Weiterdenken mit einem außergewöhnlichen demokratischen Sozialisten
Rede des Parteivorsitzenden Lothar Bisky anlässlich des Kolloquiums der Rosa-Luxemburg Stiftung "Herausforderung Demokratie" zu Ehren des 80. Geburtstages von Prof. Uwe-Jens Heuer
Liebe Gäste, lieber Uwe-Jens Heuer!
"Erinnerungen an einen sozialistischen Demokraten" überschreibt Volker Gransow eine Rezension des vielbeachteten Buches Im Streit. Ein Jurist in zwei deutschen Staaten von Uwe-Jens Heuer. Die Buchbesprechung endet mit einer ausgesprochen persönlichen Annäherung an den heutigen Jubilar – ich zitiere: "Heuer kokettiert immer wieder sowohl mit seiner Naivität als auch mit seiner Intellektualität. Der Rezensent kann diesen Charme eines noch immer jungenhaften sozialistischen Ideologen nach eigenen Erfahrungen auf dem Fußboden der Orangerie in Versailles 1985 und auf dem Floß im Whitton Pond in New Hamshire/USA 1990 bestätigen."
Es ist mehr als der Charme, es ist die Art zu Denken, zu Streiten, zu Widerstehen und zu Beharren, es ist lebendiger Marxismus und politische Verantwortung, die uns heute zusammenführen, um Uwe-Jens Heuer anlässlich seines 80. Geburtstages mit einem wissenschaftlichen Fachgespräch, einem Kolloquium zum Thema "Herausforderung Demokratie" zu ehren.
Bevor wir in den wissenschaftlichen Dialog eintreten, ist mir eine politische Würdigung ein tiefes Bedürfnis. Für mich ist entscheidend, dass Uwe-Jens Heuer mit seiner "Mahnung Demokratie" - so möchte ich es einmal sagen - immer und immer nach Bedingungen von Aufklärung, nach dem Freisetzen der Kräfte der assoziierten Produzenten, nach den historischen Bedingungen gefragt hat. Das mag sperrig klingen, aber ich denke, es ist nicht ganz falsch.
Die Demokratisierung des Realsozialismus in der DDR ließ Uwe-Jens Heuer bis zum Ende nicht los. Er kam aus einem sozialdemokratischen Elternhaus. 1948 trat er in Berlin-Wilmersdorf in die SED ein. Die DDR wurde zu seiner politischen Heimat, obwohl er durchaus früh Skepsis gegenüber der Art der Abhängigkeit der DDR von der Sowjetunion äußerte. Erst 1989 erscheint "Marxismus und Demokratie". Man könnte meinen zu spät.
Doch vielleicht war es zu früh und deshalb ist es gut, wenn wir das heute im Kolloquium herausfinden.
Uwe-Jens Heuer haben schon frühzeitig Wirtschaftssubjekte und individuelle Subjekte, die volkseigenen Betriebe und die Menschen, die in ihnen arbeiteten, gleichermaßen interessiert. Er ist mit seinen demokratischen und rechtstheoretischen Reformvorschlägen früh und gründlich angeeckt. Die Auseinandersetzung während und nach der "Babelsberger Konferenz" 1958 waren nur der Auftakt. Das hat ihn als Wissenschaftler, als Marxisten womöglich angetrieben. Er arbeitete in der Dimension volkswirtschaftlichen Denkens und war am Entwurf der zweiten Verfassung der DDR beteiligt. Schon seine Habilitationsschrift über Demokratie und Recht führte zu einer weiter wachsenden Beachtung auch unter westdeutschen Linken. Dass er heute mit Elmar Altvater in einer Partei ist, wird ihn freuen, so denke ich.
