Zum Hauptinhalt springen
Ates Gürpinar

Sommer, Sonne, Strand - Nicht für alle?

Es ist Urlaubszeit, viele freuen sich auf die Ferien, die Städte sind leerer. Urlaub ist Erholung vom stressigen Alltag, vom kräftezehrenden Job oder dem ständigen Leistungsdruck in der Schule. Aber fast jede*r Vierte in Deutschland kann sich keinen Urlaub leisten. Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Viele von ihnen waren noch nie im Urlaub. In einem reichen Land wie Deutschland, wo Urlaub als Selbstverständlichkeit gilt, hat es auch mit Scham und Würde zu tun, sich das vermeintlich Selbstverständliche nicht leisten zu können. Zum Beispiel als Kind nach den Sommerferien nicht mitreden zu können, wenn in der Schule die Urlaubsziele besprochen werden, weil den Eltern das Geld zum Wegfahren fehlt. Dass die Ampel-Regierung ihr sozialpolitisches Vorzeigeprojekt Kindergrundsicherung nun offiziell beerdigt hat, ist ein zusätzlicher Tritt für die Kinder und ihre Eltern. Das Einkommen geht oft komplett für Miete, Lebensmittel und Energiekosten drauf. Geld fehlt selbst für eine Woche Urlaub im Jahr. Durch die hohen Preissteigerungen der letzten Jahre ist das Budget vieler Familien noch knapper geworden. Auch Campingurlaub in Deutschland ist oft nicht mehr drin. In der Hauptsaison in den Sommerferien sind die Preise für Urlaub zusätzlich unerschwinglich für Beschäftigte mit niedrigen Einkommen.

Problem 1: Die Einkommen sind zu niedrig

Zu denjenigen, die trotz Vollzeitjob kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen, gehören auch viele Beschäftigte im Tourismussektor. Über die Hälfte (56 %) der Beschäftigen in Hotels und Gaststätten deutschlandweit arbeitet zu Niedriglöhnen von weniger als 2.431 Euro[1] brutto im Monat in Vollzeit. Insgesamt bekommt in Deutschland jede*r sechste Vollzeitbeschäftigte nur einen Niedriglohn. In Ostdeutschland ist es mehr als jede*r Vierte. 8,4 Millionen Menschen arbeiten für weniger als 14 Euro brutto in der Stunde. Damit kommt man bei einer Vollzeitstelle von 38 Stunden pro Woche gerade mal auf 2.300 Euro brutto im Monat. Da bleibt wenig übrig, wenn Miete, Strom und Lebensmitteln bezahlt sind. Über 4 Millionen Menschen in Deutschland stecken in Minijobs fest, von denen man nicht leben kann. Die aktuelle Bundesregierung hat Mini- und Midijobs zusätzlich ausgeweitet, indem sie die Einkommensgrenzen heraufgesetzt hat, bis zu denen keine vollen Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Das behindert auch die Aufstockung der Stunden, weshalb auch Gewerkschaften und Sozialverbände fordern, diese Jobs radikal einzugrenzen oder abzuschaffen. Urlaubsgeld vom Arbeitgeber bekommt in Deutschland nur jede*r zweite Beschäftigte, in Ostdeutschland nur jede*r Dritte. Die Höhe des Urlaubsgeldes bemisst sich meist am Lohn. Wer ohnehin schon wenig verdient, bekommt meist auch weniger Urlaubsgeld – wenn er oder sie überhaupt welches bekommt. Wer keins bekommt, muss die Extraausgaben für Urlaub komplett aus dem monatlichen Einkommen bestreiten. Wenn das schon knapp ist, bleibt für Urlaub kaum was übrig.

Problem 2: Die Mieten sind zu teuer

Ob das Geld für Urlaub reicht, hängt nicht nur von der Höhe des Lohns ab, sondern auch von den Kosten für das alltägliche Leben. Wenn Miete, Strom und Lebensmittel immer teurer werden, bleibt weniger oder nichts für Extra-Ausgaben. Die hohen Mieten führen gleichzeitig dazu, dass Beschäftigte in vielen Orten keine Wohnung finden können – auch wenn sie bereit sind die Jobs anzunehmen. Unternehmen in Tourismusregionen beklagen einen Mangel an Fachkräften und schränken teilweise Öffnungszeiten oder Dienstleistungen wegen Personalmangel ein. Doch oft fehlen bezahlbare Wohnungen für Menschen mit niedrigen Einkommen, insbesondere in Ferienregionen. Die vorhandenen Wohnungen werden in der Regel für deutlich höhere Preise an Touristen vermietet. Für die Beschäftigten bedeutet das oft sehr lange Fahrtwege zur Arbeit. Das kostet Zeit und Nerven – und geht ins Geld, was bei den niedrigen Löhnen zusätzlich fehlt. Denn bezahlt wird oft nur der Mindestlohn. Das macht Arbeitsplätze oder eine Ausbildung im Tourismusbereich - aber auch in vielen anderen angeblichen Fachkräftemangelberufen - wenig attraktiv. Die NGG fordert einen Einstiegslohn von 3.000 Euro im Monat für Fachkräfte in Hotels und Gastronomie, um das zu ändern. Um den Beschäftigten Respekt entgegenzubringen, aber auch gegen Fachkräftemangel helfen höhere Löhne, ausreichend Wohnungen mit günstigen Mieten und ein guter öffentlicher Nahverkehr mit günstigen oder kostenlosen Tickets.

