Zum Hauptinhalt springen
Bernd Riexinger

Zeit zu handeln statt zu hetzen

Statement von Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei DIE LINKE, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Ich möchte Sie ganz herzlich begrüßen. Uns friert es wirklich. Damit wären wir auch beim Thema, dass es den Flüchtlingen natürlich im Winter viel mehr so geht und deswegen eigentlich die wichtigste Aufgabe derzeit wäre, die Unterkünfte der Flüchtlinge winterfest zu machen. Wir frieren schon, wenn eine Nacht die Heizung ausfällt. Wer erst in Zelten oder Massenunterkünften leben muss, dem wird es ganz anders gehen. Aber anstatt sich den tatsächlichen Herausforderungen zu stellen und die Dinge anzugehen, die angegangen werden müssen, erleben wir auch wieder unvermindert Vorschläge, die Flüchtlinge abschrecken sollen und die nicht geeignet sind, Lösungen zu finden, sondern eher dazu geeignet sind, rechte Stammtische zu bedienen. Das ist Stimmungsmache statt handeln und nützt im Übrigen nur der AFD. Das macht mir wirklich ernsthafte Sorgen. Nicht nur die üblichen Verdächtigen aus dem Süden der Republik, auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière, haben sich für eine rasche Abschiebung aussichtsloser Asylbewerber in speziellen Transitzonen ausgesprochen. Herr Seehofer hat jetzt verkündigt, dass sich CDU und CSU darüber geeinigt haben. Solche Transitzonen wären im Übrigen rechtsfreie Räume, in denen das Grundrecht auf Asyl ausgehebelt würde. Das ist mit uns definitiv nicht zu machen. Solche Vorschläge sind im Übrigen auch nicht praktikabel. Sie zeigen vor allen Dingen eins: dass offensichtlich auf Seiten der Regierung in erster Linie Chaos herrscht und dass nach wie vor ein offener Ausstand gegen die Kanzlerin stattfindet. Jeder macht offensichtlich was er will. Es wäre im Übrigen Frau Merkel nur zu wünschen, dass sie sich in der Flüchtlingsfrage gegenüber den Hartlinern in ihrer eigenen Partei und der CSU durchsetzt. Mit uns sind die Einschränkungen, die zum Asylrecht in dieser Woche zur Abstimmung stehen, im Übrigen definitiv nicht zu machen. Es ist Zeit zu handeln, statt zu hetzen. Es braucht energische Anstrengungen, nicht nur gegen die anstehende Winterkälte, sondern auch gegen die seit Jahren im Land herrschende soziale Kälte. Wir schlagen deshalb vor, dass die Große Koalition ein Sofortprogramm für den sozialen Zusammenhalt auf die Beine stellt, die allen Menschen und auch den Flüchtlingen zugutekommt, allen Menschen hierzulande mit mittleren und unteren Einkommen. Neben einem sozialen Wohnungsbauprogramm muss massiv in Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit und Integration investiert werden. Wir brauchen dringend ein Integrationsprogramm für diejenigen Flüchtlinge, die in unserem Land bleiben werden. Die soziale Ungerechtigkeit in unserem Land muss dringend angegangen werden, sonst besteht die große Gefahr, dass Flüchtlinge gegen andere Bevölkerungsgruppe ausgespielt werden und wir in der Tat auf diesem Weg nur rechtspopulistischen Parteien und Gruppen zuarbeiten. Auch die Finanzierung muss im Übrigen sozial erfolgen. Es ist meines Erachtens eine völlige Illusion zu meinen, dass das längerfristig aus den laufenden Haushalten zu finanzieren ist. Wenn aber solche unsinnigen Vorschläge, wie die Mehrwertsteuer zu erhöhen oder europäische Solibeiträge einzufordern, nicht realisiert werden und hoffentlich nicht realisiert werden, weil es nur die unteren sozialen Gruppen trifft und die Beschäftigten trifft, dann müssen wir endlich den Mut haben, über eine Millionärssteuer und über die Erhöhung der Erbschaftssteuer für hohe Vermögen eine vernünftige Finanzierung auf die Beine zu stellen und für Mehreinnahmen des Staates zu sorgen. Im Übrigen würde ein Programm für den sozialen Zusammenhalt und ein Integrationsprogramm auch wie ein Konjunkturprogramm wirken, das die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt ankurbelt. Es wären also nicht nur Kosten, sondern es würde tatsächlich auch ein Fortschritt für die Gesellschaft hereinkommen. Wir sollten nicht immer nur über die Probleme im Zusammenhang mit den Flüchtlingen reden, sondern auch über die Chancen und die Möglichkeiten, die sich unserem Land damit bieten würden.

