Malmö im September: "Ein anderes Europa möglich machen - Bündnisse für Kämpfe und Alternativen schließen"
Eine andere Welt ist möglich. Fünf Tage lang durchzog der bekannte Leitspruch der Sozialforumsbewegung das am Öresünd gelegene Malmö in Schweden. Vom 17. bis 21. September 2008 fand in der von einer Koalition aus Sozialdemokraten, Linken und Grünen regierten Stadt das Europäische Sozialforum statt.
Von Juliane Nagel
Das 5. ESF war in vielerlei Hinsicht anders: nach Florenz 2001, Paris 2003, London 2004 und Athen 2006 begrüßte eine eher kleinere Stadt in weiträumig verteilten Veranstaltungsorten die Engagierten aus aller Welt. Erst am Samstag, im Rahmen der Abschlussdemonstration, konnte man sich einen Begriff von der Anzahl der BesucherInnen machen. Um die 10.000 waren nach Schweden gekommen - weniger als erwartet und weniger als bei den vorangehenden Treffen der europäischen sozialen Bewegungen, was der gesamten Veranstaltung keinen Abbruch tat. Im Gegenteil: frischer, jünger und offener - so erschien das 5. ESF in Malmö. Auch Vertreter und Vertreterinnen der Partei DIE LINKE, der Europäischen Linkspartei und der linken Fraktion im Europaparlament waren und sind aktiv am Sozialforumsprozess auf europäischer Ebene beteiligt.
Soziale Rechte und Strategien im Kampf gegen Prekarisierung und Privatisierung in Europa standen im Mittelpunkt der 250 Seminare, Workshops und Versammlungen, ebenso wie die radikale Wende hin zu einer ökologisch nachhaltigen und an den Bedürfnissen der Menschen weltweit orientierten Wirtschaftsweise als Pfeiler einer emanzipatorischen europäischen Politik bekräftigt wurden. Als Teil der globalen Sozialforumsbewegung endet der Anspruch auf gesellschaftliche Veränderungen allerdings nicht an politisch bestimmten Grenzen der Europäischen Union. Die inhumane und technologisch immer ausgefeiltere Abschottungspraxis der EU, legalisiert beispielsweise durch die erst jüngst verabschiedete "Rückführungsrichtlinie" und Tag für Tag praktiziert durch die so genannte Grenzschutzagentur Frontex, war ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt und Anlass für eine eigene Demonstration.
Mit einem fulminanten Kulturprogramm mit 400 Ausstellungen, Filmen, Straßenpartys oder Open-Air-Konzerten legte das Nordische Vorbereitungskomittee nicht nur eine Meisterleistung hin, sondern erleichterte der Malmöer Bevölkerung den ideellen Zugang zum ESF und öffnete den Horizont für eine zu oft vernachlässigte politische Praxis.
Zeitgleich trafen sich in Malmö hunderte Menschen zu einem Autonomen Europäischen Sozialforum. Dieses versteht sich als antikapitalistisches, radikales, autonomes Pendant zur offiziellen Veranstaltung, die u.a. wegen dem Ausschluss von Gruppen, die Militanz als politisches Mittel befürworten und wegen seiner bürokratischen, institutionalisierten Strukturen kritisiert wird. In so genannten "radical assemblies" zu den Themen Feminismus, Prekarisierung und Freiräume und Seminaren zu kommenden internationalen Mobilisierungen (Klimagipfel 2009 Kopenhagen, Nato Gipfel 2009 in Kehl) nahmen zahlreiche Linksradikale und –alternative im Convergence Center Utkanten die Möglichkeit zu Debatte und Vernetzung wahr. Auch Intervention in den öffentlichen Raum ging vor allem vom diesem "ESF 2008 Action network" aus – eine Reclaim-the-streets-Party am Freitag 19.9. zog um die 700 Menschen an – mehrere Stunden wurde eine zentrale Straße in Malmö mit tanzenden Menschen besetzt. Die Situation eskalierte nach Mitternacht – bei Auseinandersetzungen zwischen der massive präsenten Polizei und Autonomen wurde mindestens ein Mensch festgenommen.
Die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Friedensinitiativen und linken Zusammenhänge, die in Malmö zusammengekommen sind, auch DIE LINKE, stehen vor neuen Herausforderungen: eine soziale, demokratische und ökologische Wende in Europa ist nötiger denn je. Der neoliberale Kapitalismus prägt die europäische Integration und produziert mehr und mehr Armut. Auch im als Vorzeige-Wohlfahrtsstaat bekannten Schweden, haben Lohndumping und die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge längst Einzug gehalten.
Der globalisierungskritische Leitspruch "Think global, act local" müsse modifiziert werden, forderte der finnische Politikwissenschaftler Lauri Holappa ein. Die vielfältige Bewegung, die die kapitalistische Globalisierung kritisiert, dürfe sich eben nicht nur auf die lokale, nationalstaatliche Praxis reduzieren. Alternativen zum Kapitalismus müssen global gedacht und vor allem praktisch werden. Finale Antworten auf die gerade aktuell offensichtlichen drastischen Folgen dieser hegemonialen Wirtschaftsweise und Politik – Finanzmarktkrise, Verarmung oder Klimakollaps – wurden auch auf dem Europäischen Sozialforum nicht gegeben.
Doch Bündnisse für Kämpfe und Alternativen sind enger und konkreter geworden. Der Wind von Malmö weht weiter ins polnische Poznan, wo der Weltklimagipfel im Dezember 2008 den Weg für einen fadenscheinigen "grünen Kapitalismus" weiter bereiten will, im nächsten Jahr nach Italien, wo Silvio Berlusconi erneut Gastgeber des G8-Gipfel sein wird, zum internationalen Klimagipfel in Kopenhagen 2009 und schließlich nach Istanbul, Gastgeberin des ESF in zwei Jahren.