Wir brauchen jetzt ein öffentliches Investitionsprogramm, höhere Sozialleistungen und höhere Löhne!
Der Vorsitzende der Partei DIE LINKE Lothar Bisky hat heute auf dem 15. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten ein Grußwort gehalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Franz-Josef Möllenberg! Die Stunde ist gekommen, dass selbst Banker wieder an Weisheiten glauben, die auf der Straße liegen. Vielleicht sollte man zu dieser frühen Stunde eine dieser Weisheiten zurück ins Gedächtnis holen: Geld arbeitet nicht.
Morgenstund' hat Gold im Mund. Das lässt sich bei der NGG auch mit der Idee übersetzen, dass sich die Banken und die Bundesregierung warm anziehen können. Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer sind früh auf den Beinen, um eines klarzustellen: Wer eine halbe Billion Euro in die Hand nimmt, um die Banken zu retten, muss auch ein Konjunkturprogramm auflegen, der darf die soziale Schieflage in unserem Land nicht übersehen.
1929 stürzten Kürzungsprogramme und Lohnsenkungen die Wirtschaft weltweit in die Depression. Schon die Geschichte lehrt uns: Die Stabilisierung der Finanzmärkte ist nur eine Seite der Medaille. Es geht nicht nur um das Vertrauen in eine funktionierende Geldpolitik.
Heute steht das Vertrauen in eine sozial gerechte Gesellschaftspolitik auf dem Spiel! Wirtschaftsforschungsinstitute sehen Deutschland am Rande der Depression. Damit sich 1929 nicht wiederholt, brauchen wir jetzt massive öffentliche Investitionen, brauchen wir jetzt höhere Sozialleistungen und höhere Löhne. Diese Forderung gilt europaweit. Lohndumping und unsichere Beschäftigung sind in vielen europäischen Ländern auf der Tagesordnung. Wird dieser Weg in der europäischen Politik weiter gegangen, so verabschiedet sich Europa aus der Gestaltung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung.
Das werden wir nicht zulassen! Da sollten Gewerkschaft und LINKE entschieden Widerstand leisten.
Die Partei der Europäischen Linken, die immerhin 400.000 Mitglieder in 28 Ländern hat, wird am kommenden Samstag – dem 25. Oktober – mit einer Demonstration in Brüssel ihre Kampagne gegen Prekarität einleiten. Ich finde es gut und richtig, dass europäische Politik vor Ort spürbar ist. Doch das hindert uns nicht – im Gegenteil – Brüsseler Entscheidungen und Lissabonner Verträge deutlich zu kritisieren. Wir brauchen in der EU weder höchst richterlich sanktionierte Eingriffe ins Streikrecht, wie es der Europäische Gerichtshof getan hat, noch ist es hilfreich, minimale Arbeitsbedingungen und Hungerlöhne juristisch zum Maximum zu erklären. Der Dumpingwettbewerb braucht statt bestätigender Gerichtsurteile eine untere Grenze in der EU.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf einem Kontinent, in dem 1,7 Billionen Euro über Nacht zur Rettung des Bankensektors in die Hand genommen werden, muss die Frage nach sozialen, arbeitsrechtlichen und kulturellen Mindeststandards auf höherem Niveau als bisher beantwortet werden.
Alternative Vorschläge für ein soziales Europa sind rar und es ist an uns, sie vehement zu unterbreiten und zu entwickeln. Da zähle ich auf Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter genauso, wie auf die Mitglieder und Sympathisanten der LINKEN.
Liebe Freundinnen und Freunde, was allerdings nicht geht ist, dass eine Bundesregierung mit dem Finger auf Brüssel zeigt, wenn sie ihre eigenen Hausaufgaben nicht gemacht hat: Erst sperrt man sich in Deutschland gegen den gesetzlichen Mindestlohn. Dann zeigt man mit dem Finger auf fragwürdige Brüsseler Entscheidungen, in denen Lohndumping quasi per Gesetz verordnet wird.