Eines hat Uwe-Jens Heuer immer betont und das möchte ich hochhalten:
Wir dürfen weder in der programmatischen, noch der politischen Arbeit die Verbindung zum untergegangenen Sozialismus kappen. Das bringt uns viel Streit ein, aber genau den brauchen wir, denn ein Zweites ist damit verbunden, was wir ernst nehmen müssen. Es wird nicht reichen, weder im Parteiaufbau der LINKEN in der Bundesrepublik, noch in der europäischen und internationalen Debatte, Sozialismus als unverbindliche Vision im Raum des Denkens und des politischen Handels stehen zu lassen. Auch wenn Uwe-Jens Heuer mit der mangelnden sozialistischen Zielbestimmung seine Kritik am Chemnitzer Programm der PDS zusammenfasste – und ich das anders beurteilen würde - möchte ich seine Forderung hier nochmals aufgreifen:
Sozialistische Zielsetzungen sind mehr als unverbindliche Visionen von einer besseren, sozial gerechteren Gesellschaft. Dies müssen wir politisch deutlich machen, unseren Geist und unsere politischen Erfahrungen gebrauchen, damit Linkssozialisten mit ihren gesellschaftlichen Analysen und demokratischen Alternativen klarer als bisher erkennbar sind.
Dabei geht es mir fast zuletzt um einen Widerspruch zu den Untertönen der medialen Schlachten, wie sie um den Gründungsparteitag der LINKEN herum geschlagen wurden. Da sollte Demokratie – so haben wir es gerade wieder erlebt - erneut als Gegenprojekt zum Sozialismus in die Köpfe gehämmert werden und zu diesem durchsichtigen Zweck wurde von Hayek bis zu den CSU-Wahlkämpfe aus den 60ern nichts ausgelassen.
Verehrte Anwesende,
Uwe-Jens Heuer schrieb im März dieses Jahres einen Artikel über Luciano Canforas "Eine kurze Geschichte der Demokratie". Die Veröffentlichung des Buches löste ohnehin Wirbel aus. Die Schilderung dieses Publikationsskandals durch Uwe-Jens Heuer hat selbst schon aufklärerische Qualität. Doch die eigentlichen Entdeckungen in seinem Aufsatz über Canfora liegen in der Fortschreibung der Demokratietheorie selbst.
Man muss nicht die Schlussfolgerungen teilen, doch die Sprengkraft ist unübersehbar. In Caforas Buch wird der - uns Linken - oft entgegengehaltene Gegensatz von Demokratie und Sozialismus/Kommunismus als spätes Produkt des 20. Jahrhunderts ausgemacht. Diese Erfahrung kennen wir einschließlich der letzten beiden Wochen bis zur Genüge. Die veröffentlichte Meinung – gerade in der westdeutschen Teilgesellschaft – ist davon bis heute tief geprägt und dies trotz SPD-Programm und trotz Sozialreport, in dem nicht wenige Menschen eine Art sozialistische Demokratie für eine gute Gesellschaftsform halten, insbesondere im Osten der Republik, aber nicht nur da.
Luciano Canfora – so arbeitete Uwe-Jens Heuer nun heraus - schaut die modernen westlichen Gesellschaften genauer an, die sich als Demokratien verstehen und in deren Namen Kriege geführt werden, die andere Regionen ausplündern und Umweltschutz nur betreiben, wenn er sich rechnet. Canfora entwickelt als neuen Gegensatz: die Existenz von oligarchischem Liberalismus contra Demokratismus. Die Front verläuft also nicht mehr bei der Debatte um Gleichheit, sondern beim Verständnis von Freiheit.
Ich denke, mit den Programmdebatten in der PDS haben wir uns bisher gut eingemischt und hier sind Ansatzpunkte, die wir nicht wieder loslassen dürfen. Ich bin jedenfalls nicht bereit, den Freiheitsbegriff den Neoliberalen zu überlassen und infolgedessen das Demokratieverständnis gleich mit. In die politische Debatte – auch das ist unsere Verantwortung gehört der Gleichheitsansatz. Mit all diesen Herausforderungen ist eine Gewissheit verbunden, die das Denken von Uwe-Jens Heuer prägt und das unsrige beeinflusst hat. Demokratie ist wahrlich kein ahistorischer Begriff. Geschichtslosigkeit ist auch hier das Ende eines Denkens für die Zukunft.
Uwe-Jens Heuers Denken gehört ganz exklusiv zur programmatischen Debatte der PDS und das wird nicht nur am heutigen Tage eine Rolle spielen.
