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Europa mitbestimmen! Referendum jetzt!
Lothar Bisky auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus zur Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon durch die Staats- und Regierungschefs
Sehr geehrte Damen und Herren, zu dieser Stunde unterzeichnen in Lissabon die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten den EU-Reformvertrag. Sollte er von allen Ländern ratifiziert werden, tritt er in Kraft und wird als Vertrag von Lissabon in die Annalen der Europäischen Union eingehen.
Er wird den Vertrag von Nizza ablösen und zwar anstelle einer EU-Verfassung, für die sich auch DIE LINKE bzw. PDS und WASG eingesetzt haben, auch wenn wir den vorgelegten Verfassungstext aus inhaltlichen Gründen ablehnen mussten.
Wir werden aber das Ziel einer Verfassung für Europa nicht aus den Augen verlieren. Haupttenor der feierlichen Reden bei der Unterzeichnungszeremonie wird die Erleichterung darüber sein, dass die Krise der Europäischen Union endlich überwunden sei.
Wir teilen diese Ansicht nicht. Im Gegenteil! Wir sind nach gründlichem Studium des Vertragsentwurfs zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser nicht geeignet ist, die Krise der EU zu lösen. Denn die eigentliche Krise der EU und damit der europäischen Integration besteht darin, dass die gegenwärtige und – mit diesem Vertragsentwurf – auch die zukünftige Grundausrichtung ihrer Politik weder den Interessen der Bürgerinnen und Bürger noch den Herausforderungen der Globalisierung entspricht.
Die Bürgerinnen und Bürger in allen Mitgliedstaaten der EU und auch darüber hinaus wollen ein friedliches, soziales und demokratisches Europa. Das ist auch Ziel der Politik meiner Partei DIE LINKE und der Partei der Europäischen Linken.
Im Vertragsentwurf steht aber, wie schon in der abgelehnten Verfassung, dass die Mitgliedstaaten auf den schrittweisen Ausbau ihrer militärischen Kapazitäten verpflichtet werden. Das heißt im Klartext Aufrüstung! Jeder weiß, das kostet viel Geld.
Und wenn man sich die dazu vorgesehenen Maßnahmen im Vertragsentwurf ansieht, die von der so genannten Verteidigungsagentur initiiert und überwacht werden sollen, weiß man: Das wird sehr viel Geld kosten.
Und Geld, das für Rüstung ausgegeben wird, steht weder für Bildung noch für soziale oder ökologische Zwecke zur Verfügung. Und es fehlt auch zur zivilen Konfliktbewältigung. Im Bundeshaushalt für 2008, der vom Bundestag gerade verabschiedet wurde, ist der Rüstungshaushalt mit knapp 30 Milliarden Euro der drittgrößte. Im Vergleich: Der Haushalt der Gesundheitsministerin beträgt 3 Milliarden Euro. Gesundheit aber ist für die Bürgerinnen und Bürger existentiell.
Das heißt, die Regierenden haben sich bei ihrer Grundsatzentscheidung für die Rüstungskonzerne und gegen die Bürgerinnen und Bürger entschieden. Sicherheit wird im neuen EU-Vertrag zunehmend unter militärischen Aspekten gesehen. Das betrifft die territoriale Sicherheit der Union und der Mitgliedstaaten ebenso wie beispielsweise Energiesicherheit. Wir wissen spätestens seit Afghanistan: Militäreinsätze im Ausland kehren in Form von Terroranschlägen in die beteiligten Staaten zurück. Sie machen Europa nicht sicherer.
Mit dieser Sicherheitsstrategie, dem so genannten "Kampf gegen den Terror" werden zunehmend Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger in der EU eingeschränkt. Damit wird der demokratische Charakter der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten untergraben.
Die Militarisierung der EU erhält mit diesem Vertragsentwurf ihre rechtlichen Grundlagen. Sie ist folglich nicht nur gegen das friedliche Europa, sondern auch gegen das soziale und demokratische Europa gerichtet und steht damit im krassen Gegensatz zu den Interessen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger. Hinzu kommt, dass die Militarisierung der EU gegen den Grundkonsens verstößt.
Der Grundkonsens war bekanntlich, dass die großen Rüstungsproduzenten und Kriegsgegner zweier Weltkriege in diese Gemeinschaft eingebunden werden. Ihre Rüstungsproduktion sollte kontrollierbar werden, Jahrhunderte lange Feindschaft sich in Zusammenarbeit verwandeln und dadurch der Frieden in Europa gesichert werden.
