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Meilenstein auf dem Weg der demokratischen und sozialen Emanzipation
Am 19. Januar 1919 konnten in Deutschland Frauen erstmals von ihrem passiven und aktiven Wahlrecht Gebrauch machen. Der lange Kampf um das Frauenwahlrecht, um die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Emanzipation, der Anerkennung der Frau als selbständige gleiche Staatsbürgerin, war erfolgreich beendet worden. Dazu erklärt die stellvertretende Parteivorsitzende Halina Wawzyniak:
Das Frauenwahlrecht war ein Meilenstein auf dem Weg der demokratischen und sozialen Emanzipation. Es legte den Grundstein für eine moderne Demokratie. Demokratische Rechte, Emanzipation ohne Gleichstellung der Frauen sind keine wirkliche Emanzipation. Mit dem Frauenwahlrecht verbesserten sich die Voraussetzungen, auch auf anderen wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Feldern Emanzipation und Gleichberechtigung zu erkämpfen. So war das Frauenwahlrecht zugleich Ende eines langen Kampfes und Beginn neuer Kämpfe, zum Beispiel um das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper und die Straffreiheit von Abtreibungen. Wenn heute in Deutschland Frauen im Durchschnitt immer noch rund 22 Prozent weniger als Männer verdienen - nur in Estland, Zypern und der Slowakei sind die Unterschiede noch größer oder ebenso groß - dann bleibt noch viel zu tun.
Um den Unterschied zwischen formaler Emanzipation und gelebter Emanzipation wissend, hatte Clara Zetkin bereits um die Jahrhundertwende mit Blick auf die eigene Partei den Blick auf die ganze Gesellschaft vorweg nehmend formuliert: "In der Theorie sind die Genossinnen schon gleichberechtigt, in der Praxis aber hängt der Philisterzopf den männlichen Genossen noch ebenso im Nacken wie dem ersten besten Spießbürger."
"Das Recht der Mündigkeit und Selbständigkeit im Staat" für Frauen wurde in Deutschland im Gefolge der Revolutionsjahre 1848/49 erstmals öffentlich gefordert. 1873 verlangte die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm als erste Frau in Deutschland öffentlich ausdrücklich das Frauenwahlrecht. 1879 erhielt sie Unterstützung von August Bebel in seinem berühmten Buch "Die Frau und der Sozialismus". 1891 übernahm die revolutionäre Sozialdemokratie als erste Partei die Forderung in ihr Erfurter Parteiprogramm. Seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts wuchs auch die Unterstützung aus der bürgerlichen Frauenbewegung, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann gründeten 1902 in Hamburg den "Deutschen Verein für Frauenstimmenrecht". 1908 räumte das neue preußische Vereinsrecht Frauen erstmals das Recht ein, Mitglied in politischen Parteien zu werden. In der sozialdemokratischen und proletarischen Frauenbewegung ist der Kampf um das Frauenwahlrecht untrennbar mit Clara Zetkin verbunden. Das Frauenwahlrecht war vor dem ersten Weltkrieg die zentrale Forderung des von ihr und anderen Genossinnen 1910 gegen den Willen der Parteiführung initiierten Internationalen Frauentages.
Als der Sozialdemokrat Eduard Bernstein 1917 eine Resolution für ein Gesetz zum Frauenwahlrecht im Reichstag einbrachte, stimmten noch im Sommer 1918 im Verfassungsausschuss nur SPD und USPD dafür, nicht aber die bürgerliche Mehrheit. Als Begründung wurde angeführt, "die Frau gehöre nicht in die Öffentlichkeit" und "in der Familie würde das Frauenwahlrecht die merkwürdigsten und bedauerlichsten Folgen haben". Es sollte dabei bleiben, dass die verheiratete Frau politisch durch Mann vertreten wurde und die unverheiratete Frau gar nicht.
Erst die Novemberrevolution und die revolutionäre Massenbewegung brachten den politischen Durchbruch für das Frauenwahlrecht. Am 12. November 1918 proklamierte der Rat der Volksbeauftragten neben anderen demokratischen Rechten auch das aktive und passive Wahlrecht der Frauen: "Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystem für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen."
Bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung am 19. Januar 1919 machten über 82 Prozent der weiblichen Wahlberechtigten erstmals von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Rund 300 Frauen kandidierten, unter den 423 gewählten Abgeordneten waren 37 Frauen.
Als erste Frau in einem deutschen Parlament spricht am 19. Februar 1919 die sozialdemokratische Abgeordnete Marie Juchacz. Ihre Rede beginnt mit den Sätzen: "Es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf, und ich möchte hier feststellen, und zwar ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschland die alten Vorurteile überwunden hat. Die Frauen besitzen heute das ihnen zustehende Recht der Staatsbürgerinnen. (...) Ich möchte hier feststellen und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist."