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Martin Schirdewan & Ines Schwerdtner

Zum Tag der Arbeit: Mindestlohn hoch – Überstunden bezahlen – Tariftreue stärken!

Viele Menschen merken: Für die eigene Arbeit als gerechte Gegenleistung ein gutes Leben zu erreichen - das gilt nicht mehr. Die Entwicklung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen im Verhältnis zu den Entgelten der Beschäftigten gibt diesem Eindruck recht. Die Bilanz der SPD-Bundesregierung ist: Die Schere von Löhnen und Gewinnen ist in den vergangenen Jahren weiter auseinandergegangen

Die Dividendenzahlungen im DAX haben sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt und erreichen jährlich neue Rekorde. 53,9 Milliarden Euro bekommen die DAX-Aktionär*innen2024. Für die Beschäftigten sieht es weniger rosig aus. Die Kluft zwischen Unternehmensprofiten und Löhnen stieg seit 2020 noch mal besonders an; sie geht schon seit Anfang der 2000er weit auseinander. Beides geschieht unter einer SPD-geführten Regierung und steht im deutlichen Gegensatz zu dem Image, das die SPD sich gibt. Mit „Leistungsgerechtigkeit“ hat das alles nichts zu tun.

Seit Pandemie und Energiekrise haben viele Unternehmer ihre Profite durch üppige Preisaufschläge zusätzlich erhöht. Die Löhne der meisten Beschäftigten haben mit der Inflation nicht Schritt gehalten. Trotz vermeintlicher Vollbeschäftigung sind ihre Löhne real gesunken. Man könnte es Gierflation nennen: Die Löhne sinken im Verhältnis zu den Profiten und Beschäftigte bekommen absolut weniger ab von dem – von ihnen geschaffenen – Reichtum. Überstunden und längere Lebensarbeitszeiten, wie sie aktuell FDP und Unternehmerverbände fordern, sind einfach Lohn- und Rentenkürzungen. In vielen Berufen sind die Beschäftigten gesundheitlich am Ende, bevor sie 67, 69 oder gar 70 sind. Die Unternehmer wollen auch keine 69-jährigen Stahlkocher, Bauarbeiter oder Pflegekräfte einstellen. Es geht auch nicht um Flexibilität und Motivation, wie die Einlassung der FDP zur „Lust auf Überstunden“ nahelegen. Es geht ihnen lediglich darum, die Profite der Unternehmen noch weiter zu erhöhen.

Der 1. Mai ist daher ein guter Anlass, um daran zu erinnern, wer in dieser Gesellschaft den Reichtum erarbeitet: die Beschäftigten mit ihrer Arbeit. Es ist an der Zeit, diesen Reichtum zurück zu verteilen.

Der DGB mobilisiert unter dem “Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit“ zu den gewerkschaftlichen Demonstrationen am 1. Mai und fordert eine Tarifwende. Wir begreifen dieses Motto als Motivation und Auftrag um im Interesse der Beschäftigten gemeinsam für eine Politikwechsel zu sorgen. Wir sagen: Es braucht jetzt keine neoliberale Rolle rückwärts, sondern eine Gerechtigkeitswende in die Zukunft - für gute Arbeit mit fairen Löhnen. 

Das muss passieren: Mindestlohn hoch – Überstunden bezahlen – Tariftreue stärken

Damit die Gesellschaft nicht aus einander bricht, muss das soziale Fundament des Zusammenhalts jetzt gestärkt und erneuert werden. Die Linke fordert, dass der Reichtum von den Gewinnen zu den Löhnen, von privatem Reichtum zu öffentlichen Investitionen umverteilt wird, um Zukunftsperspektiven zu eröffnen und Teilhabe zu ermöglichen.

Anlässlich des 1. Mai sagen wir: Es ist höchste Zeit bessere Rahmenbedingungen für höhere Löhne und gute Arbeit zu schaffen.

