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Bernd Riexinger

Nein zum Fiskalpakt eröffnet neue Chance für Europa

Statement des Vorsitzenden der Partei DIE LINKE, Bernd Riexinger, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Guten Tag. Ich möchte heute zu drei Themen etwas sagen: zuerst natürlich zur mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichtes in Sachen ESM, Fiskalpakt und den Anträgen auf einstweilige Anordnungen, zweitens zur Erhöhung des Entgeltes für Minijobber und der Forderung der SPD nach einem Mindestlohn für Minijobs und drittens zur heutigen Beratung des Geschäftsführenden Parteivorstandes mit den Landesvorsitzenden, die zurzeit noch stattfindet.

Zum ersten Punkt, nach Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht berät heute die Eilanträge der LINKEN, des Bündnisses „Mehr Demokratie“ sowie anderer Abgeordneter. Gleich zu Beginn der Verhandlung, die derzeit noch läuft, hat der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, gesagt, dass die Verfassung auch in Krisenzeiten gilt. Das können wir nur voll unterschreiben.

Das Eilverfahren heute klärt allein die Frage, ob der Bundespräsident die Gesetze unterschreiben darf oder ob er noch bis zur Hauptverhandlung warten muss. Nach unserer Auffassung hat die Bundesregierung das Gesetzgebungsverfahren eindeutig zu spät eingeleitet. Zum Beispiel wurde der ESM-Vertrag bereits im Juli 2011 von der Europäischen Kommission unterzeichnet. Das entsprechende Zustimmungsgesetz wurde jedoch erst im März 2012 in den Bundestag eingebracht und erst wenige Tage vor dem beabsichtigten Inkrafttreten zum Abschluss gebracht. Hier operiert die Bundesregierung eher wie eine Task-Force und nicht wie in einem ordentlichen parlamentarischen Verfahren.

Am Wochenende haben verschiedene Koalitionspolitiker versucht, das Bundesverfassungsgericht unter Druck zu setzen, mit der ungeheuren Aussage, dass es vielleicht zu wenig von Europapolitik versteht. Für DIE LINKE sind solche Aussagen inakzeptabel und auch nicht tolerierbar. Die Nervosität der Regierung ist jedoch verständlich. Wir gehen durchaus davon aus, dass wir gute Chancen haben, im Eilverfahren zumindest teilweise Erfolg und Recht zu bekommen. Es freut uns auch, dass die Bevölkerung mehrheitlich die Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht unterstützt und eine Mehrheit der Bevölkerung hält die Beschlüsse der Bundesregierung zu ESM und Fiskalpakt nicht für richtig. Ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger haben Angst vor den sozialen und wirtschaftlichen Folgen.

Tatsächlich haben ja auch die 172 Professoren diese Sorge ein bisschen genährt. Es kommt ja nicht alle Tage vor, dass viele konservative Wirtschaftswissenschaftler zumindest teilweise Analysen der LINKEN übernommen haben. Wir teilen durchaus nicht alles, was sie sagen und auch gar nicht die Schlussfolgerungen. Aber eine Einschätzung ist doch identisch: Sie sagen, es geht offensichtlich nicht um die Rettung des Euro, sondern um die Rettung der Banken. Das ist eine Aussage, die DIE LINKE schon lange trifft. Wir sagen aber nicht, wie die Professoren, wir können auch Banken bankrottgehen lassen. Das könnte man, aber das hätte gravierende Folgen. Wir sagen, die Banken und die Finanzwirtschaft muss unter öffentliche Kontrolle gestellt werden, demokratisch kontrolliert werden, vergesellschaftet werden, und sie müssen vor allen Dingen kleiner werden, so dass die Spekulationsgeschäfte nicht mehr möglich sind. Sie müssen dringend reguliert werden.

Wir stellen auch fest, dass die Krise durchaus die Realwirtschaft erreicht. Wir haben jetzt den ersten Fall in Ulm, wo z.B. die Firma IVECO Produktionsstätten schließt, ausdrücklich mit dem Vermerk, dass ihre Exportmärkte in Italien und Spanien zusammenbrechen. Die Folgen tragen leider 670 Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren.

