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"Verfassungsschutzbericht Bayern": Peinliches Sammelsurium aggressiver CSU-Agitation gegen die LINKE

Den "politischen Kreuzzug gegen die Partei von Oskar Lafontaine", den der farblose CSU-Chef Erwin Huber gerade mit Schaum vor dem Mund öffentlich ausgerufen hat, gibt es längst. Geführt wird er, wie bei politischen Kreuzzügen üblich, ganz undemokratisch, auch mit Geheimdienstmitteln.

Von Stefan Wogawa

"Der Beitritt der WASG zur Linkspartei.PDS hat an der linksextremistischen Ausrichtung der umbenannten Partei DIE LINKE nichts geändert. Es gibt daher keinen Grund, ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz einzustellen." Vollmundig geht der vom CSU-Innenministerium im Frühjahr 2008 herausgegebene so genannte "Verfassungsschutzbericht Bayern 2007" gegen die LINKE aufs Ganze. Die eben zitierte Textpassage im Vorwort des Berichts wird bruchlos mit dem Verweis auf "linksextremistisch motivierte Gewalttaten" fortgesetzt, beim Lesen muss fast zwangsläufig der Eindruck entstehen, dass Gewalttaten von der direkt vorher benannten Partei DIE LINKE ausgehen - ein Paradebeispiel für gezielte politische Beeinflussung. Erst 18 Seiten später wird erläutert, dass Bayerns Geheimdienst das "linksextremistische Gewaltpotenzial" vor allem dem autonomen und anarchistischen Spektrum zuordnet. Dennoch fällt die geheimdienstliche Prosa über DIE LINKE in der Einführung zum angeblichen "Linksextremismus" mit 34 gegenüber 20 Zeilen erheblich umfangreicher aus als die über den "gewaltbereiten Linksextremismus".

Im detaillierten Textteil widmen die freistaatlichen Geheimen der LINKEN sogar deutlich mehr Aufmerksamkeit als der neofaschistischen NPD, nämlich 19 gegenüber 14 Seiten. Auch so lassen sich politische Vorlieben gut illustrieren. CSU-Innenminister Joachim Herrmann bekräftigte das in seiner Rede anlässlich der Vorstellung des "Verfassungsschutzberichtes" sogar. Der Mann trägt, nebenbei gesagt, nur zufällig den gleichen Namen wie das einstige SED-Politbüromitglied Joachim Herrmann (1928-1992), zuständig für Agitation und Propaganda. Für CSU-Herrmann ist DIE LINKE jedenfalls speziell "deswegen gefährlich, weil sie nicht offensichtlich kämpferisch aggressiv" auftritt. So einfach wie absurd kann die Begründung für die Bespitzelung Andersdenkender sein.

Aufgabe des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz sei der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung", heißt es im einschlägigen Landesgesetz. Die Verlautbarungen des Amtes lassen erheblich zweifeln, ob diese Aufgabe erfüllt wird. Im Gegenteil, der "Verfassungsschutzbericht" ist ein unappetitliches Gewirr aus unbewiesenen Vorwürfen und Verdächtigungen, Mutmaßungen, Vorurteilen und Manipulation. Entstanden ist ein fragwürdiges politisches Instrument der CSU, das mehr über seine Verfasser aussagt als über die auszuspähenden Objekte der staatlichen Begierde. An einer Stelle lässt der Geheimdienst unverblümt die Katze aus dem Sack. Methode bei der Charakterisierung der LINKEN sei die "Auslegung ihrer programmatischen Äußerungen".

Im Klartext: es handelt sich um Exegese, parteiische Kaffeesatzleserei der Agenten und ihrer Auftraggeber aus der CSU. Entstanden ist, kaum verwunderlich, ein Sammelsurium inhaltlicher Peinlichkeiten. Der amtliche Text zur Partei DIE LINKE unterscheidet sich dabei nicht von der schmutzigen Wahlkampfpropaganda, die von den Unionsparteien regelmäßig gegen die neue linke Konkurrenz produziert wird.

Im Mittelpunkt steht auch im Bayerischen "Verfassungsschutzbericht" das Bekenntnis zum "demokratischen Sozialismus", das in den Programmatischen Eckpunkten der Partei DIE LINKE formuliert wird. Der Geheimdienst wähnt, dahinter ganz Böses zu erschnüffeln. Warum, das bleibt im Dunkeln. Der "demokratische Sozialismus" findet sich zudem als zu verwirklichende Vision auch im aktuellen SPD-Parteiprogramm, erst im vergangenen Jahr beschlossen. Wird die SPD in Bayern künftig gleich mit überwacht?

