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NATO 2014 - Ein Kriegsbündnis vor seinem Gipfeltreffen
Überlegungen von Tobias Pflüger, stellvertretender Vorsitzender der LINKEN
Der NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat die neue Linie der NATO am 14. Juni 2014 gegenüber der spanischen Zeitung "El Pais" auf den Punkt gebracht: Es sei "deutlich, dass Russland uns als seinen Feind ansieht." Diese Feindwahrnehmung untermauert die NATO derzeit auf allen Ebenen. Der Ukraine-Konflikt ist dazu willkommener Anlass. Es werden verstärkt Manöver an den Grenzen zu Russland abgehalten. Gleichzeitig ruft der NATO-Generalsekretär dazu auf, die Militärausgaben zu erhöhen. Die NATO befindet sich auf Aufrüstungs- und Kriegskurs. Rasmussen meinte, die NATO-Minister seien sich einig, "dass es mehr Patrouillen auf See und in der Luft geben müsse sowie mehr Manöver und Ausbildung". Und all dies "von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer und zum Mittelmeer". Die schnelle Eingreiftruppe "Nato Response Force" (NRF) solle "rascher einsetzbar sein", die Aufklärung müsse "verbessert werden und Militärmaterial sowie Versorgungsgüter" müssten "für den Fall des Falles bereitgehalten werden". Dazu gehöre "auch das Vorbereiten möglicher Stützpunkte." So heißt es in einem Bericht über das Brüsseler Vorbereitungstreffen der NATO-Militärminister in Vorbereitung auf den NATO-Gipfel im September.
Mehr Manöver - mehr Kriegsübungen
Die Regierungen der östlichen NATO-Staaten, allen voran die der baltischen Staaten, fordern eine langfristige Stationierung von NATO-Truppen an den Grenzen zu Russland. Die deutsche Ministerin Ursula von der Leyen ist da nicht abgeneigt. Sie forderte schon im März: "Jetzt ist für die Bündnispartner an den Außengrenzen wichtig, dass die Nato Präsenz zeigt." Kurze Zeit später wurde die Stationierung von sechs Eurofightern der Bundeswehr zugesagt. Ab September werden sie aus Lagerlechfeld kommend in den baltischen Staaten "Patrouille fliegen". Der viermonatige Einsatz sei eine "Antwort der Nato auf die Krise in der Ukraine und die Verstärkung der russischen Truppen in der Grenzregion." Da nach Angaben der NATO derzeit keine "permanente Stationierung von Nato-Kräften in Osteuropa beabsichtigt ist", soll es "längere und größere Manöver und regelmäßig multinationale Trainingsmaßnahmen mit rotierender Beteiligung im Osten geben. Außerdem soll die Aufklärung durch Flugzeuge und Schiffe verbessert werden."
Mitte Mai 2014 berichtete darüber hinaus der Spiegel über ein internes NATO-Papier, in dem Russland mehr oder minder offen als Gegner beschrieben wird: "‘Russlands Fähigkeit und Absicht, ohne große Vorwarnung bedeutsame Militäraktionen zu unternehmen, stellt eine weitreichende Bedrohung für den Erhalt von Sicherheit und Stabilität in der Euro-Atlantischen Zone dar‘, heißt es demnach in einem Entwurf des Nato-Verteidigungsplanungs-Ausschusses. ‚Russland ist fähig, kurzfristig und an beliebigem Ort eine militärische Bedrohung von lokaler oder regionaler Größe aufzubauen‘, so der vorläufige Bericht weiter."
Die USA haben Anfang Juni 2014 bereits eine "European Reassurance Initiative" im Gesamtumfang von bis zu 1. Mrd. Dollar ins Leben gerufen, um "Alliierte und Partner der NATO" zu unterstützen. Zu den hiervon finanzierten Maßnahmen sollen gehören: Verstärktes Training und größere Präsenz vor allem in Osteuropa; Entsendung von "US-Planern" nach Osteuropa; Ausbau vorwärtsstationierten Materials in Osteuropa zur Verkürzung von Reaktionszeiten; höhere Beteiligung der US Navy im NATO-Rahmen; und der Ausbau der Kapazitäten von "Partnern", damit sie besser im Einklang mit der NATO operieren können.
Wie das konkret aussehen kann, hat die NATO Anfang Juli 2014 mit ihrem Manöver "Brise 2014″ im Schwarzen Meer gezeigt. An dem Seemanöver waren Kriegsschiffe aus der Türkei, den USA, Großbritannien, Italien, Griechenland, Bulgarien und Rumänien beteiligt. Die NATO gibt offen zu, dass das lange geplante Manöver "im Lichte der aktuellen Ereignisse umso bedeutsamer geworden" sei. Dem Neuen Deutschland wurde auf Nachfrage darüber hinaus bestätigt, dass sich auch die Bundeswehr an dem NATO-Manöver "Rapid Trident" beteiligen wird, das vom 11. bis zum 28. September 2014 im Westen der Ukraine stattfinden soll. Teilnehmen werden nach Auskunft 16 Länder mit zusammen 1300 Soldaten. Doch es bleibt nicht bei NATO-Manövern.