Durch die im Vertragsentwurf verankerte "ständige strukturierte Zusammenarbeit" im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird das Gegenteil getan.
Sie führt zu einem Kerneuropa derjenigen Staaten, die materiell und finanziell in der Lage sind, den hohen Auflagen der Rüstungsagentur (die den unzutreffenden Namen Verteidigungsagentur trägt) nachzukommen. Im Gegensatz zur verst@¤rkten Zusammenarbeit in anderen Bereichen der EU, die allen Mitgliedstaaten, die es wünschen, offen steht, bleiben die Staaten, die militärisch und finanziell nicht mithalten können, außen vor. Zum Kern werden folglich die ganz großen Mitgliedstaaten gehören, die dann allein die Richtung und den Grad der Militarisierung vorgeben, und nebenbei unliebsame Konkurrenz beim Rüstungsexport fernhalten. Die Bürgerinnen und Bürger in ihren Ländern werden dafür zur Kasse gebeten, obwohl diese die Militarisierung ablehnen. Hier wartet man auch nicht die Ratifizierung des Vertrages ab, sondern arbeitet schon nach dessen Grundsätzen. Allein am vergangenen Mittwoch hat die Kommission über eine Strategie für eine stärkere und wettbewerbsfähigere Verteidigungsindustrie über einen Richtlinienvorschlag für die öffentliche Beschaffung von Rüstungsgütern und Sicherheitsleistungen und einen Richtlinienvorschlag für eine Vereinfachung des Transfers von Rüstungsgütern entschieden.
Die Rüstungsagentur arbeitet bereits – auch ohne ratifizierten Vertrag.
Es wird Sie nicht überraschen, wenn ich als Parteivorsitzender der LINKEN erkläre, dass meine Partei die Militarisierung der Europäischen Union, die mit dem Vertrag von Lissabon rechtlich festgeschrieben wird, ablehnt.
Allein diese Grundausrichtung der EU-Politik zwingt uns, NEIN zum Vertrag von Lissabon zu sagen, obwohl wir durchaus auch Positives im Vertrag gefunden haben.
Ich möchte es hier noch einmal klar und deutlich sagen, damit es keiner missversteht: DIE LINKE ist eine pro-europäische Partei. Wir sagen JA zur europäischen Integration und zur Europäischen Union. Aber wir sagen NEIN zur Militarisierung der EU, zu ihrer neoliberalen Grundausrichtung und zur Aushöhlung der demokratischen Rechte. Wir wollen eine Europäische Union, die eine Politik im Interesse ihrer Bürgerinnen und Bürger macht. Das aber ist nur möglich, wenn die Bürgerinnen und Bürger die EU und Europa selbst gestalten und über die Entwicklungsrichtung entscheiden. Deshalb fordert DIE LINKE, dass grundlegende Entscheidungen in der Europapolitik durch die Bürgerinnen und Bürger zu legitimieren sind. Wie Sie wissen ist aber - mit Ausnahme Irlands – in keinem weiteren EU-Mitgliedstaat ein Referendum vorgesehen. Das ist ein unhaltbarer Zustand! Deshalb hat die Partei der Europäischen Linken eine Unterschriftenkampagne beschlossen, mit der in allen EU-Mitgliedsländern Unterschriften für Referenden zum EU-Reformvertrag gesammelt werden.
Insgesamt sind mindestens 1 Million Unterschriften von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern für eine Bürgerinitiative notwendig. Die Europäische Linke hat rund 400.000 Mitglieder. Wenn jedes Mitglied ein oder zwei Unterschriften sammelt, dann können wir es schaffen.
DIE LINKE startet hier und heute ihre Unterschriftensammlung für die Durchführung einer Volksabstimmung in Deutschland.
Da in Deutschland im Gegensatz zu den meisten EU-Mitgliedstaaten die verfassungsrechtlichen Grundlagen für ein Referendum fehlen, hat unsere Fraktion im Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, der heute in erster Lesung behandelt wird. Mit diesem können die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für Referenden zu EU-Grundsatzentscheidungen, wie es EU-Verträge sind, geschaffen werden. Wir erhoffen uns von dieser Kampagne zugleich eine intensive europapolitische Debatte, nicht nur unter Diplomaten, sondern in der breiten Öffentlichkeit.