Immer wieder lässt der Einfallsreichtum der Schlapphüte staunen. So wird behauptet: "Die Beseitigung des Kapitalismus, die Überwindung des mit ihm verbundenen Systems der Freiheit und der Demokratie im Sinn unseres Grundgesetzes (...) gehören somit (...) zu den Zielen der Partei, die vor allem außerparlamentarisch erreicht werden müssten." Belege für diese dreiste Erfindung - Fehlanzeige. Grundlage ist statt handfester Fakten wohl eine Mentalität, den Roten müsse man alles zutrauen. Das Bundesverfassungsgericht bekräftigte übrigens 1979 in einem Urteil, das "Grundgesetz (...) enthält keine unmittelbare Festlegung und Gewährleistung einer bestimmten Wirtschaftsordnung". Bis zum Verfassungsschutz, der dieses Grundgesetz ja schützen soll, hat sich das entweder noch nicht herumgesprochen, oder es wird schlicht ignoriert.

Besonders monieren sich die Geheimen über ein "Bekenntnis zum außerparlamentarischen Kampf" der LINKEN (in deren Programmatischen Eckpunkten heißt das allerdings "außerparlamentarische Arbeit"). Politische Aktivitäten abseits der Parlamente, also beispielsweise von Gewerkschaften, Umweltorganisationen, Verbraucherverbänden und Bürgerinitiativen, werden von obrigkeitsstaatlich orientierten Sicherheitsbehörden in Bayern misstrauisch beäugt. Das CSU-Innenministerium, Auftraggeber des Verfassungsschutzes, scheint dem einfachen Bürger die passive Rolle zuzuordnen, sich nach dem Wahlakt bloß nicht mehr in politische Fragen einzumischen.

Ein Paradestück geheimdienstlicher Desinformation leistet sich der Bericht bei Lothar Bisky, einem der Vorsitzenden der LINKEN. Man zitiert aus seiner Rede auf dem letzten Parteitag der Linkspartei.PDS im Juni 2007: "Wir stellen die Systemfrage!" Im Bericht wird das als Beweis angeführt, die LINKE wolle "die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der heutigen Bundesrepublik überwinden". Biskys Ergänzung unterschlägt der Bayerische Geheimdienst elegant. Bisky hatte angefügt: "Das tun wir nicht in der Plattheit, wie es unsere politischen Gegner gern darstellen - zurück zum gescheiterten Realsozialismus, so wie er war - und indem wir alles verstaatlichen wollten oder keinen Platz für erfolgreiche, ökologisch und familienorientierte Unternehmen in unserem Denken hätten.  Nein, so weltfremd sind wir nicht." Im "Verfassungsschutzbericht" wird stattdessen frech behauptet, die LINKE sei nach wie vor "vom gescheiterten Sozialismusversuch in der DDR überzeugt".

Bayerns Agenten monieren auch, in der LINKEN gebe es "zahlreiche" frühere SED-Mitglieder (Zahlen nennen sie nicht). Aber was ist mit den vielen Mitgliedern der CDU der DDR (Regierungspartei neben der SED!), die heute in den Unionsparteien sind? Zu ihnen zählt Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus, Karrierefunktionär im sozialistischen Bildungswesen der DDR, der noch im Sommer 1989 mit der "Medaille für hervorragende Leistungen bei der kommunistischen Erziehung in der Pionierorganisation Ernst Thälmann in Gold" ausgezeichnet wurde. Distanziert sich die CSU von Althaus, findet man ihn im "Verfassungsschutzbericht"? Nein, stattdessen gab es im April 2008 folgende offizielle Meldung: "Die Bayerische Staatsregierung und die Landesregierung von Thüringen haben sich heute unter dem Vorsitz der Ministerpräsidenten Dr. Günther Beckstein und Dieter Althaus zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung in Bayreuth getroffen". Ob da unter Kollegen über die Medaille für kommunistische Erziehung gesprochen wurde? Apropos SED: CSU-Ikone Franz-Josef Strauß war der einzige Bundesbürger, der die Erlaubnis der SED-Führung hatte, mit seiner Privatmaschine im Luftraum der DDR zu fliegen und mitten in der Blockkonfrontation des Kalten Krieges die am besten bewachte Grenze der Welt zu überqueren.

