Interviews, Länderberichte und andere Texte
Die Opfer von Hiroshima und Nagasaki mahnen
Rede von Tobias Pflüger, stellvertretender Vorsitzender der LINKEN, beim zentralen Hiroshima-Gedenken an der Friedensglocke in Berlin-Friedrichhain
Liebe Freundinnen und Freunde, herzlichen Dank fürs Kommen heute hierher zur Friedensglocke am Hiroshima-Tag nach Berlin-Friedrichhain. Ich halte diesen Termin hier am 6. August für einen der wichtigen Termine der Friedensbewegung. Und wir sind heute doch recht viele, das freut mich sehr.
Wir begehen heute den 69. Jahrestag des Atombombenabwurfes auf Hiroshima. Am 6. August 1945 warf der US-amerikanische Bomber "Enola Gay" die mit dem Spitznamen "Little Boy" benannte erste Atombombe in einem Krieg über der japanischen Stadt Hiroshima ab. Den Befehl hatte dazu der US-amerikanische Präsident Harald S. Truman dem General Carl Spaatz gegeben. Der General hatte freie Wahl bei der Zielauswahl. Nur - so wollte es der damalige US-Kriegsminister Stimson, Kyoto war ausgenommen, wegen seiner wichtigen kulturellen Güter. Der Pilot Paul Tibbets erfuhr am 4.8.1945, was sein Auftrag war, nämlich eine Atombombe über Hiroshima abzuwerfen.
In einer Schilderung des Atombombenabwurfs heißt es: "Um 08:16 Uhr und zwei Sekunden explodierte die Atombombe in 600 Metern Höhe über der Innenstadt. Dort befand sich ein Krankenhaus, die Shima-Klinik. Eigentliches Ziel war die etwa 250 Meter entfernte T-förmige Aioi-Brücke gewesen. 43 Sekunden später hatte die Druckwelle 80 Prozent der Innenstadt dem Erdboden gleichgemacht. Es entstand ein Feuerball mit einer Innentemperatur von über einer Million Grad Celsius. Die Hitzewirkung von mindestens 6000 °C ließ noch in über zehn Kilometern Entfernung Bäume in Flammen aufgehen. Von den 76.000 Häusern der Großstadt wurden 70.000 zerstört oder beschädigt. Von den 350.000 Bewohnern der japanischen Stadt starben damals auf einen Schlag schätzungsweise mehr als 70.000 Menschen. Bis Ende Dezember 1945 erhöhte sich die Zahl der Toten auf 140.000."
Und dann wurde drei Tage nach dem ersten Einsatz eine zweite Atombombe über Nagasaki von den US-Truppen abgeworfen. Japan kapitulierte. Und noch heute sterben Menschen an den Spätfolgen der atomaren Strahlung.
Die Zahlen zeigen das ganze Leid nicht wirklich auf, dazu bedarf es solcher Schilderungen, wie wir sie gerade eben gehört haben, von Überlebenden dieses Infernos. Wir gedenken der Opfer der Atombombenabwürfe. So etwas darf nie wieder geschehen. Atombombenabwürfe darf es nie wieder geben, alle Atomwaffen müssen vernichtet werden!
Doch es war ausgerechnet Japan, das vom letzten großen Atomunfall in Fukushima betroffen war. Bis heute sind Menschen von der atomaren Strahlung aus Fukushima betroffen, die Unfallstelle in Fukushima ist bis heute eine gefährliche atomare Zeitbombe. Die Trennung in militärische und angeblich "zivile" Nutzung der Atomenergie war noch nie logisch. Es wird tagtäglich in den Atomkraftwerken weltweit Unmengen strahlender Atommüll produziert, der teilweise bis zu 24.000 Jahre Halbwertszeit hat. Bis heute ist unklar, was mit diesem Atommüll passieren soll, ein "Endlager", wie uns die einflussstarke Atomindustrie weiß machen will, kann und wird es nicht geben. Trotzdem wird weiter Atomstrom produziert. Den nachfolgenden Generationen wird dieser hochgiftige Atommüll verantwortungslos überlassen. Die Europäische Union hat mit dem EURATOM-Vertrag bis heute einen Vertrag, der die Atomenergie fördert. In Frankreich zeigt sich, wie eng die militärische und die "zivile" Nutzung der Atomenergie zusammenhängen. In den französischen Atomanlagen wird Plutonium und waffenfähiges Uran produziert, vor allem auch für französische Atomwaffen. Atomwaffen und Atomenergie sind zwei Seiten der derselben gefährlichen Medaille.
Deshalb fordern wir ein Ende der Nutzung der Atomenergie und die Stilllegung aller Atomkraftwerke.
