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Katja Kipping

Schwarz-Gelb verspielt Chance auf sauber berechnetes Existenzminimum

Statement der stellvertretenden Parteivorsitzenden der Partei DIE LINKE, Katja Kipping, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus:

Guten Tag, in dieser Woche wird im Bundestag über die Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze entschieden. Dieser Entscheidung liegt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zugrunde, wonach die jetzigen Regelsätze nicht verfassungsgemäß sind.

Mit dem Urteil hätte die Chance für eine breite gesellschaftliche Debatte bestanden, was ein Mensch eigentlich braucht. Aber Schwarz-Gelb hat diese Debatte, diese Chance, verspielt und stattdessen solange herum gerechnet, bis eine geringfügige Erhöhung von 5 Euro herausgekommen ist. Frau von der Leyen erweckt in der Öffentlichkeit immer den Eindruck, dass sie die Opposition zum Dialog dazu einlade, sich konstruktiv einzubringen. Ich kann aus der Arbeit im Fachausschuss heraus nur sagen, dass wirklich jede Information, die wir als Opposition bekommen haben, sehr hart erkämpft werden musste. Die Informationen sind nur tröpfchenweise gekommen. Zentrale Zahlen und alternative Berechnungen sind uns vorenthalten worden. Am Ende war es so, dass die Linksfraktion aus ihren eigenen Mitteln eine alternative Berechnung beim Statistischen Bundesamt in Auftrag gegeben hat.

Wir haben aufgrund dieser Situation entschieden, als Partei DIE LINKE ein eigenes Beratungsgremium einzurichten, wo wir uns mit Fachleuten aus Sozialverbänden, der Erwerbsloseninitiativen, der Gewerkschaften und mit Fachleuten aus der Wissenschaft beraten haben, um nachzuweisen, mit welchen Tricks und welchen Abschlägen der Regelsatz von Schwarz-Gelb künstlich kleingerechnet worden ist.

Ich möchte Ihnen kurz die Ergebnisse des Berichtes vorstellen: Einer der zentralen Tricks von Schwarz-Gelb war, dass man die Referenzgruppe gewechselt hat, anstatt, wie bisher, sich auf die untersten 20 Prozent der Einkommenshierarchie zu beziehen, ist man auf einmal zu den untersten 15 Prozent gewechselt. Man hat außerdem – das wäre der zweite Trick – einen zentralen Auftrag des Verfassungsgerichtes nicht erfüllt, nämlich die verdeckt Armen herauszurechnen. Nur zur Erläuterung: Verdeckt Arme meint Menschen, die mit ihrem Einkommen sogar unter den Hartz-IV-Regelsätzen liegen, aber aus Nichtwissenheit, aus Angst vor Schikane keinen Antrag auf Sozialleistungen gestellt haben. Diese Menschen sind weiterhin in der Referenzgruppe drin. Als wir im Ausschuss den Antrag gestellt haben, dass man doch wenigstens diese Berechnungen erst einmal beim Statistischen Bundesamt in Auftrag geben kann, da hörten wir von Schwarz-Gelb immer wieder, wir haben volles Vertrauen zu unserer Regierung. Es wird keine verdeckt Armen geben usw.

Uns liegt jetzt die entsprechende Berechnung des Statistischen Bundesamtes vor. Demnach müsste, wenn man nur diese beiden Tricks herausnimmt, der Regelsatz um 28 Euro höher ausfallen. Hinzu kommt, dass der Regelsatz durch besonders willkürliche Abschläge herunter gerechnet worden ist. Wenn Sie auf die Seite 9 im vorgelegten Bericht gehen, dort sind die einzelnen Abschläge nochmal im Einzelnen aufgelistet. Jeder, der meint, die Zahl, die ich hier genannt habe, sei falsch, der muss dann auch begründen, warum z. B. jemand, der erwerbslos ist, kein Recht darauf hat, weiter ein Haustier zu haben, der muss begründen, warum derjenige kein Recht auf – beispielsweise - eine Haftpflichtversicherung hat, die gerade für Personen, die ansonsten kein großes finanzielles Polster haben, extrem wichtig ist, weil sie nämlich im Zweifelsfall nichts haben, um den entsprechenden Schaden abdecken zu können.

