichen Grundlagen für eine Politik maximaler Profite der Großkonzerne und Großbanken legen, die Bedürfnisse aller hier lebenden Menschen aber viel zu wenig berücksichtigen. Das erleben wir gerade hautnah: Für existentielle Bedürfnisse der Menschen ist nie genug Geld da, sei es z.B. für Bildung, Renten, Gesundheit. Das alles muss immer mehr von ihnen allein finanziert werden. Für Finanzinstitute, die sich verzockt haben, gibt es dagegen Milliarden. In dieser Logik des Regierens der Finanzmärkte erleben wir heute gerade zu einen "Bank(en)überfall" auf den Staat. Weil nur so noch die Logik kapitalistischer Gesellschaftsrealität stabilisiert werden kann.
Mit der in der EU-Verträgen seit Maastricht immer stärker betonten militärischen Kooperation und Aufrüstung im sicherheitspolitischen Bereich, bedeutet die gegenwärtige neoliberale und hegemoniale Auslegung des Maastrichter EU-Kurses zugleich wachsende Gefahr für Stabilität und friedliches Zusammenleben der Staaten im Weltmaßstab.
Maastricht hat Grundlagen für einen Schritt in Richtung mehr Europa gelegt. Aber dadurch dass die europäische Integration seit Maastricht für sehr viele Bürgerinnen und Bürger zu einer direkten Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen und zu wachsender sozialer Unsicherheit geführt hat, löst die praktische Politik von Regierungen und EU-Institutionen nicht nur Fragen und Irritationen zum „europäischen Projekt aus, sondern lässt sie richtigerweise auch an seiner Ausrichtung zweifeln.
Deshalb ist es notwendig für Europa die Logik und die Substanz der Grundlagen der EU zu verändern: nicht Festschreiben einer neoliberal geprägten Wirtschaftsordnung, die Profite privatisiert und Kosten sozialisiert, nicht Militarisierung von Politik sind die Lösung für die Überwindung der Legitimationskrise im europäischen Integrationsprozess. Sie gehören abgeschafft, weil das eigentliche Problem.
Das ist möglich durch eine konsequente, ja radikale Veränderung von Politik, durch einen Kurs der europäische Integration der in ihren Mittelpunkt die realen Bedürfnisse von Mensch und Natur stellt. Das wird erfolgreich sein, wenn die Bürgerinnen und Bürger, alle hier und heute auf unserem Kontinent lebenden Menschen real nicht nur gefragt sind, das Zusammenleben in Europa konkret auszugestalten, sondern tatsächlich über die weitere Entwicklung der EU entscheiden können.
Dafür kämpft DIE LINKE und mit ihr viele Verbündete in der Europäischen Linken, in anderen demokratischen Parteien und Bewegungen in Deutschland, in der EU und in ganz Europa.