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Martin Schirdewan & Stefan Hartmann

Eine Investitionsoffensive für den Osten

Die Menschen in Ostdeutschland haben in den letzten 34 Jahren seit der Wiedervereinigung viel erreicht. Sie haben eine industrielle Kahlschlags-Politik, Privatisierungen und Massenarbeitslosigkeit erlebt und viele Ostdeutsche haben – mitten im Leben stehend und mit familiären Verpflichtungen – neue Berufe erlernt. Es sind gesellschaftliche Freiräume aufgebaut worden: in unzähligen Bürgerinitiativen wurde um die Restaurierung von Kulturstätten und sozialen Zentren gekämpft. Freie Jugendprojekte schossen aus dem Boden, die dem Aufkommen rechter Schlägertrupps etwas entgegensetzen konnten. An sozialen Errungenschaften in der Gleichstellungs-, Gesundheits- und Bildungspolitik konnte angeknüpft werden.

Gleichzeitig schlug den Ostdeutschen aus der bundesdeutschen Politik stets der Wind entgegen. Der „Aufbau Ost“ der Treuhand war ein „Ausverkauf Ost“, von dem vor allem Konzerne und Unternehmen aus dem Westen profitiert haben. Das hat die Grundlagen für Entwicklungspfade gelegt, die noch heute wirken. Zwar sind einige wirtschaftliche Cluster-Regionen wie Jena oder Erfurt, Dresden oder Leipzig entstanden, in denen die wirtschaftlichen Kennzahlen vergleichsweise gut sind.

Insgesamt aber bilden die Ostbundesländer immer noch die größte zusammenhängende strukturschwache Region: Löhne, Wirtschaftsleistung, Einkommen und Vermögen sind deutlich geringer, die Zukunft stärker von Sorgen geprägt. Die Pro-Kopf-Investitionen in Maschinen oder Produktionsanlagen betragen im Durchschnitt zuletzt gerade einmal 64 Prozent des Westniveaus. Die kommunalen Haushalte sind meist unterfinanziert.

Die öffentliche Daseinsvorsorge bildet oft kein verlässliches Netz mehr, viele Menschen verlassen die schrumpfenden Regionen. Der „Aufbau Ost“ ist als „Nachbau West“ gescheitert. Selbst dort wo - wie in Teilen Thüringens und Sachsens - ein moderner volkswirtschaftlicher Kapitalstock aufgebaut wurde, droht er angesichts der Investitionszurückhaltung zu veralten. Insgesamt hat der Osten häufig eine untergeordnete Funktion in der Wertschöpfungskette. Als eine Art verlängerte Werkbank benutzt, werden die Werte vielfach im Westen realisiert. Das hat die ungleiche Entwicklung dieser Region in der Wirtschafts- und Steuerkraft sowie in der Entwicklung der Einkommen und Vermögen der Beschäftigten seit 1989/1990 zementiert.

Diese tiefsitzenden Erfahrungen der Enttäuschung – trotz eines massenhaften Aufbegehrens – haben auch das Vertrauen in Demokratie erschüttert. Die Kürzungspolitik der Ampel-Regierung im Zeichen der Schuldenbremse verschärft die Handlungs- und Vertrauenskrise aktuell massiv. Es fehlen Wachstumsimpulse, die sich aus öffentlichen Investitionen in bessere Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und Infrastruktur ergeben würden. Nicht mal bei den Altschulden der Kommunen hat die Bundesregierung wie versprochen geliefert.  Die Länder haben Schwierigkeiten den Investitionsstau abzubauen.

