Erklärung zu den Folgen der Abschaffung kostenloser Bürgertests
Gemeinsame Erklärung von insgesamt sechs Ministerinnen/Senatorinnen und Minister/Senatoren der Partei DIE LINKE aus Bremen, Thüringen und Berlin zu den Folgen der Abschaffung der kostenlosen Bürgertests:
Es erklären:
Klaus Lederer (Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa, Berlin),
Katja Kipping (Senatorin für Arbeit, Soziales, Integration, Berlin),
Claudia Bernhard (Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, Bremen),
Kristina Vogt (Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa, Bremen),
Benjamin Immanuel Hoff (Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, Thüringen) und
Heike Werner (Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Thüringen)
Abschaffung der kostenfreien »Bürgertests« erhöht Gesundheitsrisiko von Menschen mit geringen Einkommen und gefährdet Existenz von Kultureinrichtungen
Die 95. Gesundheitsministerkonferenz hat mit ihrem Beschluss vom 1. Juli 2022 richtig festgestellt, dass die Pandemie noch nicht vorüber ist. Aktuell stehen wir am Beginn einer Sommerwelle. Für den Herbst und Winter ist mit einer weiteren Zunahme des Infektionsgeschehens zu rechnen. Es ist nicht sicher vorhersagbar, aber möglich, dass Virusmutationen wieder zu einer größeren Gefährdung der Bürgerinnen und Bürger und einer erneuten kritischen Belastung des Gesundheitssystems führen werden.
Ein Fortschritt ist, dass seit den zurückliegenden Winterwellen massentaugliche PCR-Tests, Antigen-Tests zur Eigenanwendung, zahlreiche Impfstoffe und spezifische antivirale Medikamente zur Verfügung stehen. Allerdings entfällt nun mit der neuen Testverordnung des Bundes ein wichtiger Baustein im Kampf gegen Corona, nämlich die kostenfreien Bürgertests. Das ganze Vorhaben ist kritisch: Für weite Bevölkerungsgruppen ist die Eigenbeteiligung finanziell nicht tragbar, andere Teile haben gar keine Zugangsberechtigung mehr. Durch die bürokratische Umsetzung der Eigenbeteiligung droht das bislang breite Angebot an Testungen zu scheitern.
Menschen mit geringem Einkommen sind aufgrund verschiedener Faktoren einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, und mit schwerem Verlauf zu erkranken. Vor einer Infektion können sie sich bereits schlechter schützen. Jetzt noch weitere Hürden aufzubauen, sei es bürokratischer oder finanzieller Natur, birgt Risiken für alle, gefährdet das Erreichte – auch im Kultursektor: Wir sind angewiesen auf flächendeckende und kostenfreie Tests, weil wir nur so unsere Schutzmaßnahmen für Kultureinrichtungen möglichst sicher gestalten können, unnötige Risiken vermeiden und Zugänge für alle anbieten können.
Den Zugang zu Bürgertests mit Hürden zu versehen, trifft vor allem Menschen in Berufen, in denen man sich aufgrund beengter Arbeitsverhältnisse oder durch zahlreiche Kontakte besonders schlecht schützen kann. Wird der Zugang zu Corona-Tests einem Teil der Bevölkerung verwehrt, bleiben Infektionen unentdeckt und der Infektionsdruck steigt weiter. Das ist alles andere als ein Beitrag zur Armutsbekämpfung, obwohl flächendeckende soziale Entlastungen so notwendig sind wie lange nicht.
Die Teilhabe an Kunst und Kultur, die Auseinandersetzung mit kulturellen Formaten, die Reibung an künstlerischen Positionen ist wesentlicher Bestandteil der Verständigung innerhalb unserer Gesellschaft. Menschen, die die Eigenbeteiligung nicht tragen können, werden ausgeschlossen. Dieser Umstand ist unwürdig und unhaltbar!