Das Eintreten für eine atomwaffenfreie Welt ist heute so notwendig denn je. Daran erinnert uns nicht zuletzt das heutige Datum. Die Atomwaffenstaaten haben sich im Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag auch Atomwaffensperrvertrag genannt, dazu verpflichtet, ihre Arsenale schnellstmöglich abzurüsten. Diese Verpflichtung wird bekanntlich von allen Atomwaffenstaaten ignoriert und hintergangen. Offensichtlich gibt es eine Renaissance von Atomwaffen. Nach Angaben des ehemaligen Generalstabschef Russlands ist ein präventiver Nuklearschlag Teil der russischen Militärstrategie. Schon im Jahr 2004 veröffentlichte die NATO eine Studie u.a. vom deutschen General Klaus Naumann. Dort heißt es u.a.: "Die atomare Eskalation bleibt weiterhin ein Element jeder modernen Strategie" und "Ein derartiges Konzept der interaktiven Eskalation setzt Dominanz bei der Eskalation voraus, den Einsatz des ganzen Spektrums von Zuckerbrot und Peitsche, aller weichen und harten Machtinstrumente, vom diplomatischen Protest bis zu Atomwaffen."
Die jetzige Bundesregierung ist die erste, die wieder positiv Bezug nimmt auf Atomwaffen im NATO-Kontext. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO eine Rolle spielen, hat Deutschland ein Interesse daran, an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben." Die letzten Regierungen hatten hier zumindest deklariert, dass ein Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland angestrebt wird, wenn dies auch nie geschehen ist. Das ist nun kein Thema mehr.
Wir wollen einen Abzug der Atomwaffen aus Deutschland, Atomwaffen sind immer verbrecherische Waffen und gehören abgeschafft!
In Büchel in Rheinland-Pfalz lagern aller Wahrscheinlichkeit nach ca. 20 Atomwaffen der USA. Diese Atomwaffen sollen nun modernisiert werden. Die neue Generation von Atomwaffen soll "B61-12" heißen. Für die Modernisierung der Atomwaffen sind Gelder im US-Haushalt für 2015 eingestellt. Auch die Waffenlager, u.a. Büchel, sollen modernisiert werden. Auch die deutschen Tornados, die Trägersysteme dieser Atomwaffen in Büchel im Rahmen der so genannten "Nuklearen Teilhabe" bekommen eine Umrüstung und "Lebenszeitverlängerung". Schon 2020 sollen die neuen Atombomben in Büchel stationiert werden.
Bisher hatte die Bundesregierung behauptet, dass die Modernisierung und das "Lebenszeitverlängerungsprogramm" ein rein "nationales Programm" der USA sei, es habe "keine Verhandlungen mit den USA" gegeben. Das Fernsehmagazin MONITOR hat kürzlich herausgefunden, dass die deutsche Regierung aber sehr wohl sehr direkt eingebunden war und ist in die Modernisierung der Atomwaffen:
Bei MONITOR hieß es: "Aus einem Bericht des US-amerikanischen Rechnungshofes (GAO) ergibt sich, dass es durchaus sehr konkrete Absprachen zwischen den USA und den NATO-Partnern gab. Das US-Verteidigungsministerium und die NATO-Verbündeten einigten sich 2010 auf die zentralen militärischen Merkmale der Bombe«. Dabei wurde laut US-Rechnungshof auch über Details wie die »Sprengkraft«, und die »Treffsicherheit« der neuen Waffen gesprochen. Der renommierte Atomwaffenexperte Hans Kristensen von der Federation of American Scientists sagte dem WDR-Magazin, innerhalb der NATO seien vor allem die so genannten »Host-Nations« in das Projekt »direkt eingebunden«. Das sind die Länder, in denen die US-Atombomben stationiert sind, also Deutschland, Belgien, die Niederlande, Italien und die Türkei."
Wir wollen keine Modernisierung der Atomwaffen, wir wollen ein Ende der "Nuklearen Teilhabe", und endlich einen Abzug aller Atomwaffen!
Wir erinnern uns: Barack Obama hat - auch hier in Berlin, wie zuvor in Prag - davon gesprochen "konkrete Schritte einleiten, um zu einer Welt ohne Atomwaffen zu gelangen". Danach sieht es nicht aus. Im Gegenteil. Wir müssen uns selbst für den sofortigen Abzug und die Vernichtung der Atomwaffen stark machen. Auch deshalb begrüße und unterstütze ich ausdrücklich die gerade laufenden Aktionen der Friedensbewegung gegen das Atomwaffenlager in Büchel.
Heute befinden wir uns in einen Situation, die schwer an den Kalten Krieg erinnert, nicht nur der Konflikt in der Ukraine eskaliert. In dieser Situation Atomwaffen zu haben, ist gefährlich, sehr gefährlich. Die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs ist so hoch eingestuft worden, wie lange nicht. Wir wollen keinen neuen kalten Krieg! Viele deutsche Medien machen allein Russland bzw. Putin für alles verantwortlich. Ohne ein Freund Putins und seiner Politik zu sein, so ist es nun doch garantiert nicht. Ein Journalist des Handelsblattes hat vor wenigen Tagen den Text des Leitartikels der FAZ, der dazu aufrief gegen Russland loszuschlagen, als "geistigen Einberufungsbescheid" bezeichnet. Richtig. Das neue Feindbild in vielen Medien ist klar, es ist Russland und Putin. Wir weisen dieses Feindbild klar zurück!
Die Opfer von Hiroshima und Nagasaki mahnen. Das ist Vermächtnis und uns Verpflichtung. Wir geben ein klares Zeichen von hier aus von der Friedensglocke in Berlin-Friedrichhain: Wir wollen nie wieder Atomkrieg und nie wieder Krieg! Vielen Dank!