Kanzlerin und Bundesfinanzminister versuchen bei der Finanzkrise jetzt das Bild einer äußerst kompetenten Regierung zu vermitteln. In den Protokollen des Deutschen Bundestages allerdings kann jedermann nachlesen, wie noch vor kurzem Kanzlerin und Finanzminister durch Schönrednerei beschwichtigten und die Amerikaner aufforderten, vor den eigenen Türen zu kehren. Dabei verplemperten Kanzlerin und Finanzminister wertvolle Zeit, ehe sie sich von ihren hausgemachten Beschwichtigungsformeln verabschiedeten und die Realität zur Kenntnis nahmen.
So kompetent und rasch handelnd sich die Bundesregierung in der Lösung der Finanzkrise zu verkaufen versucht, so ohnmächtig und so unerträglich langatmig gibt sie sich, wenn es um politische Entscheidungen für die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer, für Arbeitslose und Rentnerinnen und Rentner geht. Die Große Koalition hat ihr 500 Milliarden Rettungsprogramm für die Banken weitgehend an der parlamentarischen Kontrolle vorbei – was bei den Summen wohl eindeutig als demokratiemissachtend einzuschätzen ist - und eher zugunsten der die Krise verursachenden Täter als der ihrer zu erwartenden sozialen Opfer gestaltet - so dass die Fraktion DIE LINKE nicht zustimmen konnte.
Nun hat zwar die Bundesregierung Neufassungen des Gesetzes über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen (kurz: MIA) und des Arbeitsnehmerentsendegesetzes vorgelegt, doch damit wird weder ein flächendeckender, noch ein Existenz sichernder Mindestlohn erreicht. Genau diese beiden Punkte: Flächendeckender Mindestlohn und Existenzsicherung sollten doch aber die Messlatten sein, denen diese Gesetzesvorhaben mindestens genügen müssen.
Angesichts dieser beiden Vorhaben der Koalition kann ich nur sagen: Auf Symbolpolitik - noch dazu je näher das Superwahljahr 2009 rückt - können Bürgerinnen und Bürger dieses Landes gut verzichten.
Ein flächendeckender Mindestlohn von 7,50 Euro die Stunde, so wir Ihr ihn fordert, würde die Steuerzahler nach eigener Einschätzung der Bundesregierung um bis zu 1,5 Milliarden Euro im Jahr entlasten. Dies hat das Bundesarbeitsministerium auf eine Anfrage der Linken selbst geantwortet. Das wäre doch ein guter Beitrag für die Haushaltsentlastung. In Wahlkämpfen und auf Marktplätzen ist der Mindestlohn willkommen. Im Parlament regiert dann die Halbherzigkeit, kurz die politische Inkonsequenz auf den Bänken der Koalition.
Der Tag heute ist genau richtig, daran zu erinnern, dass Eure Gewerkschaft die erste war, die den gesetzlichen Mindestlohn – schon vor zehn Jahren – auf die Tagesordnung gesetzt hat. Und ich erinnere mich gut: Als meine Partei 2005 im Wahlkampf für den Mindestlohn stritt, war das Klima zwischen den Parteien immer noch so, als ob man für Mindestlohnforderungen der Linken rasch einen Arzt herbeirufen sollte. Hier hat sich einiges kräftig gewandelt. Das ist der beste Beweis dafür, dass Links wirkt.
