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Jan van Aken

Mehr Europa geht nur mit mehr Demokratie

Statement des Stellvertretenden Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Jan van Aken, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Einen schönen guten Tag. Ich werde heute zu vier Punkten etwas sagen: erstens zur Euro-Krise, zweitens zur Vernichtung der NSU-Akten, drittens Syrien und viertens zu den Auslandseinsätzen des Herrn de Maizière.

Zur Euro-Krise: Ich möchte vorweg nochmal klarstellen: Wir, DIE LINKE, wollen mehr Europa. Wir wollen, dass Europa mehr zusammenwächst. Dazu gehört aber auch ein demokratischeres und ein sozialeres Europa. Wenn Europa zusammenwächst, dann müssen natürlich künftig auch Entscheidungen von Berlin nach Brüssel übertragen werden. Das finde ich völlig richtig. Das geht aus meiner Sicht aber erst dann, wenn in Brüssel nicht irgendwelche Gouverneure, Bürokraten oder Banker entscheiden, sondern wenn Europa und die europäischen Institutionen demokratischer werden als sie es heute sind. Die zweite Voraussetzung ist, dass Europa sozialer werden muss. Wir fordern als LINKE einen Sozialpakt für Europa, in dem die Krisenlasten eben nicht auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auf die Rentnerinnen und Rentner abgewälzt werden, sondern die zur Verantwortung gezogen werden, die von der Krise profitiert haben. Unter diesen beiden Bedingungen sind wir für mehr Europa. Und natürlich müssen auch die Bürgerinnen und Bürger in Europa und in Deutschland in Volksentscheiden über ein immer stärkeres Zusammenwachsen Europas befinden.

Um es deutlich zu sagen: Der Fiskalpakt ist asozial. Der Fiskalpakt versucht, die gesamten Krisenlasten auf die ärmeren Schichten der Bevölkerung zu übertragen. Er verlangt von den europäischen Partnern im Grunde genommen genau das, was in Deutschland Rot-Grün vor zehn Jahren mit der Agenda 2010 begonnen hat. Hartz-IV soll jetzt mit dem Fiskalpakt auf ganz Europa übertragen werden. Es soll an den Sozialleistungen, an den Renten, an den Löhnen gekürzt werden. Das lehnen wir ab. Deswegen haben wir auch gegen den Fiskalpakt und gegen den ESM geklagt.

Eine Frage ist dabei noch völlig offen: Wie wird sich der Fiskalpakt eigentlich in Deutschland auswirken? Die Bundesregierung schweigt im Moment dazu. Der Fiskalpakt beinhaltet z.B. die Regelung, dass all die Schulden, die über dem Maastricht-Kriterium von 60 Prozent liegen, am 2013 pro Jahr mit einem Zwanzigstel abgebaut werden müssen. Wenn man das auf Deutschland umrechnet, dann heißt das, jedes Jahr ab 2013 müssen, und das 20 Jahre lang. Über 27 Milliarden Euro sollen pro Jahr eingespart werden. Die Bundesregierung sagt bis heute kein Wort dazu, wo das Geld herkommen soll. Wir befürchten, dass die Sozialleistungen weiter gekürzt werden. Wir befürchten auch, dass die Bundesregierung das Ziel möglicherweise über eine Mehrwertsteuer erreichen will. Das wären wieder Belastungen für breite Schichten der Bevölkerung mit niedrigem Einkommen. Wir sagen, das Geld kann durch über die Einführung einer Millionärssteuer kommen. Wir wollen die Reichen und Superreichen heranziehen, die bislang von der Krise profitiert haben. Nur eine Erhöhung der Einnahmeseite des Staates, eine höhere Einkommenssteuer und eine Vermögensabgabe für Reiche und Superreiche kann aus unserer Sicht tatsächlich diese Krisenkosten gerecht verteilen.

Kommen wir zur NSU: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist heute zurückgetreten. Das nehme ich erst mal zur Kenntnis. Ob er ein Bauernopfer ist oder nicht, werden wir in den nächsten Tagen sehen. Das ändert aber nichts daran, dass Heinz Fromm in dieser Woche vor dem Untersuchungsausschuss aussagen muss. Wir wollen komplette Aufklärung über den Sumpf, den es zwischen der rechten Szene und dem Verfassungsschutz offensichtlich gegeben hat. Herr Fromm muss auch nach seinem Rücktritt als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestages auftreten. Ich muss sagen: Das, was ich in diesen Tagen erlebe, gerade die Aktenvernichtung, ist für mich ein weiteres gutes Argument dafür, den Verfassungsschutz, diesen Inlandsgeheimdienst, ganz abzuschaffen, denn es gibt ja praktisch keine Kontrolle mehr. Wir wissen schon lange, dass es eine demokratische Kontrolle durch das Parlament nicht gibt. Das parlamentarische Kontrollgremium ist ein Witz. Es kann den Inlandsgeheimdienst nicht kontrollieren. Jetzt wissen wir, dass in dem Moment, wo die Bundesanwaltschaft NSU-Akten angefordert hatte, diese Akten dann auch noch vom Bundesamt für Verfassungsschutz vernichtet wurden. Wer soll denn dann dieses Amt noch kontrollieren? Deswegen ist aus meiner Sicht die Abschaffung des Bundesamtes für Verfassungsschutz berechtigt.

