Thematische Konferenz der LINKEN zum demographischen Wandel
Der Parteivorstand, die Bundestagsfraktion und die Seniorenarbeitsgemeinschaft der LINKEN bereiten für den 22. November 2007 eine Konferenz zum Thema "Positionen zum demographischen Wandel und die Konsequenzen für die LINKE" vor
Ein Blick auf die Rednerliste mit Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer, Prof. Dr. Ernst Kistler, Direktor am Institut für Empirische Sozialökonomie Stadtbergen, Dr. Wolfgang Weiß, Privatdozent an der Uni Greifswald, Heidemarie Lüth, Bürgermeisterin Chemnitz sowie Jörn Wunderlich, MdB, Sprecher für Familien- und Seniorenpolitik lässt eine interessante Debatte erwarten.
Spannung verspricht diese Veranstaltung schon deshalb, als unter Fachleuten, Politikern, Medien und verschiedensten Stiftungen über die gesellschaftliche Relevanz des demographischen Wandels ein heftiger Streit zu beobachten ist.
Unternehmerfreundliche Protagonisten beschwören die Gefahr einer Vergreisung der Gesellschaft und des völligen Ruins der Sozialsysteme, wenn diese nicht weiter reformiert, deutlicher gesagt, wenn deren Leistungen nicht weiter gekürzt werden. Dagegen sind für manche der eher arbeitnehmerfreundlichen Vertreter die demographischen Veränderungen in der Gesellschaft für die künftige Entwicklung eher von zweitrangiger Bedeutung, wenn sie nicht weiterhin bewusst einseitig interpretiert werden und die heute wirklich wichtigen Schlussfolgerungen nicht auf der Strecke bleiben.
Leider ist kaum zu übersehen, dass die von Schwarz bis Grün instrumentalisierte "Demographiekampagne" in breiten Teilen der Bevölkerung nicht ohne Wirkung geblieben ist. Unter ständiger Berufung auf die immer älter werdende Gesellschaft ist es den Regierenden gelungen, nahezu alle ihre Vorhaben des Sozialabbaus, inklusive Rente mit 67, ohne größeren öffentlichen Widerstand über die Bühne zu bekommen.
Die endlosen Rentenreformen der letzten zwei Jahrzehnte sind ein beredtes Beispiel dafür. Wer kennt nicht die Zweifel junger Leute, ob sie bei Erreichen des Rentenalters überhaupt noch eine Rente erwarten können? Ist es diese Verunsicherung, die gebraucht wird, um das solidarische Umlagesystem zu demontieren und den privaten Versicherungskonzernen mehr Kunden zuzuführen? Dabei wurde bis heute von niemanden der Beweis angetreten, wie selbst bei Norbert Blüm immer wieder zu hören ist, dass eine Kapital gedeckte Rente die Altersversorgung sicherer macht.
Insoweit bedeutet Abstinenz vieler Linker in dieser öffentlichen Auseinandersetzung geradezu Schützenhilfe für die Neoliberalen.
Andererseits ist unstrittig, dass die vielschichtigen demographischen Veränderungen in unserer Gesellschaft, wie sie erneut in der 10. und 11. Bevölkerungsvorausberechnung des statistischen Bundesamtes nachgewiesen werden, nicht einfach auf eine ideologische Kampagne reduziert werden dürfen.
Folgt man den Aussagen des Bundesamtes so verringert sich die Bevölkerungszahl in Deutschland bis 2050 von aktuell 82,4 Millionen auf 69-74 Millionen. Die Zahl der jährlichen Geburten wird infolge der abnehmenden Zahl potentieller Mütter in den Jahren bis 2050 auf etwa 500000 sinken. Zum Vergleich - 2006 gab es immer noch 672700 Neugeborene, 1964 in beiden deutschen Staaten zusammengenommen gar 1,357 Millionen . Sinkende Geburtenraten bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung werden die Bevölkerungsstruktur spürbar verändern. Die Zahl der 60 Jährigen beispielsweise wird 2050 ca. doppelt so groß sein wie die der Neugeborenen, 2005 waren sie noch pari. Die Zahl der 80 Jährigen und Älteren wird sich fast verdreifachen und nahezu 10 Millionen betragen.
Ausgehend von dieser möglichen Entwicklung der demographischen Grundstrukturen zeichnen sich eine Vielzahl regional oft sehr differenzierter demographischer und sozialer Veränderungen ab. Zu verweisen ist auf die Wanderung zwischen Umland und Städten, die Abwanderungen ins Ausland, die Verschiebungen in Familienstrukturen, die Zunahme des Anteils der Singles, der Eltern ohne Kinder, oder das Problem des massiven Wegganges junger Mütter, junger Fachleute aus den neuen Bundesländern überhaupt. Von solchen Tendenzen könnten künftig die verschiedensten Politik- und Lebensbereiche zunehmend tangiert werden. Sie bedürfen deshalb u.E. einer grundlegenden politischen Bewertung auch durch die Partei DIE LINKE.