Der Fiskalpakt kommt auch langsam an, insbesondere bei den Kommunalpolitikern. Das hat gravierende Folgen für die Kommunen. So hat z.B. der Kämmerer der Stadt Nürnberg ausgerechnet, dass der Fiskalpakt Nürnberg zu Einsparungen in Höhe von 70 Millionen Euro zwingen könnte. Dies entspricht – beispielsweise - allen Investitionen in Kinderbetreuung, Schulen oder öffentlicher Personennahverkehr. Wir werden immer wieder gefragt: Könnt ihr wirklich verantworten, dass ESM und Fiskalpakt vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen werden? Was heißt das für Europa? Wir sehen dadurch aber eine große Chance, die Dinge in Europa neu zu regeln und insbesondere Wirtschaftspläne zu machen, die die anderen Länder, die Krisenländer, wirtschaftlich voranbringen und sie überhaupt in den Stand versetzen, ihre Schulden - auch ihre Schulden an uns - zurückzuzahlen. Deshalb ist eine andere Regelung auch gut für die deutsche Bevölkerung.

Wir haben klare Alternativen zur Politik der Bundesregierung. Ich will nochmal die vier wichtigsten nennen:

Wir wollen die Entkoppelung der Staatsfinanzen von Spekulationen der Finanzmärkte und sagen, es ist völliger Unsinn, dass die Europäische Zentralbank billiges Geld an die Banken gibt und die Banken es dann teuer an die Schuldenländer weiterverleihen. Diese müssen dann Zinsen bezahlen – sieben Prozent oder mehr, das haben wir gestern wieder gehört mit Spanien –, die sie gar nicht durch Wirtschaftswachstum unterlegen können und die sie auch niemals zurückzahlen können. Das ist völliger Unsinn. Wir sagen, die EZB muss billige Kredite direkt an die Krisenländer geben. Oder, wenn sie es auch rechtlichen Gründen nicht könnte, müssen wir eine europäische öffentliche Bank gründen, die das kann und verhindert, dass wir mit öffentlichen Geldern praktisch die Bankengewinne fördern und die anderen Länder in die Predulie bringen.

Zweitens: Wir haben nicht nur Schulden in Europa, sondern wir haben auch eine drastische Zunahme hoher Vermögen. DIE LINKE sagt, dass durch eine Millionärssteuer, durch Vermögensabgabe, durch eine stärkere Besteuerung hoher Vermögen, diese endlich zur Finanzierung der Krisenlasten herangezogen werden müssen.

Drittens: Wir brauchen einen europäischen Sozialpakt und keine Kürzungs- und Verarmungsprogramme, wir müssen Sozialabbau zur Finanzierung der Krisenlasten ausschließen und Mindeststandards für Löhne, Renten, Sozialleistungen für alle Mitgliedsstaaten festlegen. Das würde tatsächlich wirtschaftlich und sozial helfen.

Viertens: Wir sagen, wir brauchen ein europäisches Wachstumspaket, und zwar nicht irgendwie durch lächerliche 10 Milliarden für die Europäische Investitionsbank, sondern tatsächlich in Höhe von 360 Milliarden Euro.

Ich glaube, wir haben damit ein überzeugendes Konzept und eine überzeugende Antwort auf die europäische Krise, auf die Wirtschafts- und Währungskrise. Die Wirklichkeit zeigt, dass die vorherrschende Politik keine Krisenlösung anbieten kann, sich die Krise in den nächsten Monaten eher noch weiter verschärfen wird.