Die Abschaffung der kostenfreien „Bürgertests“ sollte von der Bundesregierung dringend überdacht werden. Das ist nicht nur geboten, um sozialer Ungleichheit und Gesundheitsgefahren insbesondere von Menschen mit geringen Einkommen und Armutsbetroffenen entgegenzuwirken, sondern auch eine Frage der ökonomischen Vernunft. Über zwei Jahre haben wir enorme Mittel in die Hand genommen, um beispielsweise Künstler*innen und Kultureinrichtungen zu schützen, ihr Überleben zu sichern. Dies auch, weil wir ihren Wert für unser Miteinander erkannt haben. Die kostenfreie Testung war wesentlicher Bestandteil von Öffnungsszenarien und sicherem Kulturerleben. Das Ende der Kostenfreiheit unterläuft diese Bemühungen massiv, gefährdet uns alle und verhindert Teilhabe, wo sie zu ermöglichen ist.
Klaus Lederer: »Die Pandemie hat uns bewusst gemacht, wie wertvoll unser kultureller Schatz - egal ob Museen, Bühnen oder Klubs - für unser aller Miteinander ist. Deshalb war und ist es richtig, Sicherungsnetze für Kultureinrichtungen und Künstler*innen zu spannen, der Kultur wieder auf die Beine zu helfen. Kostenfreie Bürgertests sind ein wesentlicher Bestandteil weitgehend sicherer Kulturveranstaltungen und mehr noch: Sie garantieren die Teilhabe aller Bürger*innen am kulturellen Reichtum. Ein Ende der Kostenfreiheit gefährdet Kultur, verhindert Teilhabe und schadet so uns allen.«
Katja Kipping: »Wer in der aktuellen Inflation jeden Euro drei Mal umdrehen muss, für den ist auch der vermeintlich geringe Betrag drei Euro pro Test und Familienmitglied schnell eine erhebliche Belastung. Bereits jetzt verschärft die Pandemie soziale Ungleichheit. Die Bundesregierung muss darauf achten, dass die Pandemiebekämpfung sozial ausgegrenzte Bevölkerungsteile nicht noch weiter benachteiligt und erhöhten Ansteckungsrisiken aussetzt.«
Claudia Bernhard: »Wir stecken immer noch mitten in der Pandemie. Im letzten Jahr haben wir gesehen, dass Testzentren reihenweise schließen mussten, nachdem die kostenfreien Tests abgeschafft wurden. Testzentren, die wir im Herbst und Winter dringend gebraucht haben. In diese Situation dürfen wir in diesem Jahr nicht erneut kommen. Wir brauchen aber auch jetzt noch weiterhin das kostenfreie Testangebot für alle Bürgerinnen und Bürger. Der Bund muss seine Testverordnung dringend überarbeiten und sicherstellen, dass dieses Testangebot qualitativ hochwertig und mit betrugssicheren Abrechnungsstandards angeboten wird. Wir müssen weiterhin Infektionsketten unterbrechen, wo immer es möglich ist. Wir müssen weiterhin einen möglichst guten Überblick über das Pandemiegeschehen haben. Dafür brauchen wir weiterhin ein kostenfreies Testangebot.«
Kristina Vogt: »Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die etwa im Einzelhandel tätig sind, haben in den vergangenen zwei Jahren dazu beigetragen, dass uns trotz Pandemie im Alltag weder die Brötchen noch der Käse ausgegangen sind. Das Gastgewerbe und die Veranstaltungswirtschaft kommen jetzt erst wieder in Gang. Auch deren Beschäftigte können nicht geschützt im Homeoffice arbeiten und verfügen häufig über geringe Einkommen. Für all die, die den Laden am Laufen gehalten haben, sind kostenlose Tests wichtig und richtig. Das kostenlose Testen trägt auch dazu bei, dass Veranstalter und Veranstalterinnen sowie die Gastronomie wieder ins Laufen kommen.«
Heike Werner: »Die neue Testverordnung ist mit zusätzlichen Belastungen und Unsicherheiten für die Bürgerinnen und Bürger verbunden. Wenn wir wollen, dass sich die Menschen auch weiter verantwortungsbewusst verhalten, dann sollten wir nicht zusätzliche finanzielle Hürden im Infektionsschutz aufbauen. Es nützt niemandem, wenn wir jetzt eine der wesentlichsten Säulen der Pandemiebekämpfung schwächen und am Ende durch steigende Infektionszahlen bei den Gesundheitskosten wieder draufzahlen.