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Katja Kipping

Ein gutes Impfkonzept stärkt den sozialen Zusammenhalt

Zur Diskussion um die Verteilung von Impfdosen nach der erwarteten Zulassung eines Impfstoffes erklärt Katja Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE:

Am 6. Oktober hat die europäische Pharmaaufsicht EMA den Genehmigungsprozess eines Corona-Impfstoffs von der Firma Biontech begonnen. Damit gerät ein Impfstoff immer mehr in Reichweite. Viele von uns schauen zurecht gebannt auf die pharmazeutische Forschung, voller Hoffnung, dass ein Impfstoff uns bald die lang ersehnte ,Normalität' zurückgeben kann. Und dabei muss man sagen: die Entwicklung des Impfstoffes hat durchaus Potential. Wir haben gesehen, dass international schnell und koordiniert gehandelt wurde und wir haben gesehen, dass zahlreiche Staaten frühzeitig in die Forschung interveniert haben und den Impfstoff sowie seine Verteilung der reinen Profitlogik des Marktes entzogen haben.

Doch die Frage, wer wann Zugang zum Impfstoff bekommt, lässt sich durch pharmazeutische Forschung nicht beantworten. Diese Frage ist eine gesellschaftspolitische und auch eine ethische. Sie muss deshalb offen debattiert und transparent entschieden werden.

Denn wenngleich der Zeitpunkt noch nicht klar ist, können wir sicher sagen: Nicht alle, die eine Impfung haben wollen, werden sie direkt bekommen können. Sowohl bei der Produktion als auch bei der Verteilung wird es Grenzen des Machbaren geben. Es gibt Berufsgruppen, die schneller Zugriff haben sollten als andere. Medizinisches Personal, dass besonders gefährdet ist und eine mögliche Infektion weitertragen könnte, ist ein Beispiel für eine Gruppe, die als erstes Zugang zum Impfstoff haben sollte. Ganz sicher sollten auch älteren Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen, also Personen die durch eine Covid-19-Erkrankung besonders gefährdet sind, vorrangig eine Impfung bekommen können. Hier sollte aber zuvor genau geprüft werden, ob der Impfstoff selbst ein Risiko darstellen könnte.

Bei weiteren Berufsgruppen wären sicher auch Schulpersonal, Erzieherinnen und alle Beschäftigten in Pflegeeinrichtungen zu erwähnen. Generell sollte gelten: Wer besonders intensiv und eng mit anderen Menschen arbeitet, sollte einen vorrangigen Zugang bekommen. Dazu gehören auch Menschen, die in Sammelunterkünften arbeiten, sei es in der Wohnungslosenhilfe oder für Geflüchtete.

All das sind Fragen, die vor einem Zeitpunkt, wo der Impfstoff zur Verfügung steht, diskutiert und entschieden werden sollten. Ich meine, dass wir uns schon jetzt dieser Debatte nähern sollten. Wir brauchen sozial gerechte, aber auch transparente Kriterien, die von der Bevölkerung nachvollziehbar und die für alle allgemein verständlich sind. Die demokratischen Parteien sollten sich selbst verpflichten, hier mit einem Höchstmaß an gesellschaftlicher Verantwortung zu argumentieren. Wir alle sollten eine Politisierung des Impfstoffes, wie sie etwa gerade US-Präsident Donald Trump in den USA betreibt, in jedem Falle vermeiden und weiter auf Vernunft, Augenmaß und Transparenz setzen.  

Der Vorgang des Impfens sollte in öffentlicher Hand liegen. Er wird nicht nur logistisch einmalige Anforderungen an unser Gesundheitssystem stellen, sondern er wird auch eine Bewährungsprobe für die große Solidarität, die gegenseitige Verantwortlichkeit und den Bürgersinn, die wir in dieser Pandemie erlebt haben.

Ich plädiere sehr dafür, dass neben der ständigen Impfkommission, dem Ethikrat und Wissenschaftlern auch Sozialverbände und Gewerkschaften in die Erarbeitung der Grundsätze zur Impfstoffverteilung eingebunden werden. Es kann uns gelingen, dass unser Land gut aus der Pandemie herauskommt, wenn wir ein Höchstmaß an Vertrauen und Verständnis in dieser Verteilungsdiskussion erreichen können.

Die Verteilungsfrage hat eine wissenschaftlich-medizinische, eine ethische, aber auch sozialpolitische Dimension, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen. Ein gutes Impfkonzept stärkt den sozialen Zusammenhalt. Die Bürger:innen erwarten hier zurecht Antworten, die überzeugen und so auch das Vertrauen in die Politik stärken. Dies gilt besonders dann, wenn wir in der ersten Phase ein Rationierungsproblem mit einem Covid-19-Impfstoff haben werden.

Zugleich gilt es über unsere Landesgrenzen hinauszuschauen. Das betrifft nicht nur Europa, es betrifft bei Corona buchstäblich die ganze Welt. Wir dürfen also die ärmeren Länder oder auch all jene Regionen, die keine ausreichende Gesundheitsversorgung haben, nicht zurücklassen. Auch hier müssen die reichen Länder bereit sein zu geben und es darf keinen Handel mit dem Impfschutz geben. Kriterium darf nicht sein, wieviel Impfdosen am Ende die reichen Länder bereit sind zur Verfügung zu stellen, sondern wieviel Impfstoff verteilt werden muss, damit die Pandemie zurückgeht. Hier ist nachdrücklich die Weltgesundheitsorganisation politisch und finanziell zu stärken. Auf globaler Ebene werden wir nur sicher vor Covid-19 geschützt sein, wenn alle geschützt sind.

 


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