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Wir brauchen neue Solidarität im Land

Statement von Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus:

Guten Tag, meine Damen und Herren, ich weiß, es gibt kaum eine Partei, die an diesem Tag eine Pressekonferenz macht - wir machen das. Als jemand, der in Vorpommern geboren ist, bin ich kulturell relativ weit von diesen faschingsähnlichen Zuständen entfernt. Deshalb heute eine Pressekonferenz, die sich natürlich vor allem mit dem Thema Hartz IV und dem Bundesverfassungsgerichtsurteil befassen wird. Ich will dazu heute etwas ausführlicher einiges sagen.

Zunächst will ich nicht ohne Stolz betonen, dass mit dem Urteil die Partei DIE LINKE noch einmal höchstrichterlich ihre Existenzberechtigung bestätigt bekommen hat. Unser Engagement gegen Hartz IV - insbesondere auch die damalige Gründung der WASG, die ja sehr stark mit dem Protest gegen Hartz IV verbunden wurde - ist hier noch einmal bestätigt worden. Ich sage das auch deshalb, weil die Verursacherparteien, mit der Ausnahme der FDP, auf einmal alle behaupten, sie hätten die Sätze schon immer für zu niedrig befunden und sie würden ein anderes Berechnungsmodell vorschlagen. Das ist schon einigermaßen kurios. Bis vor dem Urteil wurde Hartz IV von allen immer wieder verteidigt, eingeschlossen die Regelsätze. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist das anders.

DIE LINKE kann da wirklich mit Stolz sagen: Wir haben dort immer eine andere Position vertreten. Ich sage auch ganz deutlich, dass wir diesen Sinneswandel so den anderen Parteien nicht durchgehen lassen werden und schon darauf aufmerksam machen werden, wer Hartz IV und die Durchführungsbestimmungen beschlossen hat und wer sie bis zum Schluss verteidigt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einer noch nie da gewesenen Deutlichkeit das Sozialstaatsgebot verteidigt. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, das Gesetz widerspricht dem Sozialstaatsgebot und hat letztlich auch gesagt, dass dies dem Gesetz der Würde des Menschen widerspricht. Ich behaupte, dass dieses Urteil die Debatten in der Bundesrepublik Deutschland über Jahre prägen wird, weil die Diskussion, die sich daraus ableitet, die Grundrichtung der Politik in den nächsten Jahren bestimmen wird. Das ist es, was das Urteil uns aufgegeben hat. In diesem Sinne kann ich Westerwelle nur zustimmen. Es ist eine Debatte im Deutschen Bundestag, aber vor allem in der Gesellschaft, notwendig. Das ergibt sich aus diesem Urteil. Ich sehe in dem Urteil eine deutliche Aufforderung des Gerichts, die Unterordnung des Sozialstaatsgebotes unter angebliche ökonomische Erfordernisse zu beenden. Wir brauchen – so unsere Auffassung – eine neue Solidarität im Lande. Das sind für DIE LINKE insbesondere drei Punkte. Es ist natürlich eine Revision der Regelsätze. Es ist der Ausstieg aus Hartz IV und den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Und es ist nicht zuletzt der Mindestlohn.

Als erstes zur Revision der Regelsätze: Sie kennen das Wahlprogramm der LINKEN. Wir sind dafür eingetreten, dass es 500 € in dieser Legislaturperiode als Hartz-IV-Regelsatz gibt. Die Rahmenbedingungen des Bundesverfassungsgerichtes haben ja klar gesagt: Es geht um das Existenzminimum, um Menschenwürde, aber es geht auch um Teilhabe und um Gesundheitsvorsorge. Das wird letztlich Auswirkungen auf den Regelsatz haben. Vor allem ist Transparenz eingefordert. Und wenn das alles nachvollziehbar sein wird, dann werden wir am Ende feststellen, was denn ein dem Urteil entsprechender Regelsatz sein wird. Ich freue mich, dass auch die Ministerin sagt, sie will möglichst schnell hier gesetzliche Regelungen vorschlagen.

Zweitens, der Ausstieg aus Hartz IV: Wir brauchen neue Ansätze in der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. In diesem Zusammenhang wird auch die bei Union, SPD und FDP diskutierte Grundgesetzänderung, welche die arbeitsmarktpolitische Betreuung betrifft, eine Rolle spielen. Vor allem aber brauchen wir dringend Perspektiven. Ich will ausdrücklich darauf verweisen, was in den beiden rot-rot-regierten Ländern Berlin und Brandenburg seit Jahren versucht wird - früher auch in Mecklenburg-Vorpommern - nämlich ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor, öffentlich geförderte Beschäftigung. Das ist ein Weg, der notwendig ist. Wenn Arbeit sich in diesem klassischen Sinne nicht rechnet, ist das ein Weg, der Menschen in Beschäftigung bringen kann und der den Ausstieg aus Hartz IV und Arbeitslosigkeit bedeuten kann.

