Wir brauchen einen gesellschaftlichen Aufbruch
Katja Kipping und Bernd Riexinger (Parteivorsitzende) sowie Jörg Schindler (Bundesgeschäftsführer) und Harald Wolf (Bundesschatzmeister) haben sich in einem Brief an die Mitglieder Partei gewandt
Liebe Genossinnen und Genossen, viele von euch können derzeit hoffentlich eine verdiente Sommerpause einlegen. Gleichwohl zeichnen sich die Herausforderungen der nächsten Monate schon ab. Beim »Asylstreit« der Bundesregierung handelt es sich nicht nur um ein politisches Schmierentheater im Vorfeld der Landtagswahlen in Bayern. Es geht um weit mehr als nur den Umgang mit Geflüchteten und die Zukunft der EU. Im Rekordtempo vollzieht sich ein Rechtsruck im bürgerlichen Lager. Vorbild ist das »Modell Kurz« in Österreich: ein autoritärer Kapitalismus, bei dem die rechtspopulistische FPÖ längst alle Masken abgelegt und das Gesetz für den Zwölf-Stunden-Arbeitstag vorangetrieben hat. Auch in anderen Ländern lässt sich beobachten, wie Demokratie, soziale Errungenschaften und die Rechte von Frauen dem Weltbild der neuen Rechten zum Opfer fallen. Die SPD duckt sich derweil weg.
In diesen Zeiten steht viel auf dem Spiel. Angesichts des Aufstiegs der Rechten und eines autoritärer werdenden Kapitalismus ist DIE LINKE das Bollwerk für die Menschlichkeit und die solidarische Antwort auf die Krisen. Wir fordern gleiche Rechte für alle, stehen für eine verbindende Politik statt für Spaltung. Die fortschrittlichen Kräfte unserer Gesellschaft sind gefragt, Demokratie zu verteidigen und für eine echte Alternative einzutreten: mit gerechter Verteilung der Arbeit und des Reichtums, sozialer Absicherung, guter Gesundheitsversorgung und Pflege, bezahlbarem Wohnen, für einen sozial-ökologischen Umbau und mit gleichen Rechten für alle.
Die ständige Hetze gegen Geflüchtete und »den Islam« erzeugt ein gruseliges politisches Konzert, das alle anderen Themen übertönt. Die Mehrheit der Bevölkerung hat aber längst die Nase voll davon. Sie will, dass endlich etwas für soziale Gerechtigkeit getan wird. Hier versagt die Bundesregierung völlig, während wir bestens aufgestellt sind: Wir führen Kampagnen für bezahlbare Mieten und mehr Personal in der Pflege. In einer aktuellen Umfrage der ARD bestätigen fast 80 Prozent der Befragten, dass dies genau die Themen sind, bei denen dringender Handlungsbedarf besteht.
Wir dürfen nicht vergessen: Viele Menschen haben uns aufgrund unseres sozialen Profils und unserer klaren Haltung gegen rechts und für Solidarität gewählt. Tausende sind in den letzten Monaten bei uns eingetreten und wollen sich als Mitglieder aktiv einbringen. Unsere Partei wird größer, und dabei auch jünger und vielfältiger. Dies hat nicht zuletzt auch unser Parteitag gezeigt, der aufregend und lebendig war. Das Motto »Partei in Bewegung« ist nicht nur Ziel-, sondern längst auch Zustandsbeschreibung.
Trotz aller Kontroversen wurde deutlich: Wir haben selbstbewusste Mitglieder, die gefragt werden, mitdiskutieren und entscheiden wollen. Sie erwarten, dass inhaltliche Auseinandersetzungen solidarisch miteinander geführt und Gemeinsamkeiten in den Vordergrund gestellt werden. Die anstehenden Herausforderungen bewältigen wir nur zusammen. Dafür brauchen wir euch alle:
- Unsere Kampagne gegen den Pflegenotstand ist hervorragend gestartet. So viele Kreisverbände wie nie zuvor haben sich daran beteiligt. Zusammen mit den Beschäftigten, die zu Tausenden auf die Straße gegangen sind und Streiks organisiert haben, konnten wir Jens Spahn einen ersten Erfolg abringen: Ab sofort wird jede zusätzliche Pflegestelle in den Krankenhäusern finanziert. Die Tür ist einen Spalt breit aufgemacht. Ohne den Druck von links und der Beschäftigten, die überall im Land streiken und protestieren, wäre das nicht möglich gewesen. Wir werden uns auch künftig nicht zurücklehnen, sondern den Druck erhöhen: Es braucht eine gesetzliche Personalbemessung, einen höheren Pflegemindestlohn und einen flächendeckenden Tarifvertrag. All das muss auch in der Altenpflege zu einer spürbaren Verbesserung führen.
- Schon jetzt können wir daraus lernen, dass gesellschaftliche Bündnisse keine Selbstläufer sind, sondern Ergebnis kontinuierlicher Arbeit und Verankerung vor Ort, in Bewegungen, Initiativen und Gewerkschaften, und dass sie Erfolge zeitigen. Es lohnt sich, dies vorbildhaft auf andere Kämpfe zu übertragen.
