Überführung des Stabilitätspaktes in einen Solidaritätspakt
Parteivorsitzender Lothar Bisky auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus nach der Beratung der Landes- und Fraktionsvorsitzenden der Partei DIE LINKE am 11. Oktober 2008 und der Sitzung des Geschäftsführenden Parteivorstandes am 13. Oktober 2008
Meine Damen und Herren, DIE LINKE ist in der Europäischen Linkspartei sehr aktiv. Wir werden das bleiben, da wir als pro-europäische Partei die EU kritisch begleiten und mit alternativen politischen Vorschlägen mitgestalten wollen. Der Vorstand der Partei der Europäischen Linken hat am Wochenende in Athen getagt und eine Vielzahl von Themen behandelt, beispielsweise den Kaukasus-Konflikt und die aktuelle Finanzmarktkrise.
Zunächst befasste sich der Vorstand mit der Kampagne der Europäischen Linken gegen unsichere Beschäftigung, der Kampagne gegen die zunehmende Prekarisierung. Am 25. Oktober wird in Brüssel dazu eine europaweite Kundgebung stattfinden. Wir halten Brüssel für den geeigneten Ort, weil sich die Parteien aus unterschiedlichen Ländern daran beteiligen, jedes Land auf seine eigene Weise. Es gibt von den verschiedenen Parteien sehr unterschiedliche Aktivitäten. Ich halte das auch für wichtig, zu dieser Erscheinung deutlich Stellung zu nehmen. Diese Kundgebung soll öffentlich machen, dass immer mehr Menschen, auch die, die Arbeit haben, von ihrer Arbeit nicht leben können. Das ist eine besorgniserregende Tendenz in Europa. Lohndumping gehört zur Kehrseite der Medaille einer Wirtschafts- und Finanzpolitik, die den unregulierten Markt als Freiheit missversteht. Diese Art des Wirtschaftens und der entsprechenden Politik findet sichtbar keine Antworten auf die eigenen Krisen. Das Trudeln der Finanzmärkte hinterlässt eher eine Menge offener Fragen, in Deutschland und in den anderen Ländern.
Beispielsweise: Wie kommen wir zu einer gerechten Weltwirtschaftsordnung und einem internationalen Finanzsystem, das so reguliert ist, dass Beschäftigung und Wohlstand entstehen?
Der Vorstand der Europäischen Linkspartei hat sich umfassend zur Krise der Finanzmärkte beschäftigt. Eigentlich müssten die Regierungen jetzt das irische Nein zum Lissaboner Vertrag begrüßen. Im Art. 100 des Vertrages werden Interventionen des Staates zugunsten privater Unternehmen verboten. Nun ist der Vertrag nicht gültig und die europäischen Regierungen können ihre staatlichen Milliardenhilfen für das Bankensystem verabschieden. Da sollten wir uns alle bei den Iren bedanken. Deshalb können unsere Regierungen – und das müssen sie auch – dem Bankensystem beistehen.
Aus der Perspektive der Europäischen Linken fordern wir:
- dass sich das politische Handeln der Regierungen und die Rettungsmaßnahmen strikt an den Interessen der „kleinen Leute“ orientieren, die Kaufkraft nicht weiter abwürgen und die Realwirtschaft ankurbeln. Ich will hinzufügen, dass die Verursacher der Krise ihren, wenn auch bescheidenen Beitrag zur Lösung der Krise in Form von individueller Verantwortlichkeit und Zahlung tragen sollten.
- Die Krise muss ein Ausgangspunkt für eine Re-Regulierung der Finanzmärkte werden.
- Dazu gehören auf europäischer Ebene eine Neuausrichtung der Zielstellung der Europäischen Zentralbank und die Überführung des Stabilitätspaktes in einen Solidaritätspakt. Das heißt, Beschäftigung und Wachstum sollen neben der Preisstabilität gleichrangige Ziele werden. Wer nur Preisstabilität zum Ziele hat, der wird die Krise, die gegenwärtig alle erreicht hat, nicht bewältigen können. Wir fordern dort eine andere Politik ein. Immerhin hat die Europäische Linkspartei über 400.000 Mitglieder, wir werden diese Forderungen überall vertreten.
Auf der Vorstandssitzung der Europäischen Linkspartei haben wir uns auch über den Entwurf einer gemeinsamen Wahlplattform der Europäischen Linken verständigt. Dieser Entwurf wird jetzt in den Mitgliedsparteien diskutiert. Diese Diskussion wird am 29. und 30. November in Berlin in einer Wahlkonferenz münden, auf der dann die Wahlplattform verabschiedet wird. Dazu lade ich auch Sie herzlich ein.
Das neue an dieser gemeinsamen Wahlplattform ist, dass sich 17 Mitglieder- und 11 Beobachterparteien der Europäischen Linken auf einige wesentliche Punkte verständigen, unter denen sie dann gemeinsam und europaweit zu den Wahlen zum Europäischen Parlament antreten. Auf diese Weise wollen wir als Europäische Linke in Europa mit einer Plattform inhaltlich und auch mit Gesichtern im Wahlkampf erkennbar sein. Das Ziel ist, dass die Europäische Linke als politische Kraft für die Bürgerinnen und Bürgern in den einzelnen Ländern kenntlich wird. Die Wahlplattform der Partei der Europäischen Linken wird auch die Debatte in der LINKEN hier in Deutschland um das Wahlprogramm zur Europawahl beflügeln. In der vergangenen Woche hat der Parteivorstand nach einer intensiven Debatte im Vorstand am 29. September einen Entwurf für ein Europawahlprogramm in die parteiöffentliche und parteioffene Diskussion gegeben. Während hier der Entwurf von Oskar Lafontaine und mir aktualisiert und aus der Vorstandsdebatte heraus überarbeitet wurde, gab es vereinzelt Meldungen vom „Durchfallen“ des Entwurfs. Das ist nicht der Fall. Manchmal sind linke Debatten in einem viel ruhigeren Fahrwasser, als es mancher wahrnehmen möchte. Das Ergebnis des Entwurfs, der bis zum 30. November mit Kommentaren, Ergänzungen und Anregungen qualifiziert werden wird, finden Sie auf unserer Internetseite.
Danach wird der Leitantrag zum Europaparteitag Ende Februar/Anfang März 2009 vom Vorstand erarbeitet.
Ich möchte Ihnen als letzten Punkt mit einer gewissen Freude mitteilen, dass wir ein Treffen mit der Linken Lateinamerikas hatten, an der Vertreter aus Bolivien, Venezuela, Kuba, Chile und anderen Ländern teilgenommen haben. Wir haben vereinbart, die politischen Aktivitäten zu koordinieren und uns mehr aufeinander zu beziehen. Wir haben auf diesem Treffen auch mehrfach die Namen immer wieder genannt, auf die wir uns alle beziehen – in Südamerika und in Europa – von Che Guevara bis Morales, von Rosa Luxemburg bis Willy Brandt. Wir werden die positiven Traditionen, die in der Geschichte auch da sind, aufarbeiten. Unser Ziel ist aber keine Geschichtsdebatte. Unser Ziel ist, dass die Linken in Lateinamerika und in Europa ihre Zusammenarbeit verstärken, weil wir ähnliche Fragestellungen und auch ähnliche Problemlagen haben. Wir wollen uns Mühe geben, dass wir den Eurozentrismus etwas aufgeben und wir feste Beziehungen zu Lateinamerika entwickeln. Das halten wir auch für die Zukunft unserer Länder für wichtig.