Natürlich wird auch der Popanz "Kommunistische Plattform" vom Verfassungsschutz aufgebaut. Dieser Gliederung gehören nicht einmal 1,5 Prozent der Mitglieder der LINKEN an. Merkwürdig: der "Verfassungsschutzbericht" rechnet ausgerechnet die "Antifaschistische Bündnisarbeit" der Plattform negativ auf, sie trete für ein Verbot der NPD ein. Ist das etwa "Extremismus", ein Thema für den Inlandsgeheimdienst? Auch dem Landesverband Bayern der LINKEN wird das Engagement gegen die NPD besonders angekreidet. Antifaschistische Demonstrationen, Proteste gegen eine Mahnwache der NPD, Gegendemonstration gegen die "Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik", die Teilnahme am Gedenkmarsch für die von rechter Soldateska ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, solches zivilgesellschaftliche und bürgerschaftliche Engagement gerät im "Verfassungsschutzbericht" unter Generalverdacht. Auch Kritik am "fortschreitenden Sozialabbau in der Gesellschaft" und der "Gesundheitsreform" sowie Forderungen nach "Einführung eines Mindestlohns", der "Heranziehung sämtlicher Einkommen für die gesetzliche Rente" oder "den Stopp von Privatisierungen" werden als "extremistisch" denunziert. Der LINKEN hält man sogar die "Teilnahme an Wahlen" vor. Zahlreiche Zitate von Bundes- und Landtagsabgeordneten machen deutlich, dass der Überwachungswahn auch vor Parlamentsmitgliedern nicht Halt macht. Erwähnen wird sogar die Aussage von Oskar Lafontaine, dass Demokratie die Aufgabe der Machtkontrolle im Auge behalten müsse. Offenbar in den Augen der CSU-Sachwalter ein gefährlicher Ansatz...

Pure Heuchelei stellen Vorwürfe an DIE LINKE dar, sie habe angeblich "vielfältige Verbindungen und Kontakte zu ausländischen kommunistischen Parteien und anderen ausländischen Linksextremisten". Im Frühjahr 2007 hatte Edmund Stoiber keine Berührungsprobleme mit der Sozialistischen Republik Vietnam, einem Einparteienstaat. Bei seinem Besuch begrüßte ihn der Premierminister, der natürlich der Kommunistischen Partei Vietnams angehörte. In der Lesart des Bayerischen Verfassungsschutzes ist auch der ein "ausländischer Linksextremist".

Angeführt wird im Bericht auch eine Veranstaltung der LINKEN mit einem Funktionär der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Stört es etwa, dass die KPÖ wesentlicher Träger des österreichischen Widerstandes gegen die Nazis war? Die Kontakte von CSU-Politikern zur rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) finden sich im "Verfassungsschutzbericht" nämlich nicht. Edmund Stoiber reiste seinerzeit als erster Staatsbesucher bei der umstrittenen Regierung aus konservativer Österreichische Volkspartei (ÖVP) und FPÖ in Wien an, während 14 EU-Staaten und die EU-Kommission in Erklärungen Bedenken gegen diese Koalition äußerten und bilaterale Kontakte begrenzten. Wie wichtig diese Hilfe war, illustriert eine Begebenheit beim CSU-Parteitag im September 2007. Als Gastredner trat ÖVP-Chef Wilhelm Molterer auf. Er dankte Stoiber und der CSU: "Wir werden euch das nie vergessen!" Der "Verfassungsschutzbericht" schweigt dazu.

Heribert Prantl, der angesehene Leiter des Politikressorts der Süddeutschen Zeitung, hat im Juni 2007 die Aktivitäten des Bundesverfassungsschutzes gegen die LINKE sehr kritisch kommentiert: "Er schafft sich seine Arbeit selbst und er schafft sich immer mehr davon. Er tut, was er gar nicht tun müsste, er tut sogar, was er gar nicht tun dürfte. Er beobachtet nicht nur Verfassungsfeinde, sondern auch bloße Kritiker der herrschenden Politik und Kritiker der Arbeit der Verfassungsorgane. Er überwacht auch Parlamentarier. Wenn der Verfassungsschutz die Maßstäbe und die Kriterien verallgemeinert, die ihn veranlasst haben, die Linkspartei zu beobachten, dann kann er sich künftig "Zentrale Kritik-Registrier- und Beobachtungsstelle" nennen."
Dem ist nichts hinzuzufügen.

Stefan Wogawa ist Autor des Buches *Die Akte Ramelow. Ein Abgeordneter im Visier der Geheimdienste" (Berlin 2007)