Offener Brief an die Redaktion der Nachdenkseiten
Verwunderung und Befremden über die Anmerkungen zum Aufruf "Solidarität statt Heimat"
Sehr geehrter Herr Müller, sehr geehrte Redaktion der Nachdenkseiten, mit großer Verwunderung und äußerstem Befremden haben wir die Anmerkungen von Jens Berger zum Aufruf "Solidarität statt Heimat" in der Rubrik "Hinweise des Tages" vom 20. Juni 2018 zur Kenntnis genommen.
In dem genannten Text werden völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen aufgestellt und Anschuldigungen erhoben, die in der Realität jeder Grundlage entbehren. Diese möchte ich deshalb in aller Entschiedenheit für DIE LINKE und deren Vorsitzende zurückweisen.
Darin heißt es unter anderem: "Zusammen laufen diese Fäden wieder einmal bei niemand anderem als Katja Kipping, die Vorstand des ISM und enge Vertraute von Seibert und Lessenich ist, die offenbar ihre "Männer fürs Grobe" sind. Und dabei hatte sie doch ‚versprochen‘, …. derlei Intrigen sein zu lassen."
Jens Berger unterstellt damit, dass Thomas Seibert und Stephan Lessenich komplett auf Anweisung der Parteivorsitzenden Katja Kipping handeln würden. Diese Unterstellung soll nicht unwidersprochen stehen bleiben. Der Autor hat dafür keinerlei Belege oder gar Beweise. Allein die Tatsache, dass Katja Kipping und die beiden Genannten in demselben Verein Mitglied sind, rechtfertigt diese Unterstellung nicht. Jens Berger führt auf den Nachdenkseiten damit eine Kontaktschuld ein. Dass zwei Menschen Mitglied im gleichen Verein sind, ist kein Beleg dafür, dass sie jeweils jede Wortmeldung und jede Aktivität eng absprechen. Das Argumentationsmuster der Kontaktschuld steht in einer Tradition, die kritische, linke Köpfe niemals bedienen sollten, spricht sie doch Menschen jegliche Eigenständigkeit ab.
Nun kann man zu den konkreten Formulierungen des Aufrufs "Solidarität statt Heimat" unterschiedlicher Meinung sein. Aber kaum etwas könnte von einer politischen Diskussionskultur und jedem Nachdenken weiter entfernt sein, als pauschal allen Positionen dadurch Legitimität abzusprechen, dass sie - wahrheitswidrig - als durch Katja Kipping fremdgesteuert dargestellt werden.
Denn das ist nicht nur falsch, sondern auch lächerlich. Ist Frau Kipping diesem von den Nachdenkseiten stark gemachten Kontaktschuld-Prinzips zufolge eigentlich für alle Veröffentlichungen der Vorstands- und Kuratoriumsmitglieder des ISM verantwortlich? Es sind immerhin - Katja Kipping eingeschlossen - 53 Personen. Oder gar für alle Unterzeichnenden des Aufrufs "Solidarität statt Heimat"? Es sind inzwischen 11. 461 (Stand, 27. Juni 2018, 10 Uhr).
Auch entbehrt die Klassifizierung von Thomas Seibert und Stephan Lessenich als Katja Kippings "Männer fürs Grobe" jeglicher Grundlage. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass m.E. Veröffentlichungen mit abweichenden Meinungen, auch wenn es mehrere geben sollte, keine Intrige sind. Gegen niemand. Sie sind vielmehr eine Meinungsverschiedenheit, die als Meinungsverschiedenheit argumentativ zu bearbeiten ist, ohne Unterstellungen.
Der Autor Jens Berger sieht das anders. Er verlinkt die oben genannten Zeitungsbeiträge als "Belege", um die jeweiligen Autoren als Intriganten zu diffamieren: "schon lange als Speerspitze der Intriganten gegen ‚den Wagenknecht-Flügel‘ innerhalb der Linken in Erscheinung tritt" und "der ebenfalls zu den bekannten Intriganten gehört."
Wer Texte verfasst, deren Inhalt Jens Berger - und möglicherweise auch anderen Menschen - missfällt, der ist also ein Intrigant. Das ist Denunziation statt Diskussion, Nachtreten statt Nachdenken. Wer jede Form von Kritik und nicht genehmer Meinung als ferngesteuerte Intrige diffamiert, der versucht jede politische Debatte abzuwürgen, der versucht den Austausch von Argumenten zu verunmöglichen.
In einem neueren Beitrag der Nachdenkseiten vom 25. Juni 2018 wird eine tiefergehende verschwörungstheoretische Interpretation zum "möglichen Motiv und den Hintergründen" des Aufrufs "Solidarität statt Heimat" angeregt und um sachdienliche Hinweis gebeten. Ist das ernst gemeint? Ist das die Richtung, in die die Diskussion künftig auf den Nachdenkseiten gehen soll? Soll sich nun die Leserschaft der Nachdenkseiten ernsthaft auf die Suche nach Hinweisen begeben, dass "dunkle Mächte" hinter einem breit getragenen Aufruf stehen? Und welche Kultur wird damit innerhalb der gesellschaftlichen Linken gefördert?
Wir bitten nachdrücklich darum, in Zukunft Denunziationen und Unterstellungen gegenüber Vertreterinnen und Vertretern der LINKEN, für die es in der Realität keine Basis gibt, zu unterlassen. Konkrete inhaltliche Kritik an konkreten Positionen in der Sache hingegen kann gemeinsames Nachdenken befördern.
In diesem Sinne hoffen wir sehr auf eine Rückkehr der Nachdenkseiten zu einer konstruktiven, kritischen Debatte jenseits von Denunziation und Unterstellungen.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Bialluch
Im Namen der Pressestelle der Partei DIE LINKE