97 Tote und über 500 Verletzte, das ist die schockierende Bilanz der Anschläge auf eine Friedensdemonstration am Samstag in Ankara. Die Lage in der Türkei droht zu eskalieren. Verleumdungen, Einschüchterungen und Angstszenarien – dem türkischen Präsidenten Erdogan ist jedes Mittel recht, um die Opposition vor den Wahlen am 01. November zu zerstören. Nicht nur die Anhänger der HDP, sondern auch andere Gruppen kritisieren, dass die türkische Regierung zu wenig für die Sicherheit der Demonstrantinnen und Demonstranten getan hat. Deshalb muss Erdogan diesen Anschlag auch politisch mitverantworten. Wir fordern eine unabhängige Untersuchung des Verbrechens, weil der türkische Polizeiapparat und die Justiz gesäubert wurden und mit linientreuen Anhängern besetzt wurden. Mit einer rechtsstaatlichen Untersuchung ist deshalb nicht zu rechnen. Aber wir sagen auch: Die Europäische Union und die Bundesregierung müssen endlich damit aufhören, Erdogan mit Samthandschuhen anzufassen und damit seinen autoritären Führungsstil zu tolerieren. Stattdessen müssen demokratische und zivile Organisationen unterstützt werden. Ich erwarte von der Bundesregierung ein klares politisches Signal gegen die Politik von Erdogan. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, dass eine solche autoritäre und undemokratische Regierung länger unterstützt wird.

Am Wochenende haben wir die größte Demonstration in Deutschland seit Jahren erlebt. Wahrscheinlich über 200.000 oder vielleicht sogar 250.000 Demonstrantinnen und Demonstranten haben sich in Berlin gegen das Freihandelsabkommen TTIP zusammengefunden. Ich finde, das ist ein tolles Ereignis – imponierend – und das ist der Verdienst einer kritischen und gut informierten Zivilgesellschaft. Es zeigt sich im Übrigen, auch wenn Gewerkschaften und Basisbewegungen, Umweltschutzorganisationen, internationale Organisationen zusammenarbeiten, was sie auf die Füße stellen können. Ich glaube, dass insbesondere Herr Gabriel und die SPD unter Druck kommen. Es waren auch viele Sozialdemokraten auf dieser Demonstration, weil es hier eine klare Differenz zwischen Basis und Führung in der SPD gibt. Viele SPD-Ortsvereine haben kein Verständnis, warum Herr Gabriel umgeschwenkt ist und vom Kritiker zum Befürworter der diversen Freihandelsabkommen geworden oder mutiert ist. Ich glaube auch, dass wir durchaus noch parlamentarische Möglichkeiten haben. Wir wissen noch nicht ganz genau wie das Verfahren aussehen wird. Aber nach unseren Vorstellungen muss TTIP und müssen auch SETA und die übrigen Freihandelsabkommen sowohl durch den Bundestag wie durch den Bundesrat. Wir, Grüne und Linke sind inzwischen an neun Landesregierungen beteiligt. Wenn sie dort geschlossen Nein zu TTIP, SETA und TISA sagen, müssen sich die Länder enthalten, und es gibt keine Mehrheit für die Freihandelsabkommen im Bundesrat. Deswegen sind insbesondere die Grünen gehalten, die ja mit zu den Aufrufern dieser Demonstration gehören, hier im Bundesrat eindeutig Flagge zu zeigen. Das geht insbesondere an meinen Landesbruder Herrn Kretschmann, der sich ja für TTIP ausgesprochen hat und hier offensichtlich die Interessen großer Konzerne höher hängt als die seiner Basis und seiner eigenen Partei und insbesondere auch von Umwelt- und Verbraucherschützern. Ich glaube, er wäre gut beraten, auf die Linie seiner Partei einzuschwenken.

Letztes Thema, Syrien: In Syrien tobt weiter – man kann es nicht anders sagen – der totale Krieg. Es herrscht nach wie vor völliges Chaos. Die Opfer sind wie immer Frauen, Kinder und die gesamte Zivilbevölkerung. Es zeigt sich wieder einmal, es gibt keine richtigen Bomben oder keine guten Bomben. Es gibt nur tödliche und falsche Bomben. DIE LINKE fordert das Ende aller Luftbombardements in Syrien. Es ist völlig klar: Frieden in Syrien kann nicht militärisch erkämpft werden. Er kann auch nicht herbeigebombt werden. Wir stellen uns gegen jegliche Beteiligung der Bundeswehr. Die Bundeswehr muss unseres Erachtens ihre politische Unterstützung für den Antiterrorkrieg aufgeben. Es zeichnet sich ab, dass auf diesem Wege keine Friedenslösung herbeigeführt werden kann. Sie muss auch ihre Bundeswehrangehörigen aus dem Nordirak zurückziehen. Waffenlieferungen in den mittleren und Nahen Osten und Militärausbildungen sind unseres Erachtens sofort einzustellen.

Meine letzte Anmerkung: Wir haben morgen die Wahlen für eine neue Fraktionsführung. Die Parteiführung und der Geschäftsführende Parteivorstand haben vorgeschlagen, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch als neue Fraktionsvorsitzende zu wählen. Wir gehen davon aus, dass diese Wahl nicht nur stattfinden wird, sondern auch so ausgehen wird, wie sie die Parteiführung vorgeschlagen hat und wir in der Lage sind, einen geordneten Übergang in der Fraktionsführung zu organisieren und auch eine gute Zusammenarbeit zwischen Parteiführung und Fraktionsführung. Wir sind davon überzeugt, dass DIE LINKE auf einem nicht nur stabilen Kurs ist, sondern auf einen Erfolgsweg ist und die Wahl der neuen Führung auch diesen Erfolgsweg fortsetzen wird.