Zum Ausgang der Europawahlen aus europäischer Perspektive
Überlegungen von Heinz Bierbaum, Vorsitzender der Internationalen Kommission
Die Linke in Europa
Das unbefriedigende Abschneiden der Linken in Deutschland reiht sich in das insgesamt schlechte Ergebnis der Linksparteien in Europa ein. Ausnahmen stellen lediglich der Erlog der Linken in Portugal, wo der Linksblock deutlich zulegen konnte, und der PTB in Belgien dar. Die Linksparteien in den skandinavischen Ländern blieben stabil. Das Ergebnis von Syriza ist ordentlich und nicht so schlecht, wie es oft dargestellt wird. In Osteuropa ist die Linke schwach und nach der Wahl noch schwächer, verlor doch die tschechische KP 2 ihrer 3 Sitze im Europäischen Parlament. Levica in Slowenien erzielte mit 6,5 % zwar ein relativ gutes Resultat, verfehlte aber ihr Ziel, mit der Spitzenkandidatin der EL Violeta Tomic in das EP einzuziehen. Besonders schlecht sind die Resultate in Frankreich und in Italien. Das Desaster der Linken in Italien war allerdings erwartbar und stellt keine Überraschung dar. Das schlechte Ergebnis in Frankreich, wo France Insoumise lediglich 6,3 % erreichte, deutete sich zwar an, überrascht aber doch. PCF mit 2,5 % und Génération.s mit 3,3, % konnten die in Frankreich geltende Hürde von 5 % nicht überwinden. In Spanien setzte sich der Rückgang der Linken (Unidas Podemos) bei den Nationalwahlen auch bei den Europawahlen fort, während die linksnationalistischen Parteien (Katalonien) und die Sozialdemokratie (PSOE) gewannen. Einen leichten Aufschwung der Sozialdemokratie gab es auch mit dem Resultat der Partito Democratico in Italien sowie stärker in den Niederlanden, während die SP ihren bisherigen Sitz im EP einbüßte. An der klaren Niederlage der Sozialdemokratie in Europa ändert das allerdings nichts. Aufgrund dieser Ergebnisse verliert die Fraktion der Linken im Europäischen Parlament, der GUE/NGL, rund ein Viertel ihrer bisherigen 52 Sitze.
Insgesamt ist festzustellen, dass die europäische Linke sich nicht als starke politische Alternative sowohl zur neoliberalen Politik als auch zur nationalistischen und rassistischen Rechten profilieren konnte. Für die europäische Linke trifft zu, was Bernd Riexinger zurecht für die deutsche Linke feststellte: Sie konnte inhaltlich nicht überzeugen.
Zwar muss man das Ergebnis im jeweiligen nationalen Kontext analysieren, doch gibt es auch verallgemeinerbare Gründe für das schlechte Abschneiden. So hat die Linke immer dann verloren, wenn sie besonders gespalten war. Das gilt für Italien und Frankreich und mit Abstrichen auch für Spanien. Eine nähere Analyse müsste auch die vergangenen Kämpfe, ihre Siege und vor allem ihre Niederlagen wie z.B. der Streik der CGT in Frankreich und ihre Auswirkungen auf die Linke berücksichtigen. So sehr linke Politik immer auch von sozialen Kämpfen begünstigt wird und der sozialen Bewegungen bedarf, so ist doch das Verhältnis oft kompliziert. Dies zeigt das Beispiel der "Gilets jaunes" in Frankreich. Ihr Votum war stark zersplittert, einige Repräsentanten unterstützten auch die Linke, doch die große Mehrheit hat Marine Le Pen gewählt.
Zukunft der Europäischen Linken (EL)
Die Zusammenarbeit der Linken auf europäischer Ebene ist völlig unzureichend. Mit der EL, der Bewegung DiEM25 von Varoufakis und "Maintenant le Peuple", initiiert von Mélenchon, gab es unterschiedliche Strategien, die sich allerdings europaweit kaum profilieren konnten. Die EL ist schwach und konnte den europäischen Wahlkampf kaum prägen. Die beiden Spitzenkandidaten Violeta Tomic und Nico Cué mühten sich, erzielten aber wenig Wirkung. Der italienische Versuch, die EL zu ihrem Markenzeichen im Wahlkampf zu machen, blieb ohne Erfolg.
Die Zukunft der EL steht auf der Kippe. Die politische Debatte innerhalb der EL ist wenig entwickelt. Zwar gab es in jüngster Zeit vermehrte Anstrengungen in dieser Hinsicht, doch ist dies nicht ausreichend. Hier bedarf es einer Intensivierung. Dringend notwendig ist eine Verständigung zwischen der EL und den wichtigen Parteien, die der EL nicht angehören - wie Podemos, PTB, France Insoumise. Die Schwäche von France von Insoumise, die ja der EL sehr kritisch gegenübersteht, bietet in dieser Hinsicht auch eine gewisse Chance. Das dritte Europäische Forum, das im November in Brüssel stattfinden wird, bietet eine Plattform für den notwendigen Dialog unter den europäischen Linken, linke Kräfte der Grünen und der Sozialdemokratie und auch der Gewerkschaften eingeschlossen. Es wäre eine Aufgabe für DIE LINKE, sich dafür mehr zu engagieren, als sie es bisher getan hat, und damit ihrer Verantwortung auch gegenüber der europäischen Linken gerecht zu werden. DIE LINKE ist nach wie vor ein bedeutsamer Bezugspunkt für die europäische Linke.
