Scholz macht sich zum Totengräber der Finanztransaktionssteuer
Bisher hat noch kaum jemand registriert, dass sich Finanzminister Olaf Scholz anschickt, zum Totengräber für die jahrelang geforderte Finanztransaktionssteuer zu werden. In einem Beitrag im Spiegel gab er am Samstag seine Vorstellungen bekannt: Demnach stellt sich Scholz eine Steuer vor, die in den EU-Haushalt fließt und dort für Entwicklungshilfe oder ein europäisches Investitionsbudget verwendet werden soll. Ganz im Sinne, wie sich Präsident Macron eine solche Steuer vorstellt, sucht Scholz den Schulterschluss mit Frankreich. Was Wolfgang Schäuble seit Jahren nicht hinbekommen hat, bekommt Supermann Scholz innerhalb von wenigen Monaten hin. Gut, dass Deutschland einen sozialdemokratischen Finanzminister hat!
Was erstmal positiv klingen mag, hat einen gewaltigen Haken: Scholz beziffert das Aufkommen der Steuer auf fünf bis sieben Milliarden Euro. Nicht für Deutschland, sondern für Europa! Der derzeit verhandelte Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission taxiert das Aufkommen dagegen auf 30 bis 35 Mrd. Euro. Selbst der verwässerte Kompromissvorschlag, den die österreichische Regierung an die verhandelnden zehn Staaten unterbreitet hat, sieht immer noch ein Aufkommen von 18 bis 22 Mrd. Euro vor.
Was Scholz daher vorschlägt, ist eine ganz andere Steuer, eine Mini-Finanztransaktionssteuer, die den Namen kaum noch verdient. Wahrscheinlich ist, dass Scholz eine Steuer nach dem Vorbild der britischen Stamp Duty oder der französischen Steuer auf Aktienhandel vorschwebt, wie Macron sie im letzten Herbst schon propagiert hat. Dazu passt, dass die EU-Kommission das Aufkommenspotenzial einer reinen Aktiensteuer kürzlich auf 5,5 Mrd. Euro geschätzt hat. Außen vor bliebe dann der riesige Handel mit Anleihen, Devisen und Derivaten und damit auch der Großteil der Lenkungswirkung der Steuer. Ohne Derivate ginge nicht nur das größte Segment der Finanzmarktgeschäfte verloren, sondern auch diejenigen Produkte, die besonders von professionellen Spekulanten genutzt werden. Nicht ohne Grund haben die Verfechter einer Finanztransaktionssteuer die Besteuerung von Derivaten seit Jahren mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Das französische Finanzministerium hat – mit Blick auf die Derivatebörse in Paris – schon vor Macrons Zeiten für eine reine Aktienbesteuerung lobbyiert. Zu Schäubles Zeiten waren die Versuche erfolglos – nicht nur, weil sich das Finanzministerium an die Vereinbarungen mit der SPD hielt, die eine umfassende Besteuerung vorsahen, sondern auch, weil für kleinere Staaten wie Slowenien und die Slowakei eine solche Steuer kaum noch Erträge brächte und der Vorschlag so nicht die erforderliche Mehrheit bekommen hätte.
Der Vorstoß von Scholz würde die jahrelangen Verhandlungen zunichtemachen. Er ist ein totales Desaster. Warum sollten sich die Staaten auf eine Steuervariante einigen, welche sie längst im nationalen Alleingang hätten einführen können? Die britische Stamp Duty wird seit Jahrzehnten mit stabilem Aufkommen erhoben. Eine europäische Steuer – so war es bisher noch Konsens – müsste einen erkennbaren Mehrwert gegenüber nationalen Varianten bieten. Der Vorstoß von Scholz ist daher kein Durchbruch, sondern eine Kapitulation.
Die nächste Beratung der Finanzminister wird voraussichtlich am 21. Juni stattfinden. Zu dieser Zeit rollt bereits der Ball über russischen Rasen. Wie einst zu Gerhard Schröders Zeiten schickt sich Olaf Scholz gerade an, für die deutsche Sozialdemokratie ein Eigentor zu schießen.