Solidarität mit den Protesten in der Türkei
Beschluss des Parteivorstandes vom 12. April 2025
- Die Linke erklärt sich solidarisch mit den Massenprotesten, die seit dem 19. März in der Türkei stattfinden. Trotz zunehmender Repressionen gehen hunderttausende Menschen gegen die autoritäre Politik des Erdoğan-Regimes auf die Straße. Pfefferspray, Gummigeschosse und zahlreiche Verhaftungen lassen sie unbeeindruckt, denn sie wissen: Es geht um ihre Zukunft.
Nach der Annullierung des Diploms des Istanbuler Oberbürgermeisters und seiner willkürlichen Inhaftierung mit fadenscheinigen Begründungen sowie Internetsperren und Demonstrationsverboten, waren es vor allem die Jugendlichen und Studierenden in Istanbul, die ihren Unmut auf die Straße trugen und damit die große Protestwelle auslösten. Ihre Botschaft war eindeutig: Die Türkei steht an einem Scheideweg. Entweder wird die Demokratie durch massenhaften Protest erkämpft – oder das Land driftet endgültig in eine offene Autokratie ab.
- Die Entwicklung ist nicht neu. Schon seit Langem sind repressive Maßnahmen gegenüber Oppositionellen Teil der politischen Kultur des Erdoğan-Regimes. Die Gefängnisse in der Türkei sind voll mit politischen Gefangenen. Angefangen von der Verhaftung der damaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ vor über 9 Jahren, über die Absetzung demokratisch gewählter Oberbürgermeister:innen insbesondere in den kurdischen Gebieten und steigende Repressionen gegen Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen bis hin zur Inhaftierung von İmamoğlu: Das Erdoğan-Regime baut seit Jahren ein autoritäres Präsidialsystem aus und unterdrückt jede Form von Opposition. Doch auch der Unmut in der Bevölkerung wächst seit Längerem, und Erdoğan sowie seine Koalition verlieren massiv an Zuspruch, auch wegen steigender sozialer Verwerfungen.
Die Absetzung des Oberbürgermeisters in der Metropole Istanbul hat jetzt eine neue Qualität in die Auseinandersetzung eingebracht. Das Erdoğan-Regime möchte ganz offen in andere Parteienstrukturen eingreifen und auch seine politischen Kontrahenten selbst auswählen. Denn İmamoğlu gilt als größter Herausforderer Erdoğans für die kommenden Präsidentschaftswahlen. Seine Wahl galt als sehr wahrscheinlich.
- Angesichts dieser Entwicklung ist es inakzeptabel, dass die Bundesregierung und die EU-Kommission nicht nur an ihrer Zusammenarbeit mit Erdoğan festhalten, sondern diese sogar vertiefen wollen. Die Ankündigung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, sowohl weiter auf den EU-Türkei-Flüchtlingsdeal zu setzen als auch die Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheitspolitik auszubauen, sind nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch ein Schlag ins Gesicht der Demokratiebewegung in der Türkei. Laut Berichten hatte NATO-Generalsekretär Marc Rutte kurze Zeit vor der Inhaftierung von İmamoğlu den europäischen NATO-Staaten ein Ende der Konflikte und eine engere Zusammenarbeit mit der Erdoğan-Administration nahegelegt – sowohl in der „Koalition der Willigen“ als auch für den Ausbau der militärischen Kapazitäten. Denn die Türkei stellt nicht nur eine der größten NATO-Armeen, sondern hat auch die eigene Rüstungsindustrie in den letzten Jahren massiv ausgebaut. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen arbeitet nun an dieser Vertiefung der militärischen Kooperation mit der Türkei.
Ohne Zweifel sind für Erdoğan diese Signale aus Brüssel und Berlin ein Freifahrtschein für seinen zugespitzten autoritären Kurs. Bis auf besorgte Worte konnte man keine deutliche Positionierung aus der Bundesrepublik oder der EU vernehmen. Wer jedoch hier immer wieder behauptet, es ginge um die Verteidigung der Demokratie gegen Autokraten und gleichzeitig ein autokratisches Regime als Premiumpartner wählt, macht sich vollkommen unglaubwürdig. Wir fordern die Bundesregierung und die EU-Kommission auf, der Demokratiebewegung in der Türkei nicht mit dreckigen Deals in den Rücken zu fallen.
- Uns ist klar: Massenproteste sind immer und überall breit und auch widersprüchlich. Aber wir sagen deutlich: Die Linke steht solidarisch an der Seite aller demokratischen, sozialen und progressiven Kräfte in der Türkei, die sich für Freiheit, Gerechtigkeit, Menschenrechte und gleichberechtigtes Zusammenleben aller Völker in der Türkei einsetzen – unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung.
Wer über Demokratie redet, darf nicht darüber schweigen, dass die Geschichte der Türkei auch mit der Unterdrückung von Oppositionellen, anderen Kulturen, Religionen und Minderheiten - Egal ob für Kurd:innen, Alevit:innen, Eziden:innen, Armenier:innen etc.- einherging.
Wir begrüßen es, dass auch endlich wieder die friedliche und politische Lösung der Kurdenfrage diskutiert wird. Die Kurd:innen haben deutlich gemacht, dass sie für eine demokratische und friedliche Lösung und Zukunft in der Türkei einstehen. Jetzt müssen auch ernsthafte Schritte erfolgen, die ihnen ihre Rechte auch verfassungsrechtlich garantieren.
Eine nachhaltige Demokratie in der Türkei und Syrien kann erst dann aufgebaut werden, wenn alle Nationalitäten, Kulturen und Identitäten gleichberechtigt und selbstbestimmt ihre Zukunft gestalten können. In dem Zusammenhang verweisen wir erneut darauf, dass das PKK-Verbot und die damit verbundenen Repressionen gegen Kurd*innen in Deutschland keine legitime Grundlage haben und endlich aufgehoben gehören.
Die Linke fordert:
- Die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen.
- Die Wiedereinsetzung der abgesetzten Bürgermeister:innen.
- Ein Ende der Repression gegen die demokratische Opposition und den Protesten
- Ein Ende des menschenverachtenden „Flüchtlingsdeals“.
- Ein Stopp der eingeleiteten Vertiefung der militärischen Zusammenarbeit mit dem Erdoğan-Regime.
Die Linke und ihre Gliederungen beteiligen sich hier an den Solidaritätsprotesten mit den Protesten für Demokratie in der Türkei und stellen dabei die berechtigten Forderungen gegen die Politik der Bundesregierung und EU-Kommission in den Fokus.