Problem 3: Die Kommunen sind kaputtgespart

Auch zu hause gibt es immer weniger Möglichkeiten zur Erholung und entspannt die Ferien zu verbringen. Ein Eis kostet immer öfter 2 Euro. Der Eintritt ins Schwimmbad kostet für eine Familie schnell mehr als 10 Euro. Wenn es vor Ort überhaupt noch ein Schwimmbad gibt. Die Hälfte aller Schwimmbäder ist sanierungsbedürftig oder muss modernisiert werden. Mehr als jedes zehnte Schwimmbad wurde in den letzten 25 Jahren geschlossen, weil den Kommunen das Geld fehlt. Mehr als 700 Bäder sind so seit der Jahrtausendwende weggefallen. Betroffen sind besonders Gemeinden, die über wenig Mittel verfügen. Damit fehlen Erholungsmöglichkeiten, soziale Treffpunkte und auch die Möglichkeit für alle Kinder, schwimmen zu lernen. Wer genügend Geld hat, kann woanders hinfahren. Wer wenig hat, ist auf funktionierende Einrichtungen und Angebote vor Ort angewiesen. Mehr als die Hälfte der 10-Jährigen in Deutschland kann nicht richtig schwimmen. Mindestens 378 Menschen sind 2023 in Deutschland ertrunken. Auf den Zusammenhang weist die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft hin: Wer als Kind nicht ordentlich schwimmen lernt, bleibt oft auch als Erwachsener unsicher im Wasser und stärker gefährdet zu ertrinken. Damit alle Kinder schwimmen lernen, braucht es Schwimmunterricht in allen Grundschulen und regelmäßige Übungsmöglichkeiten vor Ort. Dazu gehört auch ein ausgebautes Bus- und Bahnnetz, mit dem die Kinder (und ihre Eltern) ohne Geld oder für wenig Geld zum Schwimmbad gelangen. Schwimmbäder sind zudem einer der wichtigsten Orte, wo noch alle über soziale Grenzen hinweg zusammenkommen.

So ermöglichen wir Urlaub für alle:

  • Soziale Teilhabe von Kindern darf nicht vom Einkommen der Eltern abhängen: Deshalb sollte die Bundesregierung ein „Urlaubskindergeld“ als dreizehntes Kindergeld für alle Kinder zahlen. Das Urlaubskindergeld darf nicht von anderen Sozialleistungen oder Bürgergeld abgezogen werden, damit es tatsächlich die Kinder mit dem größten Bedarf erreicht. Für die 17,8 Mio. Kinder in Deutschland beliefe sich das auf 4,5 Mrd. Euro. Zum Vergleich: Das Verteidigungsministerium hat für 8,3 Milliarden Euro Kampfjets bestellt. Mit der Hälfte der Flugzeuge lässt sich Entlastung für alle Kinder finanzieren. Mittelfristig muss der Kinderfreibetrag abgeschafft und das Kindergeld für alle Kinder auf das Existenzminimum erhöht werden, um die staatliche Bevorzugung der Kinder Besserverdienender endlich zu beenden. Das hat in den 1970ern selbst die FDP so gesehen. Sie hat diese Ungleichbehandlung zusammen mit der SPD in der Bundesregierung abgeschafft, bevor sie unter Helmut Kohl wieder eingeführt wurde.
  • Für alle Kinder muss es einen Ferienpass für kostenlose und vergünstige Freizeitmöglichkeiten geben. Sinnvoll ist kostenloser Eintritt ins Schwimmbad für alle Kinder, wie es in Frankfurt am Main schon gemacht wird. Ferienfreizeiten für Kinder und Familien mit wenig Geld muss das Bundesfamilienministerium deutlich stärker fördern. Kostenlose Fahrt mit Bus und Bahn für alle Kinder.
  • Die Löhne besonders für geringer bezahlte Jobs müssen deutlich steigen, der Niedriglohnsektor muss abgeschafft werden. Arbeit in Vollzeit muss für ein gutes Leben mit Kindern reichen. Bis November muss die Bundesregierung die Mindestlohnrichtlinie der EU umgesetzt haben, die einen Mindestlohn von über 14 Euro vorsieht und Tarifverträge für mindestens 80 Prozent der Beschäftigten. Die Ampelregierung hat bisher nichts getan, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Dabei ist klar, was nötig ist: 15 Euro Mindestlohn, öffentliche Aufträge nur an tarifgebundene Firmen und Tarifverträge auf Antrag von Gewerkschaften allgemeinverbindlich erklären. Das hilft gegen Armut und gegen Fachkräftemangel. Mit mehr Tarifverträgen bekämen auch wieder deutlich mehr Menschen Urlaubsgeld.
  • Die Bundesregierung muss die Lebenshaltungskosten deckeln. Der Mietpreis für Wohnungen kann nicht der Spekulation von Investoren überlassen bleiben. Die Vermietung von Wohnungen als Ferienwohnung muss eingedämmt werden, damit Wohnungen zum Wohnen da sind. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Bundesländern die Zuständigkeit für einen Mietendeckel abgesprochen hat, muss die Bundesregierung das umsetzen. Die Ampel hat bisher nichts unternommen, um die Mietenexplosion zu stoppen.
  • Die Bundesregierung muss ausreichend Geld bereitstellen, damit alle Schwimmbäder erhalten und saniert werden können. Die Kommunen und Länder können das nicht allein leisten, der Bund muss sich beteiligen. Alle Kinder müssen in der Grundschule sicher schwimmen lernen. Dazu muss überall Schwimmunterricht sichergestellt werden. Die Bundesregierung muss einen Plan vorlegen, wie das künftig wieder sichergestellt wird.

 


[1] Das entspricht der offiziellen Schwelle des Niedriglohns von weniger als 60 Prozent des mittleren Lohns.