Zum Freitod von André Gorz und seiner Frau Dorine
Katja Kipping, stellvertretende Vorsitzende der Partei DIE LINKE zum Freitod von André Gorz und seiner Frau Dorine:
Der berühmte französische Philosoph und Publizist André Gorz hat sich mit seiner krebskranken Frau am 23. September 2007 das Leben genommen. Wenige Tage zuvor habe der 84-jährige Gorz einer Freundin anvertraut, er sei über den sich verschlimmernden Gesundheitszustand seiner Frau immer verzweifelter. Die 83-Jährige litt seit vielen Jahren an Krebs. Noch vor einigen Monaten hatte der gebürtige Wiener eine bewegende Liebeserklärung an seine Frau Dorine veröffentlicht. In dem "Brief an D. Eine Liebesgeschichte" heißt es: "Du bist gerade 82 Jahre alt geworden, Du bist immer noch anmutig und begehrenswert. Wir leben nun 58 Jahre zusammen, und ich liebe Dich mehr als je zuvor."
Gorz war ein Vertrauter Jean-Paul Sartres. Er galt als einer der führenden linken Sozialtheoretiker. In seinen bekanntesten Werken "Abschied vom Proletariat" und "Arbeit zwischen Misere und Utopie" warb er für die Befreiung des Individuums von den Zwängen der Lohnarbeit und repressiver Wohlfahrtsstaatlichkeit, für die Aneignung der Arbeit und die Rückgewinnung des öffentlichen Raumes von der Marktbesetzung, auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Gorz war streitbar. Viele verübelten ihm die Analyse, dass das Proletariat schon längst vom Kapital korrumpiert sei, keine revolutionäre Rolle mehr in der Weltgeschichte spielen könne. Im Gegensatz zu anderen Linken resignierte aber Gorz nicht, passte sich nicht der sozialdemokratischen oder dogmatischen Linken an. Gorz war immer bestrebt, die Gewerkschaften auf ihre mögliche neue Rolle im Rahmen der sozialen Bewegungen vorzubereiten. Er hielt Ausschau nach dem neuen Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen – es war der zunehmend prekarisierte Lohnabhängige, der Hunger hatte auf die Befreiung aus entfremdeter Tätigkeit und Konsumismus, auf ein selbstbestimmtes Leben. Gorz' marxistische Analyse der Wissensgesellschaft als potenziell kommunistische Gesellschaft in "Wissen, Wert und Kapital" untermauerte diese Thesen. Wichtig war ihm vor allem eins: Die Freiheit des Individuums gegenüber jeglicher ideologisch oder kollektivistisch begründeter Repression und Fremdbestimmung. Und die Möglichkeit der Individuen mit anderen frei kooperieren und solidarisch wettstreiten zu können.
André Gorz ist tot. Ein Verlust für die Linke. Und eine große Herausforderung.