Die Summe der besonders willkürlichen Abschläge liegt bei 73 Euro. Wenn man die beiden Tricks und diese besonders willkürlichen Abschläge zusammenzählt, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Regelsatz mindestens 101 Euro höher ausfallen müsste, als er jetzt ausfällt. Hinzu kommen weitere Tricks, die wir leider nicht berechnen können, weil uns immer noch der Zugang zu den Rohdaten verwehrt wird.

Würde man eine saubere Berechnungsmethode zugrundelegen, müsste man ausgehend von der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe sagen: Nehmen wir die tatsächlichen Verbrauchsausgaben der Referenzgruppe und ziehen nur diejenigen Ausgaben ab, die wirklich systembedingt notwendig sind. Um das mal mit einem Beispiel zu verdeutlichen, was ich damit meine: Beispielsweise sind in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe auch Ausgaben für GEZ-Gebühren enthalten. Nun wissen wir, wer in Hartz IV ist, ist von den GEZ-Gebühren befreit. Bei dem fallen also diese Ausgaben also nicht an. So gibt es noch ein paar andere Ausgabepositionen, bei denen es eine Befreiung oder einen Anspruch auf Mehrbedarf gibt. Diese Ausgabepositionen sollte man tatsächlich abziehen. Wenn man also wirklich die untersten 20 Prozent in der Einkommenshierarchie zugrundelegt und wirklich nur die tatsächlich zwingenden Abschläge vornimmt, dann müsste der Regelsatz 150 Euro höher ausfallen.

Wir haben außerdem in dieser Beratungsrunde noch ein Weiteres debattiert, nämlich einen Bedarfs-TÜV. Was meinen wir damit? Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) hat ein strukturelles Problem. Es wird nämlich nur gemessen, was die Leute ausgeben. Es wird überhaupt nicht gefragt, ob das überhaupt zum Leben reicht. Ein kleines Schmankerl: In die EVS sind z. B. auch Ausgaben von Haushalten eingeflossen, die nach eigenen Angaben für Ernährung 0 Cent ausgegeben haben, und das über drei Monate hinweg. Vier Haushalte waren das. Das ist uns auch von der Regierung bestätigt worden, warum das der Fall war. Die Antwort lautete: Der eine bezieht alle seine Lebensmittel von Tafeln, und bei den anderen drei konnte das nicht geklärt werden. Trotzdem sind diese Haushalte bei der Ermittlung der Zahlen mit eingeflossen.

Insofern – so denke ich – lohnt es sich, genau zu schauen, ob man von dem Geld, das dort angegeben ist, auch tatsächlich den Bedarf decken kann. Wir haben zum einen einen Bedarfs-TÜV für Ernährung durchgeführt und uns Studien zu einer vollwertigen Ernährung angeschaut. Wenn man diese seriös nutzt, müsste der Regelsatz, nur was den Bereich „Ernährung“ anbelangt, um weitere 64 Euro höher ausfallen.

Oder wenn man sich anschaut, was im Regelsatz für Mobilität enthalten ist: 18,41 Euro. Selbst in Städten, in denen es ein Sozialticket gibt, ist von diesem Geld kein Sozialticket zu finanzieren. Es gibt nur sehr wenige Städte, in denen die Kosten eines Sozialtickets überhaupt unter 20 € liegen. Besonders offensichtlich ist es im Bereich Bildung. Monatlich sind für Bildungsausgaben 1,39 Euro vorgesehen. Selbst wenn man das ganze Jahr über spart, ist davon de facto kein Volkshochschulkurs zu bezahlen. Hier ist in ganz, ganz vielen Ecken getrickst worden.

Auf einen weiteren interessanten Aspekt möchte ich Sie noch hinweisen: Es wird ja immer unterstellt, dass, wenn zwei Erwachsene zusammenleben, Synergieeffekte entstehen. Deswegen beträgt der Regelsatz für Paare, die zusammenleben, jeweils nur 90 %. Wir haben gefragt, ob es diese Synergieeffekte tatsächlich gibt. Diese gibt es für Miete. Aber die Mietkosten werden ja sowieso über die Kosten der Unterkunft getrennt beglichen. Für die sonstigen Ausgaben sind diese Synergieeffekte nicht zu beweisen. Das heißt also, die Art und Weise, wie die die Sozialleistungen in einer Bedarfsgemeinschaft konstruiert ist, ist höchst fragwürdig.

Um es zusammenzufassen: Der Regelsatz von Schwarz-Gelb ist mit Tricks und Abschlägen kleingerechnet. Und mit 364 € liegt er definitiv unter einem sauber ermittelten Existenzminimum.

Dankeschön!