Ausgewählte Presseerklärungen
Im Vordergrund nationale Machtoptionen statt europäische Interessen
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich gestern Abend auf ihrem Sondergipfel darauf geeinigt, den belgischen Ministerpräsidenten Herman Van Rompuy zum Präsidenten der EU und die britische EU-Handelskommissarin Catherine Ashton zur neuen Hohen Vertreterin für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU zu benennen. Beide Posten wurden mit dem Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft treten wird, geschaffen. Dazu erklärt das Mitglied des Parteivorstandes Helmut Scholz (MdEP):
Das erklärte Ziel, die Arbeit des Europäischen Rates effektiver zu gestalten, als es durch die bisher halbjährig wechselnde Ratspräsidentschaft möglich war, wurde nicht erreicht. Denn der eigentlich notwendige Schritt, die halbjährig wechselnden Ratspräsidentschaften abzuschaffen, wurde nicht getan. So müssen sich der neue, für zweieinhalb Jahre gewählte Präsident der EU und die jeweiligen Ratspräsidentschaften die Arbeit teilen.
Da verwundert es nicht, dass die Staats- und Regierungschefs kein politisches Schwergewicht mit diesem Posten betrauen wollen, der ihnen eventuell den Rang streitig machen könnte. Gleiches gilt auch für den Posten des "Hohen Vertreters", den eigentlichen EU-Außenminister, der dem neu zu schaffenden Europäischen Auswärtigen Dienst vorsteht und gleichzeitig als Außenkommissar und Vizepräsident der EU-Kommission viel Macht auf sich vereint. Das einzige Auswahlkriterium war, dass der Präsidentenjob an die Konservativen und der Außenministerjob an die Sozialdemokraten gehen sollte.
Schon gar nicht erreicht wurde der Anspruch, mit den beiden neuen Posten "eine Adresse für Europa" bzw. das "Europäische Gesicht" zu schaffen. Im Gegenteil: Außer dem Präsidenten der EU-Kommission, dem Präsidenten des Europäischen Parlaments und dem rotierenden EU-Ratspräsidenten gibt es nun noch den Präsidenten des Europäischen Rates und dem Außenminister. Die durch den Vertrag von Lissabon heraufbeschworene Vielzahl von Führungsfunktionen ohne abgegrenztes Arbeitsgebiet zeigt deutlich das Dilemma der EU: Im Vordergrund standen wieder einmal nicht europäische Gemeinsamkeiten, sondern verschiedene nationale Interessen mit dem Ziel, selbst Machtpositionen in der EU zu besetzen.
Das Gegenteil können sie alle gemeinsam beweisen, wenn sie in Kopenhagen auf dem Klimagipfel mit einer Stimme dafür sorgen, dass endlich verbindliche Verpflichtungen für den Klimaschutz auf den Weg gebracht werden.