Was folgt aus dem Rechtsruck?
Von Axel Troost, stellvertretender Vorsitzender der Partei DIE LINKE und finanzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE
Die Ergebnisse des Wahlsonntags in drei Bundesländern haben einen deutlichen Rechtsruck in der bundesdeutschen Gesellschaft dokumentiert. In erster Linie zeigt sich die Rechtsverschiebung im Wahltriumpf der AfD. Aber auch der Niedergang der Sozialdemokratie in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt sowie die Verschiebung der politischen Kräfteverhältnisse innerhalb der Grünen zeigt die Veränderung der Kräfteverhältnisse. Unbestritten ist auch: Die Linkspartei hat in diesen Wahlen eine massive Niederlage eingefahren.
Nach solchen Ergebnissen können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Unstrittig ist, dass wir eine selbstkritische Debatte führen müssen. Trotzdem – so meine Kritik – kann man nicht vor die Presse gehen und Vorstellungen für einen neuen Kurs vor allem in der Flüchtlingspolitik präsentieren. Auch der linke Flügel unserer Partei stimmt zu, dass zu diesen Fragen eine breite parteiinterne Debatte und Entscheidungsfindung nötig ist. Zugleich monieren die Vertreter dieser Strömung, dass es nicht akzeptabel ist, dass Sahra Wagenknecht diese im Alleingang in der Öffentlichkeit propagiert und die Mitgliedschaft vor vollendete Tatsachen stellt. Wenn, und das ist weitgehend unwidersprochen in der Partei, die sozialen Folgen neoliberaler Politik, des Kahlschlags im öffentlichen Bereich und der Entdemokratisierung die entscheidenden Gründe für Verunsicherung und Frustration sind, die sich auch in AfD-Zustimmung niederschlagen, dann müsse auch die Mitverantwortung von SPD und Grünen dafür konsequenter benannt werden, statt Rücksicht auf rot-rot-grüne Bündnisfragen zu nehmen.
Auch ich sehe den Vorstoß von Wagenknecht kritisch: diese Verletzung der Regeln innerparteilicher Demokratie ist eine schwere Hypothek für die unaufschiebbare selbstkritische Bilanz unserer Politik und der unterliegenden strategischen Optionen.
Die Fraktionsvorsitzende fordert, die Partei müsse die Kanzlerin Angela Merkel schärfer angreifen und soziale Ungerechtigkeiten im Programm der AfD entlarven, die rechtspopulistische Partei aber nicht verdammen. "Wir müssen uns mit der AfD sachlich auseinandersetzen und dürfen sie auch nicht dämonisieren."
Entscheidend in der Debatte: Sahra Wagenknecht sieht in der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel die Hauptverantwortung für das Erstarken der rechtspopulistischen Partei AfD. Mit ihrer "Politik einer unbegrenzten Zuwanderung" ohne "gleichzeitige soziale Abfederung" habe Merke in der Bevölkerung ein Klima geschaffen, in der die AfD nur noch habe "ernten" müssen. Die Linkspartei habe sich bei Merkels Flüchtlingspolitik "mitverhaften" lassen. Wagenknecht wirft der Regierung und der Bundeskanzlerin vor, einen "europäischen Scherbenhaufen neoliberaler Verträge und einer Arroganz" angerichtet zu haben. An den wirklich wichtigen Problemen werde nichts getan. Fast ein Viertel der EU-BürgerInnen lebe inzwischen in Armut: "Und da wundern Sie sich, dass sich immer mehr Menschen von Europa abwenden?" Das sei erschreckend, aber erstaunlich sei das nicht. Merkel habe "ausgerechnet" den türkische Präsident Erdogan, "der eine personifizierte Fluchtursache" sei, als Partner ausgewählt.
Die These, dass sich die Linkspartei bei der Bundeskanzlerin untergehakt habe und daher von den WählerInnen für den berechtigten Unmut über die Bundesregierung mit verhaftet worden sei, halte ich für völlig unbegründet. Die entschiedene Kritik an der neoliberalen Sparpolitik in Deutschland und an der entsprechenden Ausrichtung der Ordnungspolitik in Europa ist zu keinem Zeitpunkt aufgeweicht worden.