Kein Wunder, dass eine deutliche Mehrheit der Wahlberechtigten in Sachsen, Thüringen und Brandenburg den Osten im Hintertreffen sieht. In einer Umfrage des Instituts YouGov stimmten 60 Prozent der Befragten der Aussage «Die Lebensbedingungen in Westdeutschland sind deutlich besser als in Ostdeutschland» zu. Doch das Programm „weniger Migration, weniger kulturelle Pluralität, weniger Globalisierung, weniger Klimawende “ – das besonders von der AfD, aber auch von CDU und BSW vertreten wird, um den Unmut zu bewirtschaften – bedeutet eine wirtschaftliche und soziale Selbstabwicklung. Ohne sozialen und ökologischen Umbau, Öffnung und Zuwanderung werden sich die Probleme nicht lösen, sondern verschärfen. Wir wollen dagegen an den Potenzialen, Erfahrungen und Chancen der ostdeutschen Länder ansetzen.

Wir wissen, dass viele Menschen im Osten die Werte der Solidarität, der Gleichheit und der Würde jedes Menschen teilen. Dieser solidarischen Osten braucht eine Stimme - und endlich massive Investitionen und mehr Beteiligung, für einen eigenen und selbstragenden Entwicklungspfad. Es geht um einen Pfadwechsel, hin zu einer wirtschaftlichen Entwicklung, die Werte vor Ort schafft und realisiert.

  • Wir können die Energie- und Verkehrswende zu einem wirtschaftlichen Erfolgsprojekt im Osten machen: Wohnortnahe, nachhaltige Energie in kommunaler Hand sichert soziale Preise und macht Industriestandorte zukunftssicher. Bei der Produktion von Schienen, Bus und Bahn liegen ostdeutsche Unternehmen vorn. Auch sie brauchen Zukunftssicherheit durch die Bundespolitik: Mehr Investitionenin die Schiene, Bus und Bahn bedeutet mehr und verlässliche Produktion und einen Aufwuchs an Kapazitäten und Beschäftigung.
  • Massive Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge können ebenfalls ein Jobmotor werden, der gegen mangelnde Zukunftsperspektiven und schrumpfende Landstriche wirkt. Eine bessere Daseinsvorsorge bedeutet auch: weniger Menschen ziehen weg. Bedeutet auch: mehr gelingende Integration und mehr Zusammenhalt. Daher braucht es dringend eine Stärkung der Daseinsvorsorge von Ländern und Kommunen.
  • Selbst in der Förderlandschaft herrscht Ungleichheit: Bestehende Förderprogramme werden oftmals nicht genutzt, weil vor Ort Planungskapazitäten in den öffentlichen Verwaltungen fehlen. Dies führt zu einem Ungleichgewicht bei der Fördermittelvergabe: Kommunen, die schon schlechter ausgestattet sind, haben größere Schwierigkeiten an den Förderprogrammen teilzunehmen. Dagegen hilft: Qualifikationen, Beratung und Personal in den Verwaltungen stärken.

Dafür braucht es endlich einen Politikwechsel im Bund.

Zugleich haben auch die Landesregierungen Spielräume, die genutzt werden müssen: Wer sich, wie in Sachsen, beharrlich weigert, die Kommunen mit ausreichenden Mitteln auszustatten, wer an ideologischen Schuldenregeln festhält und staatliche Kapazitäten bewusst niedrig hält, darf sich nicht wundern, wenn Menschen den Eindruck haben, mit ihren Problemen alleine gelassen zu werden. Dass es anders geht zeigt Die Linke in Thüringen. Hier hat das Land seit 2014 die Finanzzuweisungen an die Kommunen deutlich erhöht.

Die Erfahrungen aus der Transformation im Osten müssen endlich für die aktuellen Herausforderungen genutzt werden. Es braucht endlich bessere Löhne und Renten um gute Arbeit und die Kaufkraft im Osten zu stärken, eine Investitionsoffensive mit effektiver Beteiligung und einen Schuldenschnitt für kommunalen Altschulden.