Zu Syrien möchte ich sagen: Die türkische Regierung spielt mit dem Feuer. Der Aufmarsch der türkischen Truppen an der syrischen Grenze hat das Potential für eine richtig große Ausweitung des Konfliktes. Ich fordere die Bundesregierung auf, scharf und öffentlich diesen Aufmarsch des türkischen Militärs an der syrischen Grenze zu kritisieren, denn es kann nicht sein, dass sich plötzlich der Bürgerkrieg auch noch auf die anliegenden Länder ausweitet. Es ist eine Tatsache, so traurig sie ist, dass Syrien immer weiter in einen Bürgerkrieg versinkt. Wir kritisieren daran beide Seiten, sowohl das Asad-Regime als auch die bewaffneten Rebellen. Ich finde es sehr traurig, dass beiden Seiten aufeinander schießen. Sie bestimmen das internationale Bild. Was völlig in den Hintergrund fällt, ist, dass es bis heute täglich friedliche Demonstrationen in Syrien für ein demokratischeres Syrien gibt. Diese Menschen, die für mehr Demokratie und für ein sozialeres Syrien kämpfen, unterstützen wir. Mit ihnen sind wir solidarisch. Die Verhandlungen in Genf, die am vergangenen Wochenende stattgefunden haben, waren keine Friedensverhandlungen. Ich glaube, da gab es auch bei einigen Berichterstattern wirklich Irritationen oder Missverständnisse. Denn die beteiligten Seiten, die gerade aufeinander schießen, waren dort nicht vertreten. Es war aus meiner Sicht der Versuch der internationalen Gemeinschaft, eine Jemen-Lösung - wie es so heißt - für den Syrien zu entwickeln, das heißt: Austausch an der Spitze, aber ansonsten bleiben das alte Regime und die Oppositionsbewegung gemeinsam in einer neuen Regierung. Herausgekommen ist leider nur eine kleine Jemen-Lösung. Es wurde nicht einmal klar gesagt, ob Asad an einer solchen Lösung teilnehmen darf oder nicht. Aus meiner Sicht: Solange die Beteiligten, also sowohl das Asad-Regierung als auch die bewaffneten Rebellen, nicht mit am Verhandlungstisch sitzen, ist die Situation im Moment nicht von viel Optimismus geprägt. Das will ich mal so ganz vorsichtig sagen.

Was kann Deutschland jetzt tun? Meine erste Forderung an die Bundesregierung ist, dass sie dafür Sorge trägt, dass weniger Waffen, weniger Munition in das Land hineinkommen. Ich kritisiere Russland, das nachwievor Syrien und damit das Asad-Regime mit Waffen aufrüstet. Da kritisiere ich aber auch die Golf-Staaten, die jetzt an die Rebellen Waffen und Munition liefern. Ich finde, die Bundesregierung müsste ganz klar und öffentlich erklären, dass jedes Land, das jetzt, an welche Seite auch immer, an Syrien Waffen und Munition liefert, künftig keine Rüstungsgüter aus Deutschland bekommt. Das könnte vielleicht ein Beitrag dazu sein, um die militärische Eskalation einzudämmen.

Dann komme ich zum letzten Punkt, die Auslandseinsätze des Herrn de Maizière: Thomas de Maizière, der Bundesverteidigungsminister, hat in einem Interview erklärt: Es darf weltweit keine Region mehr geben, in der die Bundeswehr möglicherweise nicht eingesetzt werden darf. Ich finde, an einem Punkt hat Herr de Maizière recht: Es darf keine Tabus bei Auslandseinsätzen geben. Sie müssen alle sofort aufhören, ohne Ausnahme! An einem Punkt hat er aber auch unrecht: Herr de Maizière behauptete in seinem Interview, es interessiere sich in Deutschland keiner dafür, sowohl die Befürwortung von Auslandseinsätzen als auch die Ablehnung sei gering. Das ist schlichtweg falsch. Wir wissen, dass alle Zahlen zeigen, dass eine Mehrheit der Deutschen die Auslandseinsätze ablehnt. Wir auch. Wir wollen überhaupt keine Bundeswehr mehr im Ausland.