Und auch die Überlegungen von Oskar Lafontaine auf den NachDenkSeiten vom 17.3.16 halte ich für Stimmungsmache: "Und wir brauchen auch eine ehrliche Strategiedebatte in der LINKEN. Ich habe vor Wochen europäische Kontingente zur Flüchtlingsaufnahme gefordert. Das ist keine Obergrenze, weil ich bewusst keine Zahlen für die einzelnen Kontingente genannt habe. … Immer häufiger werde ich von enttäuschten Wählern gefragt: Kennt DIE LINKE nicht nur bei Renten, Arbeitslosengeld oder sozialem Wohnungsbau, sondern auch bei der Flüchtlingsaufnahme eine Ausgaben-Obergrenze? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Und auch die Millionärssteuer können wir nicht mehrfach ausgeben …"
Ich teile die von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine ins Gespräch gebrachte Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik überhaupt nicht. Wir haben uns von Beginn an für eine europäische Lösung eingesetzt, bei der die Stärkung der UN-Hilfsorganisationen eine zentrale Rolle erhalten sollte. Wir forderten einen Ausbau der Finanzierung für die Vororthilfen der UN-Hilfsorganisationen sowie eine umfassendes Investitionsprogramm für den Nahen Osten. Die europäischen Mitgliedsländer sollten darüber hinaus vor allem Griechenland bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms unterstützen. Um den Ansturm der Flüchtlingsmassen zu bewältigen braucht Griechenland von der EU das Nothilfepaket von 700 Mio. Euro.
Die europäische Lösung ist die Grundlage für die Beurteilung der Regierungspolitik. Wir sollten bei der Kritik der Kanzlerin die europäischen Konfliktlinien im Auge behalten. Auch die aus Protest zurückgetretene linke Arbeitsministerin der sozialistischen Partei Frankreichs, Martine Aubry, hat gegenüber dem jetzigen Premierminister Valls das Argument von der Hauptursache Merkel zurückgewiesen: "Nein, Angela Merkel ist nicht naiv, Herr Premierminister. Nein, sie hat keinen historischen Irrtum begangen. Nein, sie hat Europa nicht in eine gefährliche Lage gebracht, sie hat es gerettet. Sie hat es vor der Schande gerettet, unsere Grenzen für vor Verfolgung und Tod fliehenden Frauen, Männern und Kindern komplett zu schließen, und all die zu vergessen, die Tag für Tag im Mittelmeer ihr Leben lassen. Nötig wäre, gegenüber jenen europäischen Ländern entschlossen aufzutreten, die sich mit Blick auf die Flüchtlinge jeglicher Solidarität und Verantwortung entledigen. Frankreich darf nicht dazu gehören. Wenn Frankreich sich auf seine Werte beruft – wie es in seiner Geschichte gezeigt hat, als es die Gegner der Diktaturen aufgenommen hat – ist es ein respektiertes, bewundertes und geliebtes Land. Das verpflichtet die Frauen und Männer, die es regieren. Frankreichs Mission ist nicht, Mauern hochzuziehen, sondern Brücken zu bauen. Ohne die Dimension der Probleme auch nur einen Augenblick zu leugnen, erwarten wir von Frankreich, dass es sich auf die Seite derer stellt, die handeln."
Im Laufe des Jahres 2015 hat sich der Großteil der Flüchtlingsbewegung über die Balkanroute nach Österreich, Skandinavien und Deutschland vollzogen. Die Verschärfung der Grenzregime hat zu Beginn des Jahres 2016 die Verhältnisse verändert. Die Abschottung der nationalen Grenzen und die Einführung von Obergrenzen sind kein nachhaltiger Beitrag zur Lösung der europäischen Flüchtlingskrise. Angesichts des wachsenden politischen Drucks, den die Regierungen der europäischen Mitgliedsländer auf die Länder der Balkan-Route ausüben, droht die Isolierung Griechenlands. Daher begründet sich der Versuch, die Türkei in eine gesamteuropäische Lösung einzubinden.
Eine gesamteuropäische Lösung unterstellt eine umgehende Unterstützung für Griechenland. Die versprochene Hilfe der EU-Partner wegen der dramatischen Lage in Griechenland läuft viel zu langsam an. Die EU-Kommission konnte die Katastrophenmittel von 700 Mio. Euro bislang noch nicht auszahlen und von den zugesagten Hilfen seitens der Mitgliedstaaten hat Athen noch überhaupt nichts oder nur sehr wenig erhalten.