 

Wir fordern: 

 

1. Investitionsplan und Infrastrukturfonds Ost

Die öffentliche Infrastruktur hat einen wesentlichen Anteil an der Lebensqualität vor Ort. Das Gefühl von Zusammenhalt und Verbundenheit hängt mit den realen Strukturen zusammen, die Menschen miteinander verbinden und die Gemeinsamkeiten stiften. Der öffentliche Investitionsbedarf in Deutschland für die kommenden zehn Jahre beträgt rund 600 Milliarden Euro. Für die östlichen Bundesländer sind das ungefähr 190 Milliarden. Schon in den Kommunen besteht ein riesiger Investitionsstau bei Schulen, Kitas, Gesundheitsinfrastruktur und Verkehrsinfrastruktur. Es muss endlich etwas passieren.

  • Wir fordern eine öffentliche Investitionsoffensive und schlagen die Einrichtung eines Infrastrukturfonds Ost vor. Dieser wäre wie ein Sondervermögen von der Schuldenbremse ausgenommen. So können wir in eine Wirtschaft mit Zukunft investieren, die öffentliche Daseinsvorsorge ausbauen und den Investitionsstau in Kommunen und Ländern im Osten auflösen.
  • Mehr Arbeitsplätze in Hoch- und Tiefbau und in der Fahrzeugproduktion für den Nahverkehr: Eine langfristige Investitionsplanung schafft auch langfristige Perspektiven. Mit verbindlichen Investitionsplänen für den flächendeckenden Ausbau des Nahverkehrs, für die Restaurierung von Schulen und Aufbau von sozialen Zentren in den Dörfern stärkt man Bereiche, in denen es in Ostdeutschland ohnehin Kapazitäten gibt. Der Ausbau der bestehenden Unternehmen kann durch Genossenschaftsgründungen und Wirtschaftstätigkeiten der öffentlichen Hand selbst verstärkt werden.
  • Für die von der Transformation der Wirtschaft besonders betroffenen Industrien brauchen wir Maßnahmen, um für die Beschäftigten den Übergang zu sichern: Es braucht eine Job-, Einkommens-, und Weiterbildungsgarantie für alle.
  • Innovation und Demokratie mit Sozial- und Wirtschaftsräten: Wenn die Wirtschaft sich stärker an den Bedürfnissen in der Region ausrichten soll, muss sie selbst stärker demokratisch organisiert sein. Regionale Schwerpunkte für Investitionen sollen durch Wirtschafts- und Sozialräte, analog zu den erfolgreich praktizierten LEADER-Regionen, gefunden werden. Hier treffen Vertreter von Gewerkschaften, Umweltverbänden, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Hochschulen, Unternehmen, Kommunen und Landesvertretung zusammen. Die Entwicklungslinien werden durch regionale Entwicklungsgesellschaften in Zusammenarbeit mit Landesförderbanken umgesetzt.
  • Förderung von Genossenschaften und Belegschaftsbetrieben: Besonders in der Unternehmensnachfolge entsteht oft ein Vakuum, das mit Hilfe der Übertragung des Betriebs in Belegschaftseigentum gefüllt werden könnte.
  • Wir wollen soziale Zentren in den Dörfern schaffen. Sie dienen als Orte der Begegnung und bieten grundlegende Dienstleistungen wie Post und Bank an. Sie können Räume für zivilgesellschaftliche wie kulturelle Initiativen sein. Die Betreuung der sozialen Zentren findet über tariflich bezahlte Arbeitsplätze statt. Für 50 bis 60 soziale Zentren pro ostdeutschem Flächenland veranschlagen wir 100 Mio. Euro für den Zeitraum von fünf Jahren.
  • Wir wollen Kommunen unterstützen, eigene Polikliniken und Medizinische Versorgungszentren zu gründen. Auch eine ans Konzept der „Gemeindeschwester“ angelehnten wohnortnahen Versorgung mit grundlegender Gesundheitspflege.
  • Wir wollen regionale Planungs- und Beratungsstellen in öffentlicher Hand schaffen, die Kommunen bei Projekten unterstützen oder diese gänzlich für sie durchführen. Insbesondere in kleineren Kommunen werden bestimmt Vorhaben wie der Neubau einer Schule, Kita, Rekommunalisierung von Energie oder ÖPNV nur in größeren zeitlichen Abständen realisiert so dass die dafür nötigen Kapazitäten oftmals nur in geringem Maße vorhanden sind.