Anliegen der Konferenz ist es deshalb, mit Wissenschaftlern und Praktikern, auch mit solchen, die nicht das Parteibuch der LINKEN tragen, die bisherige Debatte über den demographischen Wandel kritisch zu hinterfragen, an der Positionierung unserer Partei zu diesem gesellschaftlichen Phänomen mitzuwirken und damit zugleich einen Beitrag zur Programmdiskussion zu leisten.
Eine Vielzahl theoretischer und praktischer Fragen bedarf der weiteren Erörterung:
Sind niedrige Geburtenraten "gottgewollte" Folgen der westlichen Zivilisation? Braucht unser Bildungssystem angesichts sinkender Schülerzahlen einen anderen Ansatz, eingeschlossen die radikale Verringerung der Klassenfrequenzen an Stelle des weiteren Abrisses von Schulen? Wie lässt sich die steigende Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften befriedigen, wenn immer weniger jungen Menschen ins Ausbildungsalter hineinwachsen? Linke Alternativen für eine Trendwende zur Schaffung von ausreichend altersgerechten Arbeitsplätzen bei angemessener Bezahlung? Für welche Kultur des Alterns steht DIE LINKE – wie zur Generationengerechtigkeit? Schlussfolgerungen aus dem überproportionalen Wachstum des Anteils der Menschen im nachberufstätigen Alter für die die Wahlkämpfe und die Programmatik der Partei?
Alles Fragen und Probleme, die sich direkt oder indirekt aus dem demographischen Wandel ergeben oder auf seinem Hintergrund neue Aktualität erlangen. Gefragt sind Argumente, die geeignet sind, einseitige und teilweise verlogene Positionen der bisherigen Demographiedebatte zu entlarven, einen anderen öffentlichen Umgang mit diesem Thema anzustoßen und Schlussfolgerungen für das politische Handeln der Partei zu ziehen.
Inzwischen zeigen sich Folgen des demographischen Wandels bereits in vielen Lebensbereichen. Die damit verbundenen Herausforderungen werden jedoch nicht mit bloßen ökonomischen Antworten zu lösen sein, worauf der renommierte Altersforscher Prof. Paul B. Baltes schon vor Jahren aufmerksam gemacht hat.
Wenn Schlussfolgerungen oft nicht die gewünschte Wirkung zeigen oder sich sogar gegenseitig blockieren, dann auch deshalb, weil die ganze Vielfalt der Wechselbeziehungen des demographischen Wandels nicht berücksichtigt wird. Ein beredtes Beispiel ist der seit 1991 zu beobachtende Weggang junger Fachkräfte aus den neuen Bundesländern. Die staatlich geförderte und z.T. subventionierte "Flexibilität" und die damit bewirkte
Abwanderung von etwa 1,2 Mio. junger Frauen, meist im gebärfähigen Alter, war sicher nur ein befristeter Gewinn für die Entlastung des Arbeitsmarktes dürfte aber in de nächsten Jahren erhebliche negative Folgen nicht nur für die Bevölkerungsstruktur in dieser Region haben.
Um die realen Herausforderungen des Querschnittsproblems „Demographischer Wandel“ langfristig zu bewältigen sind voneinander isolierte Aktivitäten einzelner Ressorts mit Sicherheit nicht ausreichend. Es bedarf ganz offensichtlich einer Art gesamtgesellschaftlichen Konzepts. Ob die LINKE das leisten zu leisten vermag oder ob sie es einfordern muss - auch das wäre weiter zu erörtern.
Interessenten an diesem Thema sind herzlich zur Mitarbeit eingeladen. Ansprechpartner ist die Seniorenarbeitsgemeinschaft der LINKEN : ag.senioren@die-linke.de.
Helmut Schieferdecker
Mitglied des Sprecherrates
Weitere Informationen
Thematische Konferenz "Positionen zum demografischen Wandel und Konsequenzen für DIE LINKE" am 22. November 2007, 10.00 bis 16.00, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin
Mit: Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE; Prof. Ernst Kistler, Direktor am Internationalen Institut für empirische Sozialökonomie INFES; Dr. Wolfgang Weiß, Universität Greifswald; Heidemarie Lüth, Bürgermeisterin in Chemnitz, und Jörn Wunderlich, MdB, Sprecher für Familien- und Seniorenpolitik