Sozial-ökologische Transformation
Eine für die europäische wie deutsche Linke stark kontrovers diskutierte Frage ist die Frage, ob die EU reformierbar ist oder nicht. Dabei ist allerdings der nationale Kontext zu berücksichtigen. So hat der stark EU-kritische Linksblock in Portugal gewonnen, während die ebenfalls stark EU-kritische SP in den Niederlanden verloren hat. Die in der LINKEN vertretenen Extrempositionen mit der klaren Befürwortung der EU mit der Vision einer "Europäischen Republik" und der strikten Ablehnung der EU als der Kern allen Übels gehen beide an der Realität vorbei. Es ist offensichtlich, dass die Verträge von Maastricht und Lissabon keine Grundlage für das gewollte soziale, demokratische, ökologische und friedliche Europa darstellen. Doch die Frage, ob die EU reformierbar ist oder nicht, ist letztlich eine abstrakte Frage. Entscheidend sind vielmehr die politischen Prozesse, die in Gang zu setzen sind, um die EU und damit Europa zu verändern. Dazu gibt es sowohl auf der Ebene der europäischen Linken als auch bei der deutschen Linken eine ganze Reihe konkreter Vorschläge, die aber verdichtet und zu einem überzeugenden Bild zusammengeführt werden müssen. Das fehlt. Die hohe Wahlbeteiligung hat deutlich gemacht, dass es Erwartungen gegenüber den politischen Parteien im Hinblick auf die EU und Europa gibt. Die Linke konnte darauf insgesamt keine wirklich überzeugende Antwort geben.
Im Gegensatz zur Linken ist dies den Grünen zu einem großen Teil gelungen. Die Ökologiefrage und dabei insbesondere der Klimawandel spielte ihnen in die Hände. Auch gelten die Grünen darüber hinaus als politisch verlässliche Vertreter der Zivilgesellschaft. Der von der Linken - europaweit wie national - geltend gemachte Zusammenhang von sozialer und ökologischer Frage bleibt dennoch richtig. Freilich darf es bei der immer wieder beschworenen sozial-ökologischen Transformation nicht bei einer Worthülse bleiben. Man muss hier wesentlich inhaltlicher und auch politischer werden. Und man darf daraus auch keine Generationenfrage machen, sondern verdeutlichen, dass dies eine Klassenfrage ist. Erforderlich ist, dass inhaltlich mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, was auch bedeutet, dass die Debatte um Inhalte und Ausrichtung einer linken Industriepolitik intensiviert werden muss. Dabei kann es nicht nur um Investitionsprogramme, sondern muss es auch um Beteiligung der Produzenten gehen und wirtschaftsdemokratische Elemente aufgegriffen werden. Gleichzeitig gilt es aber auch, in den politisch-sozialen Bewegungen stärker präsent zu sein. Dabei ist eine zentrale Frage die der gewerkschaftlichen Verankerung. Sicherlich sind die deutschen Industriegewerkschaften korporativ geprägt, doch gleichzeitig bewegt sich etwas. Verwiesen sei auf den Transformationskongress und auf die große Demonstration am 29. Juni in Berlin der IG Metall. Das mag unzureichend sein. Doch die Linke muss dabei politisch präsent sein und als Akteur wahrgenommen werden. Es gibt genügend kritisches Potenzial, an das angeknüpft werden kann.
Die sozial-ökologische Transformation ist die politisch entscheidende Frage. Natürlich bleiben auch alle anderen Themen wie Kampf gegen prekäre Arbeit, für mehr Gleichheit etc. wichtig. Sie sind untereinander verbunden. Jedenfalls muss die Linke die sozial-ökologische Transformation stärker zum Inhalt ihrer Politik machen und sich darüber profilieren. Dabei hat sie als Linke sich besonders auch mit der Frage der Transformation und damit der grundlegenden Veränderung der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Dabei ist zu verdeutlichen, dass dies in einer am Profit ausgerichteten Wirtschaft nicht gelingen kann. Es geht um die sozialistische Perspektive. In diesem Zusammenhang ist der von Sozialwissenschaftlern angestoßene Diskurs um "Neo-Sozialismus" (ein allerdings wenig schöner Begriff) wichtig.
Das neue Europäische Parlament (EP)
Das neue EP unterscheidet sich in der Zusammensetzung wesentlich von dem vorhergehenden. Die Ära der großen Koalition ist zu Ende. Erstarkt sind die Grünen, aber auch die Liberalen. Eine mögliche Kooperation der Parteien der bisherigen großen Koalition mit den Liberalen birgt die Gefahr, dass die verhängnisvolle neoliberale Austeritätspolitik nicht nur fortgesetzt, sondern verschärft wird. Die Rechte und extrem Rechte hat zwar nicht ganz so stark zugelegt, wie befürchtet worden war. Doch ist ihr Zuwachs beträchtlich. Sie werden rund ein Viertel der Abgeordneten ausmachen. Damit werden sich die desintegrativen Tendenzen in der EU verstärken. Es wird insbesondere Aufgabe der Linken sein, sich den nationalistischen, xenophoben und rassistischen Tendenzen entgegenzustellen. Dabei darf man aber nicht in die Falle des von konservativer und liberaler Seite aufgemachten Gegensatz der Europa(sprich EU)- Freundlichkeit und -Feindlichkeit tappen, sondern muss sich um Konzeption und Inhalte europäischer Politik streiten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Fortsetzung und Ausweitung der Erfahrungen mit dem "Porgressive Caucus" , einer Kooperation von Vertretern der GUE/NGL und linken Vertretern der grünen und der sozialistischen Fraktion. Es gibt eine gemeinsame politische Plattform mit dem Plädoyer für ein grundlegend andere Politik, die zugleich auch Ausgangspunkt für die weitere Zusammenarbeit insbesondere in Zusammenhang auch im Hinblick auf die sozial-ökologischen Transformation sein könnte.