Soll Griechenland nicht in dem Flüchtlingsstrom der nächsten Monate untergehen, bedarf es außer den EU-Hilfsmitteln eines Kooperationsabkommens mit der Türkei. Hier geht es nicht um einen politischen Blanko-Check für ein autoritäres Regime, sondern um Kooperation in einigen Punkten. Vor allem Menschenrechtsorganisationen protestieren zu Recht gegen einen Deal mit der Türkei. Ein sicherer Drittstaat ist die Türkei nicht. Die türkische Regierung ist ein problematischer Partner: Sie missachtet Grundrechte im Umgang mit den eigenen BürgerInnen, diskriminiert Frauen, bedrängt Medien und Journalisten. Minderheiten werden benachteiligt und an der Teilnahme am politischen Diskurs gehindert. Vor allem die Kurdenpolitik ist unakzeptabel. Anzunehmen, die türkische Regierung werde sich sorgfältig und auf der Höhe europäischer Standards an die internationalen Konventionen zum Umgang mit Minderheiten und Flüchtlingen halten, ist realitätsfern. Da eine Eskalation der Bürgerkriegs mit den Kurden nicht auszuschließen ist, muss eine Verabredung mit dem türkischen Staat in Sachen Flüchtlingspolitik sehr genaue Regelungen enthalten.
Gleichzeitig ist unübersehbar: Die Flüchtlingskrise gefährdet zunehmend das Projekt Europa. Immer mehr Staaten errichten Grenzkontrollen. Der seit den letzten Jahrzehnten zu registrierende Umbruch in der Weltordnung schafft in vielen Länder der früheren dritten Welt eine Mixtur von Unterentwicklung, Arbeitslosigkeit, Konflikten um gesellschaftlich-religiöse Minderheiten, die sich vielfach in Kriegen und Bürgerkriegen entladen. Aktuell ist der wichtigste Push-Faktor für die Fluchtbewegung die Vertreibung in Folge von Krieg und Bürgerkrieg. Aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Irak, Mali Somalia, Eritrea, Nigeria kommt der Löwenanteil der Asylanträge in den Mitgliedsstaaten der EU. Die bittere Wahrheit ist, dass die durch militärische Interventionen des kapitalistischen Westens verschärfte Konstellation der Unterentwicklung und gesellschaftlichen Destabilisierung sowie die massive Zunahme zerfallender Staatsordnungen die Fluchtbewegung mehr und mehr in Richtung Europa lenken. Selbstverständlich gibt es einen Komplex von Pull-Faktoren, unter denen die Hoffnung auf existentielles Auskommen, (schlecht bezahlte) Lohnarbeit und persön-liche Weiterentwicklung herausragen. Im Ernst kann keine politische Strömung davon ausgehen, dass in überschaubarer Zeit die Fluchtursachen Krieg, Unterentwicklung und Staatszerfall zu beseitigen wären. Sicher sind diplomatische erwirkte Waffenstillstände und Friedensabkommen möglich und stellen einen enormen Fortschritt dar. Dieser kann durch Intensivierung von Entwicklungspolitik verstetig werden.
Flüchtlingspolitik findet vorwiegend in der Krisenregion statt. Die wichtigsten Akteure dort sind das System der Vereinten Nationen (insbesondere der UNHCR sowie UNICEF, WHO und FAO), die Nationalstaaten einschließlich supranationaler Zusammenschlüsse (z.B. EU), internationale Hilfsorganisationen (Rotes Kreuz) und Nichtregierungsorganisationen (z.B. Brot für die Welt, Misereor, Ärzte ohne Grenzen). Vereinte Nationen und Hilfsorganisationen sind dabei von den Zuwendungen der Geberstaaten bzw. privaten Spenden-geldern abhängig, was langfristig angelegte Programme erschwert. Zusätzlich zu den Finanzierungsproblemen erschweren rechtliche, bürokratische und politische Hemmnisse die Arbeit dieser Institutionen.
Zäune oder Zahlungen an den Grenzen einer "Festung Europa" werden das Problem der in den nächsten Jahren weiter anwachsenden Migration nicht lösen. Die Perspektive muss der Aufbau eines Internationalen Regimes sein, das auf die sich ausbreitenden Kriege und Bürgerkriege sowie die Ausweitung von "gescheiterten Staaten" durch eine koordinierte Aktion von internationalen Hilfsorganisationen und Unterstützung aus wohlhabenden Staaten reagiert.
Es ist die Aufgabe des Parteivorstands, eine Debatte über unsere Strategie vorzubereiten und einzuleiten. Wir brauchen eine Verständigung über die künftigen Herausforderungen. Schnellschüsse und die Bedienung von Ängsten vor den anstehenden Aufgaben der Flüchtlingsmigration sind hier aber nicht hilfreich.