Unser 4-Punkte Plan für gute Arbeit - wir fordern:

  1. Mindestlohn erhöhen und Mindestlohnrichtline der EU umsetzen! Laut Richtlinie muss der Mindestlohn bei 60% des Median-Einkommens liegen: demnach  müsste er  2024 bereits bei über 14,12 Euro liegen. Die Linke fordert: 15 Euro. Ein höherer Mindestlohn hebt das Lohngefüge insgesamt nach oben, so dass auch diejenigen profitieren, die mehr als den Mindestlohn bezahlt bekommen. Gerade bei dem besonders niedrigen Lohnniveau in Ostdeutschland wirken ein deutlich höherer Mindestlohn und stärkere Tarifbindung als Konjunkturprogramm. Ein Viertel aller ostdeutschen Beschäftigten hätte mit 15 Euro Mindestlohn unmittelbar mehr Geld in der Tasche - 1,3 Millionen Beschäftigte, die weniger Angst vor der Stromrechnung haben müssten.
  2. Umfassende gesetzliche Regelung von Überstunden! Sofern nicht in Tarifverträgen geregelt, muss in Zukunft jede Überstunde ab Stunde eins inklusive Zuschlägen ausbezahlt werden.
  3. 80 Prozent Tarifbindung jetzt! Tarifverträge leichter allgemeinverbindlich erklären! Dann gelten sie auch für entsandte Beschäftigte und Lohndumping kann wirksam unterbunden werden. Tariftreuegesetz jetzt: Öffentliches Geld darf nur in gute Löhne und gute Arbeitsbedingungen fließen! Schluss mit der Vergabe an den billigsten Anbieter: öffentliche Aufträge nur mit Tarifvertrag.
  4. Mehr Zeit für Familie, Freunde, Ehrenamt: 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich! Im stressigen Arbeitsalltag fehlt oft Zeit für die Familie und für Erholung. Der 1. Mai ist wegen der großen Streiks 1886 in den USA für einen 8-Stunden-Tag zum Kampftag der arbeitenden Menschen geworden. Mehr als 160 Jahre später – fast 70 Jahre nachdem die 5-Tage-Woche 1955 in Tarifverträgen festgeschrieben worden ist – ist es Zeit, weiter zu gehen. 30 Stunden pro Woche in Vollzeit oder 4 Tage sind genug. Der Lohnausgleich wird aus dem Produktivitätszuwachs und den Profiten bezahlt und trägt dazu bei, dass sich die Schere zwischen Gewinnen und Löhnen nicht weiter öffnet. Dafür brauchen wir starke Gewerkschaften und gut organisierte Belegschaften. Der Öffentliche Dienst muss hier mit einer Vorbildfunktion vorangehen und die Arbeitszeit verringern. Bessere Arbeitsbedingungen und kürzere Arbeitszeiten sind auch ein Rettungsanker vor dem Zusammenbruch der sozialen Dienste.

Hintergrund: Warum halten die Löhne nicht mit den Gewinnen mit?

Niedriglohn: 8,4 Millionen Beschäftigte in Deutschland verdienen weniger als 14 Euro brutto in der Stunde. Das ist jede*r fünfte Beschäftigte (21,5%), in Ostdeutschland jede*r vierte (26,1%). Jede*r zehnte Beschäftigte in Ostdeutschland bekommt weniger als 13 Euro brutto pro Stunde. Mehr als 666.000 Menschen müssen in Deutschland (Stand August 2023) zusätzlich zu ihrem Lohn Bürgergeld beziehen, um über die Runden zu kommen. Mehr als 82.000 von ihnen arbeiten in Vollzeit – zu Löhnen unterhalb des Existenzminimums.

Überstunden: Insgesamt 1,3 Milliarden Stunden haben Beschäftigte 2022 mehr gearbeitet als vertraglich vereinbart, so viel wie 900.000 zusätzliche Vollzeitstellen. Das Ergebnis: doppelt so viel Arbeitsunfähigkeitstage und psychische Erkrankungen wie 2012. Gut für die Unternehmen: 702 Millionen dieser Überstunden waren unbezahlt und unabgegolten, damit haben die Arbeitnehmer einen Verlust von schätzungsweise 15 Milliarden Euro.

Unternehmen haben damit schätzungsweise 18 Mrd. bis 25 Mrd. Lohnkosten eingespart! (Quellen sind hierbei Daten des Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Statistisches Bundesamt und Stiftung Zukunftsfragen.)