Die LINKE bleibt bei ihrer Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von 8 Euro plus, verbunden mit einer schrittweisen Erhöhung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun ist die Regierung in dauerhaften Krisensitzungen… Galt bei der Pendlerpauschale oder bei der Rente ab 67 noch die Heiligkeit der Haushaltskonsolidierung, so ist diese inzwischen obsolet. Doch plötzlich sind es - so unser Finanzminister Peer Steinbrück – mal wieder die Lebensbedingungen der nächsten Generation, die ihn an öffentlichen Investitionen, an Konjunktur fördernden Maßnahmen hindern. Mir fällt dabei eines immer mehr auf: Immer wenn es darum geht, Kaufkraft zu stärken, die Lebensbedingungen von jenen Menschen ernst zu nehmen, die nicht täglich um den Erdball jetten können, dann gibt unser Finanzminister gern die Rolle des strengen Haushälters. Dann verweist er darauf, dass seine Politik so unpopulär sein muss, weil sie verantwortungsvoll sei. Ich will jetzt nicht auflisten, wie Rot-Grün schon die Hedgefonds ins Land geholt hat und die Börsenumsatzsteuer abgeschafft hat.
Doch an eine Formulierung aus dem Koalitionsvertrag von Rot-Schwarz möchte ich hier erinnern. Ich zitiere: "Produktinnovationen und neue Vertriebswege müssen nachdrücklich unterstützt werden. Dazu wollen wir die Rahmenbedingungen für neue Anlageklassen in Deutschland schaffen. ... überflüssige Regulierungen abbauen."
Ich lese daraus und nicht nur zwischen den Zeilen – wie man so schön sagt: Unsere Bundesregierung hat mehr Freiheiten für neue Glücksspiele bei weniger Kontrolle selbst auf den Weg gebracht. Sie war Motor dieser Entwicklung nicht Opfer. Sie hat den Casino-Kapitalismus über den Sozialstaat gestellt, und das muss sich ändern. Wir können davon ausgehen, dass der Herr Steinbrück an dieser Politik maßgeblich beteiligt war. Jetzt – sozusagen im dritten Akt – Betritt er im Duett mit der Kanzlerin die Bühne als Retter der Sparkonten. Das ist ja nicht gerade unpopulär.
Allerdings sehe ich mir dieses politische Possenspiel im Ganzen an, kann durchaus unlautere Züge erkennen, um es einmal sehr höflich zu formulieren. Und wir werden sie öffentlich immer daran erinnern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, kurz und bündig: Wer verantwortungsvolle Politik buchstabieren will, der kommt heute um einen gesetzlichen Mindestlohn, um die Einbeziehung der Leiharbeit ins Entsendegesetz nicht herum! Lasst mich die Gelegenheit nutzen, um etwas mehr zur Leiharbeit zu sagen. Ihr könnt vermutlich ganze Liederbücher über dieses Einfallstor der Niedrigstlöhne füllen. Hotels und Gaststätten sind ja leider Tatorte allererster Klasse, wenn es um Niedriglöhne geht.
Mit Eurem Antrag "Gleiche Arbeit – gleiches Recht" sehe ich doch viel Übereinstimmung. Es ist dringend notwendig, Leiharbeit ins Entsendegesetz einzubeziehen. Es braucht noch mehr politischen Druck gegen die Blockade der CDU/CDU. Doch auch das reicht noch nicht aus. Die LINKE möchte auch den Tarifvorbehalt im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz streichen, denn nicht überall ist die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften im Moment ausreichend, um auf Existenz sichernde Tariflöhne verweisen zu können. Es darf aber nicht sein, dass solche Niedrigtarife nicht auch noch per Umweg über das Gesetz geschützt werden.