In meinem Widerspruchsdenken sind Transformationen in der Wirtschaft, den Staatsfunktionen, der gesellschaftlichen Bewegungen und der politischen Auseinandersetzung aus dem Kapitalismus heraus vorstellbar. Das unterscheidet mich sicherlich gravierend von Uwe-Jens Heuers Auffassungen gesellschaftlicher Bewegung und ihrer Veränderbarkeit. Doch meine Sichtweise entbindet mich nicht davon, klar auszusprechen, wo wir hinwollen, was wir unter Sozialismus im 21. Jahrhundert verstehen.
Es ist tatsächlich eine Frage der Aufklärung im weitesten Sinne, auch der aktuellen Analyse demokratischer Strukturen, um Subjekte der Veränderung ausmachen zu können. Heute zerfällt die arbeitende Klasse in zerklüftete soziale Milieus. Migranten, Prekäre – was für ein schreckliches Wort -, Arbeitslose, selbst Wissenschaftler, Sozial-, Kultur- und Medienarbeiterinnen und -arbeiter sind kaum in klassischen Lohnarbeitsverhältnissen zu finden. Sie arbeiten frei, selbständig, als kleine Unternehmer, in Projekten. Es entsteht das Informationsproletariat.
Mich beschäftigt diese Frage auch aus einer anderen Perspektive. Als Medienwissenschaftler, oder was davon noch übrig ist, auch als Medienpolitiker schaue ich in die deutsche Medienlandschaft, in der inzwischen Spiegel-online wie ein Leitmedium behandelt wird. Holtzbrinck, die WAZ-Gruppe, Murdoch & Co stehen in den Startlöchern, um unsere Informationslandschaft von Grund auf umzukrempeln. Selbst die "Süddeutsche" befindet sich mitten im Abwehrkampf: Verleger gegen Finanzinvestoren. (Aber längst hat, um an eine leicht vernachlässigte These des jüngeren Marx zu erinnern – die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein - die Gewerbe- über die Pressefreiheit gesiegt.) Die politische Öffentlichkeit – ein immer schon bedrohtes Elixier demokratischer Willensbildung – befindet sich im Ausverkauf, urteilen die "Blätter für deutsche und internationale Politik" in der vergangenen Woche.
Die Widersprüche des globalen Kapitalismus werden heute in einer ausgeprägte Mediokratie verhandelt, wie Thomas Meyer sagt. Es handelt sich um eine Gesellschaft, in der die Gesetze der Politik von den Gesetzen der Medienmacher gemacht werden. Darin wird linke Politik nicht einfacher. Demokratisierungsprozesse dürfen wir nicht länger vormedial denken.
Abschließend möchte ich hervorheben, dass die Verdienste von Uwe-Jens Heuer für die PDS, für die Rechte Ostdeutscher, für einen differenzierten Umgang mit der DDR-Geschichte, für linkes Denken und linke Politik in den vergangenen siebzehn Jahren unersetzbar und zum Glück sehr gut dokumentiert sind.
Uns verbindet durchaus der Quereinstieg in die Politik. Dazu gehört etwas oft völlig Unterschätztes: eine Mischung aus Leidensfähigkeit und Unbeirrbarkeit, denn sonst bleibt unser Wissen nichts als graue Theorie ohne die Qualität des Eingreifenden.
Lieber Uwe-Jens Heuer, ich freue mich, Dir zum Geburtstag zu gratulieren, Dir Dank sagen zu können. Ich freue mich, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung dies mit einem Kolloquium verbindet, denn es wird zeigen, dass Du zu den unbequemen Anregern gehörst und genau die werden gebraucht. Heute geht es um mehr als um die Erinnerungen an einen sozialistischen Demokraten, wie Volker Gransow zu Deiner Veröffentlichung "Im Streit." schrieb. Es geht heute um das Weiterdenken mit einem außergewöhnlichen demokratischen Sozialisten. Es geht um die "Herausforderung Sozialismus".
Die ist nur mit einem tiefgreifenden demokratietheoretischen Diskurs zu bewältigen.
Auch deshalb sind wir heute hier.