Drittens, ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn: Auch diese Debatte wird wieder geführt. Sie ist notwendig. Wir führen sie seit Jahren. Auch dort ist es so, dass auch DIE LINKE für Veränderungen der gesellschaftlichen Meinungen sorgen konnte. Wir wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Regelsatz und einem Mindestlohn geben muss. Das Abstandsgebot ist völlig unbestritten. Natürlich ist es wahr, dass diejenigen, die Vollzeit arbeiten, auch von ihrer Arbeit leben können müssen. Da ist die gesamte Aufstockerproblematik. Das ist etwas, was überhaupt nicht zu akzeptieren ist. Der Mindestlohn ist letztlich notwendig für die Stärkung der Binnennachfrage. Die Binnenkaufkraft wird über einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn erhöht. Vor allem aber kann man von einem Mindestlohn leben, wenn er 10 Euro beträgt. Ich freue mich im Übrigen, dass diese Frage inzwischen auch von der SPD so gesehen wird. Ich hoffe, dass wir dieses perspektivisch mit Gewerkschaften und Anderen gemeinsam durchsetzen können.

In diesem Zusammenhang natürlich eine Bemerkung zu dem, was Guido Westerwelle aufgerufen hat. Ich wiederhole mich da noch einmal und deutlich: Das, was er macht, ist eiskalt kalkulierter Klassenkampf von oben. Es ist nichts anderes. Westerwelle torpediert im Kern damit den sozialen Zusammenhang im Land.

Wenn er – ich sagte das eben – eine Generaldebatte im Bundestag dazu haben will: Ja, das ist notwendig. Aber sie ist nicht nur im Deutschen Bundestag notwendig. Es ist notwendig, diese Diskussion wirklich in der Gesellschaft zu führen. Allerdings ist mir sehr wichtig, dass hier auch der Zusammenhang zu den unlängst beschlossenen Milliardengeschenken an Hoteliers und an Erben aufgemacht wird. Es ist ja so, dass diese ursprüngliche im Wahlkampf geäußerte Haltung - mehr Netto vom Brutto - faktisch nicht aufgegangen ist. Die Menschen haben gesehen, dass im Ergebnis Gebührenerhöhungen dazu führen, dass es nicht mehr Netto vom Brutto gibt. Letztlich will Westerwelle diese seine Klientel wieder neu bedienen. Diejenigen, die vielleicht auf den Sozialstaat verzichten können, werden mit seinen Vorschlägen bedient. Natürlich gehört dazu, dass in Deutschland dann auch über den unermesslichen Reichtum, den es gibt, gesprochen wird. Wir haben – wie Sie wissen – Milliardäre in Deutschland. Die Zahl der Vermögensmillionäre ist auf 800.000 gestiegen. Diese Klientel ist mit der veränderten Erbschaftssteuer noch einmal entlastet worden. DIE LINKE sagt: Bei hohen Freibeträgen müssen wir mehr Geld aus der Erbschaftssteuer gerieren. Es ist also notwendig, auf der einen Seite über diejenigen zu reden, die auch von Transferleistungen abhängig sind und das meistens ungewollt, aber genauso über diejenigen zu reden, die über sehr sehr viel Geld verfügen. In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch das Thema Steuerhinterziehung eine Rolle. Wenn das so ist – wie wir jetzt feststellen –, dass eine CD nach der anderen auftaucht, dass es jetzt Selbstanzeigen in dieses Größenordnungen gibt, dann sagt das auch etwas über unser Land aus. Über diese Schieflage in der Bundesrepublik Deutschland wollen wir gerne im Bundestag, aber auch in der Gesellschaft mit Herrn Westerwelle und allen Anderen diskutieren. Es geht darum, dass es Gerechtigkeit und Solidarität im Land gibt und nicht zu allererst Eigennutz und Klientelpolitik.

Ich will zwei weitere kurze Bemerkungen machen. Die erste bezieht sich auf das Wochenende in Dresden: Ich glaube, hier können wir von einem Erfolg sprechen. Auch DIE LINKE ist an diesem Erfolg beteiligt gewesen. Der Schlüssel für den Erfolg waren tausende Menschen, die den geplanten Naziaufmarsch blockiert haben und die sich auch nicht haben abhalten lassen von dem Versuch einer Kriminalisierung. Es gab eine große Beteiligung von Mitgliedern meiner Partei der LINKEN in Dresden. Allein aus dem Landesverband Berlin sind sechs Busse nach Dresden gefahren, die dort das Motto dieser Veranstaltung "Kein Fußbreit den Faschisten" unterstützt haben. Wir sagen mit Stolz: Dieses Motto konnte realisiert werden und ist Wirklichkeit geworden.

Als Letztes eine kurze Anmerkung zu dem Interview, welches Oskar Lafontaine im "Neuen Deutschland" gegeben hat: Ich will dazu sagen, dass die Vorwürfe, die er dort äußert, nicht zutreffen. Ich verbitte mir das auch. Ich will es ansonsten mit Lafontaine halten und öffentlich keine Kritik an Personen äußern. Er hat das immer eingefordert. Ich will mich genau daran halten und deshalb zu diesem Thema hier auch nichts Weiteres sagen.

Dankeschön!