Der Boom der Billiglohnarbeitsverhältnisse ist längst nicht vorbei. Leiharbeit hat sich in sieben Jahren auf 800.000 Arbeitsplätze verdoppelt. Ein Plus gab es bei Ein-Euro-Jobs, bei Minijobs, bei neuen Formen von selbstausbeuterischer Selbstständigkeit – und Frauen trifft diese Entwicklung überall ganz besonders. Die Zahl der normal arbeitenden Vollzeitbeschäftigten (ohne Leiharbeitsverhältnisse) sank seit 2001 um über zwei Millionen. Das jetzt verstummende Aufschwunggetöse war nicht nur zweigeteilt. Es war auch höchst zweifelhaft, was die eigentlich begrüßenswerten sinkenden Arbeitslosenzahlen anbelangt. So wächst weder Binnenkaufkraft, noch die regionale Wirtschaft. All der Wirtschaftsaufschwung-Mythos, den die Agenda 2010 ideologisch begleitet hat, ist von der Wirklichkeit längst eingeholt. Deshalb sage ich es noch einmal klar und deutlich: DIE LINKE lehnt alle Versuche ab, Menschen in prekäre Beschäftigung zu drängen. Es muss endlich darum gehen, Niedriglohn- und Teilzeitarbeit sowie befristete und andere unsichere Beschäftigungsverhältnisse arbeitsrechtlich und sozial abzusichern. Leiharbeit ist für uns nur in eng begrenzten Ausnahmefällen akzeptabel. Zu allererst darf Leiharbeit keine regulären Stellen verdrängen oder gar gegen Streiks eingesetzt werden. Letzteres gehört gesetzlich verboten.
Andersherum wird für uns ein Schuh draus. Aufgrund der geforderten hohen Flexibilität von Leiharbeitern ist eine bessere Bezahlung erforderlich. Und das gilt für mich wiederum auch auf europäischer Ebene. Selbst in den Dimensionen eines gerechten Welthandels, ist die Frage der Lohnpolitik nicht soweit entfernt von der Bekämpfung von Hunger und Armut.
Dass ich damit Eulen nach Athen trage, zeigt mir Euer Antrag "Für eine nachhaltige Sicherung der Ernährungsgrundlagen", indem Ihr den gerechten Welthandel, mit gewerkschaftlichen Rechten, mit Klimaschutz und nachhaltigem Landbau zusammen denkt. Doch ich gestehe, diese Eulen trage ich gern nach Athen, weil es zeigt, dass Euer Gewerkschaftstag mit politischem Scharfsinn ausgestattet ist, der zu Recht unter der Überschrift: "Zukunft gestalten – Gerechtigkeit schaffen" firmiert. Und ich kann das nur begrüßen. Im Lichte dieses politischen Herangehens kann ich Eure offensive Tarifpolitik und die Planbarkeit der Samstag- und Sonntagsarbeit nur unterstützen.
Die negative Umverteilungsbilanz der vergangenen Jahre muss wieder umgekehrt werden und zwar gerade wenn die Finanzmärkte auf eine weltweite Deregulierung - verweisen. Menschenwürde, Existenz sichernde Arbeit gehören in den Mittelpunkt politischer Entscheidungen. Dafür braucht unser Land, brauchen die europäischen Gesellschaften starke Gewerkschaften. Dafür brauchen wir Eure Berufserfahrungen und Eurer politisches Engagement für den gesetzlichen Mindestlohn, zur Begrenzung der Leiharbeit, zur Rücknahme der dummen Regelung Rente erst ab 67.
Wir von der LINKEN vergessen auch nicht die Pendlerpauschale. Und Horst Seehofer kann ja bald als neuer bayrischer Ministerpräsident dafür sorgen, mit der Erfüllung der Wahlkampfversprechungen der CSU ein wenig Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Vorwärts im Kampf zur Zurücknahme der Pendlerpauschale!
Ich wünsche Euch kluge Entscheidungen, die Euch in den Tarifkämpfen motivieren, die die Chance auf bessere Arbeits- und Lebensbedingungen vergrößern. Dafür habt Ihr allzeit Unterstützung gerade von vielen neuen Mitgliedern meiner Partei, die uns mit ihren gewerkschaftlichen Erfahrungen in den vergangenen zwei Jahren sehr stark bereichert haben. Ich freue mich sehr über den Zuwachs gewerkschaftlicher Kompetenz in der Partei DIE LINKE!
Ich wünsche Euch einen erfolgreichen Gewerkschaftstag!