2. Eine Lohnoffensive Ost: Löhne und Renten hoch!
Die Ostdeutschen arbeiten im Durchschnitt länger und erhalten dafür im Schnitt 10% weniger Gehalt als ihre westdeutschen Kolleginnen und Kollegen. Im vergangenen Jahr verdienten Vollzeitbeschäftigte in Ostdeutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts durchschnittlich 824 Euro brutto pro Monat weniger als ihre Kollegen im Westen. Allerdings: Wer nach Tarif bezahlt wird, verdient bereits heute im Osten kaum weniger als im Westen. Die Ost-West-Lohnmauer lässt sich dort überwinden, wo Gewerkschaften besonders einflussreich sind.

  • Wir wollen, dass die unterschiedlichen Tarifgebiete Ost und West abgeschafft und im Öffentlichen Dienst gleiche Gehälter gezahlt bzw. die Arbeitszeiten angeglichen werden. 
  • In vergleichbaren Branchen müssen bundesweit gleiche Arbeitszeiten und Urlaubsregelungen gelten.
  • Wir binden die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Wirtschaftsförderung mit harten Anforderungen an Tariftreue und Mindestlohn.

Gleiche Rente für gleiche Lebensleistung

  • Für Zeiten des Niedriglohns wollen wir generell für alle Beschäftigten in Ost wie West eine Hochwertung in der Rente einführen. Darum wollen wir die Rente nach Mindestentgeltpunkten entfristen und verbessern.
  • Niemand sollte im Alter von weniger als 1.250 Euro netto leben müssen. Darum brauchen wir eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente von 1.250 Euro.

3. Kommunen müssen handlungsfähig sein. Entlastung jetzt!
Besonders die ostdeutschen Bundesländer haben in den vergangenen Jahren Milliarden an so genannter Schuldentilgung an die Banken überwiesen. Dabei ist belegt, dass öffentliche Investitionen langfristig die Staatsverschuldung verringern. Doch viele Kommunen stecken immer noch in einer Schuldenfalle. Der Abstand zwischen armen und reichen Kommunen in Deutschland ist riesig. Wo Kommunen finanziell kaum noch handlungsfähig sind, zerfällt der soziale Zusammenhalt.

  • Es braucht endlich eine wirksame Entschuldungsinitiative des Bundes. Restbestände der DDR Altschulden müssen gestrichen werden.  Nötig ist ein Altschuldenfonds für die Kommunen. 
  • Die kommunalen Haushalte müssen von den Sozialleistungen entlastet werden. Die Kosten für Unterkunft und Heizung auf ALGII und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen in vollem Umfang vom Bund getragen werden.
  • Die Linke tritt für eine Reform der Gewerbesteuer in eine Gemeindewirtschaftsteuer ein. Unser Konzept sieht Mehreinnahmen in Höhe von 15 Mrd. Euro vor. Verbunden mit der Umsetzung von Konnexität, also der Übernahme der Kosten durch Bund oder Ländern, die von ihnen „verursacht“ wurden, können die Kommunen (nicht nur im Osten) wieder auf verlässliche finanzielle Füße kommen.
  • Förderung von Willkommenskommunen: Die Kommunen dürfen mit den Kosten nicht allein gelassen werden, sondern sollen im Gegenteil zusätzliche Förderung durch einen Integrations-Fonds des Bundes, über die Unterstützung der Geflüchteten hinaus, für allgemeine Investitionen in die soziale und technische Infrastruktur erhalten. Damit sollen die lokalen Effekte der bundesweiten Kürzungspolitik, die Vorort vielfach Konkurrenz und Ausgrenzung nach sich zieht, überwunden werden.

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