Wir werden den Vertrag von Lissabon ablehnen
Statement von Lothar Bisky auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus
Sehr geehrte Damen und Herren, der Deutsche Bundestag wird in dieser Woche in 2. und 3. Lesung seine Beratungen über den Vertrag von Lissabon fortführen und am Donnerstag dem Gesetzentwurf der Bundesregierung mit hoher Wahrscheinlichkeit zustimmen. DIE LINKE und unsere Bundestagsfraktion haben sich nach sorgfältiger Abwägung mit sehr großer Mehrheit entschieden, den Vertrag von Lissabon abzulehnen.
DIE LINKE lehnt den Vertrag ab, weil sie eine pro europäische Partei ist, weil wir uns für Europa mit verantwortlich fühlen.
Wir sehen es als normal an, dass wir Entwicklungen, die wir kritisch sehen oder sogar für falsch halten, auch so benennen und Alternativen vorschlagen. Dies ist umso wichtiger bei Vorhaben, bei denen die Entscheidung noch aussteht. Dass wir den Vertrag von Lissabon in der vorgelegten Fassung ablehnen, hat einzig inhaltliche Gründe.
Dabei übersehen wir auch nicht, dass der Vertrag von Lissabon gegenüber dem Vertrag von Nizza durchaus eine Reihe von Verbesserungen aufweist. Diese betreffen aus unserer Sicht vor allem die stark erweiterten Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments, die Beteiligung der nationalen Parlamente, den Abstimmungsmodus im Rat, die Rechtspersönlichkeit für die Union, die Verbindlichkeit für die EU-Grundrechtecharta und die ersten Schritte für partizipative Demokratie. Das habe ich auch immer betont und werde dies auch weiterhin tun.
Aber es ist genauso legitim, auf die Nachteile hinzuweisen. Bei der notwendigen Abstimmung kann aber nur entweder mit "JA" oder mit "NEIN" gestimmt werden. Nach Abwägung der Vorzüge und Nachteile haben wir uns entschieden, mit "NEIN" zu stimmen, weil für uns die Nachteile überwiegen.
Zu den entscheidenden Nachteilen des Vertrages gehören, dass der Vertrag von Lissabon erneut keine Verfassung für die Bürgerinnen und Bürger in der Union ist. Das gesamte Vertragswerk ist für den Normalbürger - aber nicht nur für diesen - nicht zu verstehen, das können nur noch Europarechtler. So ist eine Identifizierung für die Bürgerinnen und Bürger mit der Europäischen Union nicht zu bewerkstelligen.
Gleiches trifft auf das Zustandekommen des Vertrages zu. Es ist ein Vertrag der Regierenden, nicht der Bürgerinnen und Bürger.
Besonders beunruhigt uns der in großen Teilen neu gefasste Abschnitt der Bestimmungen über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, da er wesentlich militärisch geprägt ist. Wir halten diese militärische Ausrichtung für falsch und gefährlich. Besonders betrifft dies die Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf "schrittweise Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten" (Artikel 42, Absatz 3 EUV). Das heißt im Klartext ständige Aufrüstung.
Erforderlich im Sinne einer friedlichen, demokratischen, sozialen und ökologischen Entwicklung ist aber nicht Aufrüstung, sondern Abrüstung! Mit der Einrichtung einer "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" für militärisch besonders anspruchsvolle" Staaten wird aber ein militärisches Kerneuropa auf den Weg gebracht.
Das neoliberale Konzept des europäischen Binnenmarktes und der Wirtschafts- und Währungspolitik mit den Prioritäten Wettbewerbsfähigkeit und Preisstabilität hat sich auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Bürger negativ ausgewirkt. Trotzdem will man daran festhalten. Was wir als LINKE vor allem vermissen ist, dass sich die Europäische Union in ihren Werten (Artikel 2 EUV) zur Sozialstaatlichkeit bekennt, so wie das die meisten Mitgliedstaaten in ihren nationalen Verfassungen tun. Es besteht sonst die Gefahr, dass die Sozialstaatlichkeit der Nationalstaaten durch EU-Regelungen unterlaufen wird.
DIE LINKE wird weiter dafür kämpfen, dass die Europäische Union zu einem Europa des Friedens und der Demokratie, der sozialen und ökologischen Sicherheit und der Solidarität mit allen wird. Wir werden dazu den Bürgerinnen und Bürgern unsere Vorstellungen unterbreiten und diese mit ihnen im Europawahlkampf 2009 diskutieren.
Wie Sie wissen, hat DIE LINKE eine Unterschriftenaktion gestartet mit der Forderung nach einem Referendum zum Vertrag von Lissabon in Deutschland. Im Karl-Liebknecht-Haus sind dazu bisher mehr als 10.000 Unterschriften eingegangen. Auch andere, so z.B. "Mehr Demokratie" und "Friedenskoordination Berlin" haben gleichgerichtete Initiativen gestartet. Wir werden die Unterschriften in geeigneter Form an den Deutschen Bundestag weiterleiten.