- Im September startet die Kampagne »Bezahlbare Miete statt fetter Rendite«, mit der wir Horst Seehofer Beine machen wollen. Ein Bauminister muss bezahlbaren Wohnraum für alle bauen, statt Lager für Geflüchtete zu beschließen und Menschenrechte auszuhebeln. Statt der wirkungslosen Mietpreisbremse wollen wir eine Obergrenze von 8,50 Euro für die Miete (auf dem privaten Markt). Den Mietenwahnsinn müssen wir stoppen und spekulierende Wohnungsunternehmen bestrafen und enteignen. Wo Wohnraum nicht genutzt wird, gehört Leerstand besetzt! Es geht dabei um eine weitreichende Perspektive: Wohnen darf nicht Markt und Profit überlassen werden. Mit unserer Forderung nach Stärkung des genossenschaftlichen Wohnungsbaus wird Wohnungsbau stärker an den wirklichen Bedürfnissen ausgerichtet und Demokratie im Alltag gestärkt. Viele Bürgerinnen und Bürger haben Sympathien für diese Forderungen, unsere Kampagnen treffen den Nerv der Zeit. Nutzen wir das Momentum!
- Bei den anstehenden Wahlkämpfen im Herbst brauchen die Genossinnen und Genossen unsere Unterstützung und freuen sich über tatkräftige Hilfe vor Ort. Wir wollen in Hessen die guten Umfragewerte bestätigen und den Wiedereinzug schaffen! Wir müssen die bayrische Landesregierung mit dem erstmaligen Einzug in den Landtag ärgern! Kommendes Jahr geht es weiter mit Wahlen in Bremen, Sachsen, Brandenburg und Thüringen, vielen Kommunalwahlen und der Europawahl.
- Ein guter Auftakt zu den Wahlkämpfen wird der Weltfriedenstag am 1. September sein. In zahlreichen Städten werden Aktionen unter dem Motto »Abrüsten statt Aufrüsten« durchgeführt, um gegen die Erhöhung der Rüstungsausgaben zu protestieren. Die Petition haben bereits über 70 000 Menschen unterzeichnet. Während die Bundesregierung eine Verdopplung der Ausgaben plant, hat DIE LINKE als einzige Partei lautstarken Widerspruch angemeldet. Machen wir den 1. September zu einem Aktionstag, der seinen Namen verdient!
- Wir wollen noch stärker Zukunftsthemen in der Partei diskutieren, etwa darüber, wie sich die Digitalisierung auf Leben und Arbeitswelt auswirkt. Aber auch: Wie sehen die Städte der Zukunft aus? Wie retten wir das Klima? Was wollen wir produzieren und wie? Wie kreist die Arbeit ums Leben? Eine gute Gelegenheit für neue und langjährige Mitglieder sowie für Sympathisantinnen und Sympathisanten, miteinander ins Gespräch zu kommen und gemeinsame Aktivitäten zu planen, bietet die Linke Woche der Zukunft vom 13. bis 16. September in Berlin. Meldet euch jetzt an!
- Wir werden die wichtige Arbeit gegen rechts stärken. Viele lokale Initiativen können gemeinsam eine Mehrheit bilden und den Konflikt in der Gesellschaft zuspitzen: für Obergrenzen für Reichtum statt für Menschen in Not! Fakt ist doch: Während der gesellschaftliche Diskurs von rechts dominiert wird, gibt es längst auch eine hör- und sichtbare Gegenbewegung, die ihren Protest gegen die AfD genauso entschlossen vorträgt wie ihre Unterstützung für Seenotrettung und Solidarität. Wir müssen endlich auch mehr über diesen Teil der Bevölkerung und ihre Visionen einer solidarischen Gesellschaft reden!
Wer die Rechten und das verrohte Bürgertum stoppen will, muss linke Antworten auf den Neoliberalismus geben. Deshalb werden wir im Gespräch mit Bündnispartnern und Initiativen vorschlagen, den Kampf gegen rechts stärker mit sozialen Fragen zu verbinden.
Wir wollen im täglichen Kampf Erfolge erzielen, damit die Menschen nicht nur um die Notwendigkeit eines Politikwechsels wissen, sondern auch daran glauben. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Aufbruch, zu dem jede und jeder etwas beitragen kann. Die politische Polarisierung führt bei vielen Menschen zur Bereitschaft, sich zu positionieren und Partei zu ergreifen. Dies sollten wir als Chance begreifen und offensiv um neue Mitglieder werben. Wir als DIE LINKE werden gebraucht. Wir sind die soziale und solidarische Opposition, deren Widerstand gegen die Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD und gegen die AfD laut und spürbar ist.
Frei nach DIE ÄRZTE:
Es ist nicht unsere Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist,
es wär' nur unsere Schuld, wenn sie so bleibt!
Solidarische Grüße
Katja Kipping - Bernd Riexinger - Jörg Schindler - Harald Wolf