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Martin Schirdewan

Türkei-Wahl: Bundesregierung muss unbürokratische Visa anbieten

Die Wahlen in der Türkei waren unfrei und dienen der reinen Machtabsicherung. Das Ergebnis ist eine politische Katastrophe, bei der die Bundesregierung nun eine schnelle und unbürokratische Aufnahme von politischen Geflüchteten und eine Vereinfachung des Visa-Systems anbieten sollte. Dazu erklärt der Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Martin Schirdewan:

Es besteht kein Anlass, dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu seiner Wiederwahl zu gratulieren. Der Türkei steht die weitere Verschärfung ihrer gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Krise bevor. Neben eigenen islamistischen Wurzeln vereinte die AKP Tradition jener konservativer und islamistischer Parteien, die seit Jahrzehnten zusammen die Mehrheit stellten. So konnte sie breite Bündnisse für den autoritären Umbau des Landes mobilisieren, anfangs gar mit dem Versprechen der politischen Liberalisierung der Vermächtnisse von Kemalismus und Militärdiktatur. 

 Der Sieg Erdoğans war nur möglich war, weil er die Demokratie abgeschafft hat und ein System zu seinen Gunsten erschafft hat. Die Medien scheinen unter kompletter Kontrolle der Regierung zu sein.

 Oppositionelle Kräfte, wie die HDP (Demokratische Partei der Völker), die YSP (Grünlinke Partei) und auch die TİP (Arbeiterpartei der Türkei) sind jetzt gezwungen, in einem schweren Terrain langfristige gesellschaftliche Alternativen entwickeln und zugleich tagespolitische Chancen zu nutzen. 

 In der Türkei dienen Wahlen lediglich der Machtabsicherung nach innen und dem Gewinn von Ansehen nach außen. Die Mittel, mit denen dies erreicht wurde, illustrieren die Fragilität der herrschenden Verhältnisse. Die Wahlen waren unfair, weil die Regierung die zentralen Mittel kontrolliert, um den öffentlichen Diskurs über Medienmacht zu lenken. Weil zudem der Zugang oppositioneller Kräfte zu Sendezeit in staatlichen Sendern aktiv behindert wurde, waren sie sogar unfrei.

Die Wahlen waren auch unfrei, weil die bekanntesten HDP Ko-Vorsitzenden, trotz Forderungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nach Freilassung, nun schon viele Jahre inhaftiert sind. Auch der erfolgversprechendste Kandidat der kemalistischen Opposition, Ekrem İmamoğlu, konnte, wegen laufender (fadenscheinig begründeter) Verfahren, nicht kandidieren. Diese und viele andere Einschränkungen der politischen Praxis oppositioneller Kräfte lassen es nicht zu, von freien Wahlen zu sprechen.

Als Partei DIE LINKE stehen wir solidarisch an Seiten jener, die für emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung, für Befreiung von Autoritarismus, Ausbeutung und Unterdrückung jeder Art kämpfen. Die HDP hat unsere Solidarität!

 Es ist jetzt an der Bundesregierung und der EU bei Gesprächen über die Flüchtlingsdeals sich nicht weiter erpressbar zu machen und den Druck auf Erdoğan aufzubauen. Eine Bedingung zur Zusammenarbeit wäre die Freilassung der politischen Gefangenen, wie Selahattin Demirtas. 

Mit dem Erdbeben erlebte die Türkei eine tragische Naturkatastrophe, unter der die Menschen noch heute mit erheblichen Folgen leiden. Die Bundesregierung hatte damals eine schnelle Hilfe angeboten, in dem sie unbürokratische Visa angeboten hat. Dies war ein bürokratisches Trauerspiel und durch die vielen Hindernissen fast kaum umsetzbar. (Ein Riesenkatalog an benötigten Dokumenten, die man so schnell und bei der Zerstörung gar nicht zusammentragen konnte.) Mit der erneuten Wahl Erdoğans und dem Ausbau seines Machtapparats werden Menschen aus politischen Gründen zwangsläufig flüchten müssen. Jetzt kann die Ampel zeigen, dass aus den Fehlern beim Erdbeben gelernt wurde. Es braucht auch bei der politischen Katastrophe für Oppositionelle, Studierende, Journalist:innen und alle anderen, die aus politischen Gründen flüchten müssen, eine schnelle und unbürokratische Aufnahme und eine Vereinfachung des Visa-Systems. Dies wäre ein praktisches Zeichen der Solidarität und zeitgleich eine Ansage an Erdoğan.

 Die Bundesrepublik muss sich der Verfolgung von türkeistämmigen Oppositionelle hierzulande aktiv entgegenzustellen. Der sogenannte Flüchtlingsdeal mit der Türkei ist nicht nur inhuman gegenüber Geflüchteten, er hat die EU auch erpressbar gemacht, auch deshalb kamen die raschen Glückwünsche aus den Hauptstädten Europas. Wer dieser Tage Erdoğan zur Wahl gratuliert, unterstützt damit ein Regime, das Oppositionelle unterdrückt und weder Respekt gegenüber Menschenrechten noch Menschenleben überhaupt hat.


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