Zum zweiten Thema, der Erhöhung bei Minijobs von 400 Euro auf 450 Euro: Das plant die Koalition ab dem 1. Januar 2013. Für uns ist diese Planung, dieses Angebot, ehrlich gesagt, ein Witz. Das können wir nicht ernstnehmen und nur ablehnen. Die SPD hat jetzt einen Mindestlohn von 8,50 Euro für Minijobber gefordert. Das ist nicht wirklich schlüssig. Wenn man einen Mindestlohn für alle fordert, gilt der natürlich auch für Minijobber. Aber das eigentliche Problem der geringfügig Beschäftigten ist, dass wir hier eine Sonderform geringfügiger Beschäftigung in Deutschland haben, von der die Menschen nicht leben können, was übrigens ganz wenige andere Länder in dieser Form so kennen. Wir haben sieben Millionen Minijobber, fast jeder fünfte Arbeitnehmer ist in einem Minijob. Knapp fünf Millionen davon arbeiten nur dort. Definitiv ist die Mehrheit dieser Minijobber Frauen. Die Altersarmut ist hier geradezu vorprogrammiert. Es ist völlig klar: Von diesen Jobs kann man nicht leben.

Es geht im Prinzip um eine staatliche Alimentierung und Subventionierung von Unternehmen, indem durch entsprechende Steuerbefreiung usw. praktisch den Arbeitgebern günstige Angebote gemacht werden, solche Jobs zu schaffen und im Prinzip reguläre Arbeitsplätze in Minijobs umzuwandeln. Da sagen wir, da brauchen wir einen grundsätzlichen arbeitsmarktpolitischen Kurswechsel.

Das Thema Niedriglohn, prekäre Beschäftigung steht ja in unserem 120-Tage-Programm. Es ist für uns von großer Bedeutung, dass wir diese Beschäftigungsverhältnisse zurückdrängen und das Prinzip gelten muss, dass die Menschen Arbeitsplätze haben, von denen sie tatsächlich leben können. Im Übrigen sind Minijobs auch eine teure Sache für die Steuerzahler.

Unsere Forderungen sind soweit ganz klar:

Erstens, ab dem ersten verdienten Euro müssen Beschäftigungsverhältnisse sozialversicherungspflichtig sein.

Zweitens, wir wollen die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 10 Euro die Stunde.

Drittens, öffentliche, vor allem soziale Dienstleistungen müssen in neue reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse ausgebaut werden. Viertens, wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz auch für die Privatwirtschaft, so dass Betriebe so lange auf Maßnahmen verpflichtet sind, bis das Ziel der gleichen Entlohnung erreicht ist.

Ich habe es ja schon gesagt: Es ist in erster Linie eine spezielle Form der Frauenbeschäftigung, die die Frauen in die Altersarmut und zum großen Teil auch in die Existenznot treibt.

Zum dritten Thema: Wir haben gerade eine Beratung mit den Landesvorsitzenden unserer Partei, auf der wir über die ersten 35 Tage nach dem Göttinger Parteitag Bilanz gezogen haben. Ich kann Ihnen sagen, dass die Stimmung in der Partei außerordentlich gut ist. Alle Landesvorsitzenden haben berichtet, dass es zum Teil sogar eine Aufbruchsstimmung in der Partei gibt, dass sowohl die Angebote zur parteiinternen Kommunikation und Diskussion positiv angenommen werden als auch die inhaltliche Themensetzung, sprich die Themen prekäre Beschäftigung, Euro-Krise und Umverteilung und die Rückeroberung des Öffentlichen, bei der Parteimitgliedschaft, bei den aktiven Parteimitgliedern sehr gut ankommt.

Es gibt schon eine ganze Reihe von Initiativen, von Aktivitäten in den Landesparteien, wo über die Sommerzeit Flugblätter verteilt werden, Plakate ausgehändigt und Veranstaltungen durchgeführt werden. Wir haben den Eindruck, dass wir jetzt in der Kürze der Zeit – Wunder kann niemand vollbringen – die Partei stabilisieren konnten, dass wir wieder mit unseren inhaltlichen Themen punkten können und diese im Vordergrund stehen. Es gibt keinen Streit innerhalb der LINKEN, sondern wir wenden uns den inhaltlichen Themen zu, den Interessen unserer Wählerinnen und Wähler. Wir haben auch den Eindruck, dass das von den Wählerinnen und Wählern honoriert wird.

Also wenn es so weitergeht, dann wären wir mit der Entwicklung sehr zufrieden.