Überlegungen zur Corona-Warn-App
Ein Positionspapier der AG Netzpolitik Köln (Nadine Mai, Katharina Loeber, Harjin Esmael, Daniel Schwerd, Murat Yilmaz)
Seit dem 16. Juni kann sich nun jeder die lange erwartete Corona-Warn-App herunterladen. Im Vorfeld hat sich die Bundesregierung nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Auf Druck von Experten und Netzwerkaktivisten wurde letztendlich vom zentralen Ansatz Abstand genommen und stattdessen eine App entwickelt, die auf einem dezentralen Ansatz mit Anonymität und Datensparsamkeit basiert.[1] Datenschutzexperten und Netzaktivisten wie der Chaos Computer Club (CCC) stufen sie nun als wenig bedenklich ein.
Die Corona-Warn-App soll ein Baustein zur Eindämmung des Virus sein. Bei genauerer Betrachtung gibt es jedoch weiter offene Fragen sowohl auf der technischen als auch auf der politischen und sozialen Ebenen.
Deutlich sticht dabei heraus, dass die App, wie von der Bundesregierung angekündigt, freiwillig und dezentral aufgebaut ist. Für die Nutzung ist keine Registrierung notwendig, es müssen keinerlei persönliche Daten preisgegeben werden, somit arbeitet die App sehr datensparsam. Positiv ist ebenfalls hervorzuheben, dass es sich um ein Open-Source-Projekt handelt. Der Quellcode und Datenschutzkonzept sind öffentlich und können jederzeit von jedem eingesehen werden.
Zum ersten Mal sind Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, freiwillige IT-Experten und Datenschutzrechtlern in einer Open-Source-Entwicklung zusammengekommen, sodass man in der Tat von Transparenz und Qualität sprechen kann.
Trotz Lob, gibt es weiterhin Bedenken: auf der technischen Ebene funktioniert die App nur auf den gängigen Betriebssystemen iOS und Android, ältere Mobilendgeräte sind davon ausgeschlossen. Für die iPhone-Modelle wird die iOS-Version 13.5 und beim Android-Version ab Android 6 benötigt. Damit können sich ca. 20 Prozent der iPhone-User und ca. 10 Prozent der Android-User die App nicht installieren.[2]
Laut Aussage des Telekom Vorstandsvorsitzenden Timotheus Höttges besitzen etwa 52 Mio. Menschen ein Smartphone. Ca. 15.86 Mio. können die App nicht nutzen, da sie ein älteres Smartphone haben.
Das betrifft vor allem Menschen mit geringem oder gar keinem Einkommen, die sich nicht mal eben eine neues Smartphone anschaffen können. Es sind gerade die finanziell Schwachen, die besonders gefährdet sind, sich mit dem Virus anzustecken. Sie leben meist in großen Mehrfamilienhäusern oder Wohnblöcken, wo sie vielen Menschen begegnen. Die Wahrscheinlichkeit sich anzustecken ist somit schon wesentlich höher.
Darüber hinaus wurde bei der Entwicklung der App die Sprachbarrieren nicht berücksichtigt, denn viele in Deutschland lebenden, sind der deutschen Sprache nicht mächtig. Es wurden zwar weitere Sprachen angekündigt, es stellt sich die Frage, warum das von Beginn an nicht berücksichtigt wurde.[3]
Warum die Bundesregierung nicht alle Menschen bei so einem großen Projekt berücksichtigt hat, das 20 Mio. Euro Steuergelder gekostet hat, wo weitere offene Kosten für die Weiterentwicklung der App anstehen sowie weitere ca. 45-50 Mio. Euro Folgekosten für die Wartung, Pflege und Betrieb der Servers für die Jahre 2020/21 geplant sind, ist mehr als nur bedenklich und sozial ungerecht![4]
Die Bundesregierung geizt selbst nicht mit Eigenlob und spricht von der Marke „Made in Germany“. Für die Kerntechnologie, eine Schnittstelle, die von Apple und Google geschaffen wurde, gilt dies jedoch nicht. Es ist nicht ersichtlich, wie diese Schnittstelle arbeitet und welche Daten letztendlich nun doch verarbeitet werden. Bei Android-Geräten muss nicht nur Bluetooth sondern auch die Standortermittlung eingeschaltet sein, damit die App ihren Zweck erfüllen kann. Lt. Google greift die App auf die Standortdaten zwar nicht zu, da aber die Funktion der Schnittstelle nicht bekannt ist, ist es letztendlich nun doch ungewiss, ob die Daten nicht bei Google gespeichert werden. Da die beiden US-Tech-Konzerne die Quellcodes nicht veröffentlichen, muss es hier eine gesetzliche Regelung für die Befristung und die Haftung von Missbrauch der Schnittstelle unbedingt eingeführt werden.
Diskriminierung kann bis dato immer noch nicht ausgeschlossen werden. Auch hier wurde darauf bisher verzichtet, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die beispielsweise den Zutritt in Geschäfte und Freizeitattraktionen mit der Corona-Warn-App verknüpft möglich ist, untersagt. Die App ist zwar freiwillig, auf diesem Weg kann sie jedoch durch die Hintertür am Ende nun doch zu einer Pflicht werden. Besondere Freiheiten, wie der Besuch eines Konzertes, des Freibades o.ä. an die Installation der Corona-Warn-App zu knüpfen, ist unseres Erachtens zu unterlassen.[5]
Auf keinen Fall darf die Corona-Warn-App dazu benutzt werden, um so Personal in den Gesundheitsämtern sparen zu können, eine höhere Anzahl der Mitarbeiter für die Verfolgung von Kontakten Infizierter ist auch mit Einführung dieser App unabdinglich. Sie kann ein funktionierendes Gesuchtheitssystem nicht ersetzen. Die Gesundheit ist zweifelsfrei eines der höchsten Güter, das wir haben. Der Gesundheitsschutz darf aber zu keinem Zeitpunkt dazu missbraucht werden, die Freiheitsrechte und das Recht auf Datenanonymität der Bürger zu verletzen oder gar zu untergraben.
Die Corona-Warn-App hat viele positive Aspekte, jedoch überlassen wir es den digital mündigen Bürgern, die negativen Aspekte abzuwägen und auf dieser Grundlage zu entscheiden ob sie sich diese App nun installieren möchten oder nicht.
Anmerkungen
[1] www.golem.de/news/corona-app-300-wissenschaftler-warnen-vor-zentraler-datenspeicherung-2004-147973.html?xing_share=news. (21. April2020)
[2] t3n.de/news/corona-warn-app-welche-iphones-android-smartphone-kompatibel-1291459/ (25. Juni 2020)
[3] www.sueddeutsche.de/politik/corona-app-reinickendorf-gesundheitsamt-1.4939185 (18. Juni 2020)
[4] www.computerwoche.de/a/darum-hat-die-corona-warn-app-20-millionen-gekostet,3549263 (18. Juni 2020)
[5] www.sueddeutsche.de/politik/corona-warn-app-smartphone-pflicht-1.4937787?fbclid=IwAR1chDg_LZsbUWDqe8mcE-1rH-jNKORBBmxx9fBjUst2tXiGrYpOJcCRfxc (17. Juni 2020)