Eine Anfage der Linken im Bundestag ergab sogar, dass Beschäftigte den aktualisierten Zahlen zufolge im Jahr 2022 1,436 Milliarden Überstunden leisteten. Davon waren 839 Millionen Überstunden (≈60 %) unbezahlt und unabgegolten). Auswertung dazu: https://www.susanne-ferschl.de/wp-content/uploads/2024/01/Auswertung_KA-Ueberstunden_Ferschl_20_9528_O-Ton.pdf

Auslagerung: Durch Auslagerung auf billigere Subunternehmen und Leiharbeit drücken Unternehmen seit Jahren Löhne und Arbeitsbedingungen zu Gunsten der Eigentümer. Beschäftigtefallen aus der Tarifbindung: Nur noch die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland arbeitet geschützt durch Tarifverträge. Die Mindestlohnrichtlinie der EU fordert mindestens 80% Tarifabdeckung, sonst müssten die Mitgliedstaaten dringende Maßnahmen ergreifen. Die SPD-geführte Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine Bundestariftreueregelung versprochen, um die Tarifbindung zu stärken.[1] Es ist aber nichts passiert. Der Wettbewerb zwischen Unternehmen findet so weiter über Lohndumping statt. Den Zuschlag für öffentliche Aufträge bekommt der billigste Anbieter - das schadet auch Unternehmen, die gute Löhne zahlen.

Privatisierung, Profitorientierung & Investitionsstau gehen auf Kosten der Beschäftigten. Privatisierte öffentliche Dienstleistungen haben riesige Versorgungslücken gerissen: Krankenhäuser und Schulen sind marode, Turnhallen gesperrt, Schwimmbäder schließen, die Öffis fahren nicht. Die öffentlichen Investitionen in Krankenhäuser wurden in den letzten zwanzig Jahren halbiert, gleichzeitig stieg die Zahl der Patient*innen um ein Fünftel. 66 Krankenhäuser wurden allein in den letzten vier Jahren geschlossen. Rund 100 weitere sind derzeit von der Schließung bedroht. Weil es keine kostendeckende Finanzierung mehr gibt, geben immer mehr Häuser auf – besonders in ländlichen Regionen im Osten bedeutet das deutlich längere Fahrtwege für Kranke oder werdende Mütter. 430.000 Kita-Plätze fehlen in Deutschland. In Schulen müssen laut KfW 50 Milliarden investiert werden.  Diese Lücken müssen aus der eigenen Tasche finanziert werden: private Rentenvorsorge, für die die Beschäftigten allein aufkommen müssen; hohe Mieten, immer höhere Eigenanteile für einen Platz im Pflegeheim, Brillen und Zahnersatz, Kita-Gebühren oder Baby-Sitter*innen, wenn die Kita mal wieder zu ist, Nachhilfestunden, um den Unterrichtsausfall zu kompensieren. Das reduziert die verfügbaren Einkommen noch weiter - und erhöht die Profite der Konzerne, die Versicherungen verkaufen, Pflegeheime betreiben und Immobilien verwalten. Gute öffentliche Daseinsvorsorge ist der Kitt, der Menschen und die Gesellschaft zusammenhält. Oder eben nicht. Wer es sich leisten kann, schickt die Kinder auf Privatschulen, kauft Eigentumswohnungen oder fährt Tesla. Wer nicht zu den Begüterten gehört, ist auf gute öffentliche Schulen und funktionierende Busse und Bahnen angewiesen.

Der Frust über Politik, die Menschen mit ihren Problemen allein lässt, über marode Schulen und Brücken, schließende Krankenhäuser und Pflegeheimen, explodierende Mieten und Pflegekosten, untergräbt Vertrauen in die Demokratie. Darauf weist auch eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung hin.[2] Das Ifo-Institut hat den Zusammenhang zwischen dem Anteil der Menschen in Niedriglohnjobs und Armutsgefährdung und der Zustimmung zu Rechtsextremen deutlich gemacht.[3]


[1] „Zur Stärkung der Tarifbindung wird die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden, wobei die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruht.“ (Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 56)


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