Ausstattung der Ukraine - Aufrüstung der NATO
Die Ukraine wird von den NATO- und EU-Staaten mit "Militärtechnik" und Waffen ausgestattet. Dazu war vom damaligen Außenminister Andrej Deschtschiza im März eine Bedarfsliste vorgelegt worden. Doch es sollen vor allem die NATO-Mitgliedsstaaten aufrüsten. Zum kommenden NATO-Gipfel, der am 4. und 5. September 2014 in Newport in Wales stattfindet, kündigte der NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen an, dass bei diesem Treffen die Erhöhung der Militärausgaben in allen NATO-Staaten "ein wichtiger [Tagesordnungs-] Punkt" sein würde. Rasmussen wörtlich: "Ich erwarte, dass beim Gipfel Entscheidungen getroffen werden, dass es Selbstverpflichtungen beim Gipfel geben wird."
Im bereits erwähnten und im Spiegel zitierten Papier des Nato-Verteidigungsplanungs-Ausschusses wird beklagt, das Bündnis hätte den falschen Schluss gezogen, "dass jene Fähigkeiten reduziert werden könnten, die dazu benötigt werden, in konventionellen, großangelegten, hochintensiven Konflikten in Europa zu kämpfen". In einigen Fällen seien "ganze Fähigkeitsbereiche aufgegeben oder umfangreich reduziert worden". Einer Rückkehr zum Rüstungswettlauf des Kalten Krieges scheinen auch deutsche Politiker nicht abgeneigt zu sein. So beklagt etwa Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, ganz im Sinne der NATO: "Wir müssen darüber nachdenken, ob das unkontrollierte Absenken der Panzerflotte innerhalb der Nato richtig war."
Interessant dabei: Die Mitgliedsstaaten sollen zwei Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für Militär und Rüstung ausgeben - Deutschland liegt bei 1,3 Prozent. Polen, Lettland, Litauen und Rumänien hätten - so der NATO-Generalsekretär - bereits politische Entscheidungen getroffen, um das Ziel von zwei Prozent zu erreichen. "Alle Mitglieder müssen ihre Prämien zahlen. Und die Prämien sind gerade gestiegen." Doch für was soll das neue Geld ausgegeben werden?
Ausbau der schnellen Eingreiftruppe der NATO-Armee
Unter anderem soll - das sagt der militärische Oberbefehlshaber der NATO, der US-General Philip Breedlove - "die Reaktionsfähigkeit und die Bereitschaft der Nato-Truppen" erhöht werden. "Es kann sein, dass wir von einer Reaktionsfähigkeit von Tagen anstatt von Wochen oder Monaten reden müssen". Eine Stationierung im Osten der NATO wird angedacht, um - so wörtlich - "im Ernstfall schnell genug antworten können." Weiter: "Wir müssen überlegen, ob wir Kräfte im Osten haben wollen". Zentral ist aber der Ausbau der schnellen Eingreiftruppe der NATO (Nato Response Force) von derzeit rund 25.000 Mann, die als Stand-By-Truppe jahresweise rotierend aus verschiedenen Nato-Länder zusammengesetzt ist. Breedlove: "Wir brauchen eine Eingreiftruppe, die sehr reaktionsfähig ist. Vielleicht muss nicht die gesamte Eingreiftruppe darüber verfügen, aber einige Teile sollten eine sehr hohe Bereitschaft und Reaktionsfähigkeit haben."
Offen: NATO-Beitritt der Ukraine und Georgiens
2008 hatte die NATO noch einen Beitritt Georgien und der Ukraine versprochen. Zumindest für die Ukraine ist das in weiterer Ferne. Hier wird nun mit dem EU-Assoziationsabkommen der Weg der Annäherung - nicht der Mitgliedschaft (!) - an die EU gegangen. Wobei dieses Abkommen ausdrücklich auch eine militärische Zusammenarbeit vorsieht. Mit dem "Membership Action Plan" werden neue Mitglieder auf den Beitritt zur NATO vorbereitet. Georgien ist da eifrig dabei. Und nun soll eine enge Kooperation Georgiens mit der NATO vereinbart werden. Es geht um ein ganzes Maßnahmenpaket. Der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Karl A. Lamers von der CDU berichtet von einer Verbesserung der "Interoperabilität der georgischen Streitkräfte mit der NATO", einem Ausbau des NATO-Verbindungsbüros in Tiflis und einem gesonderten Gremium zwischen Georgien und der NATO. Auch soll Georgien mit neuen NATO-kompatiblen Waffen ausgerüstet werden.
Auch die Heranführung, möglicherweise sogar die Aufnahme weiterer Länder der Region wird augenscheinlich ernsthaft erwogen. So fasste der Spiegel Anfang April den Kerngehalt eines weiteren vertraulichen NATO-Dokuments folgendermaßen zusammen: "Die Nato öffnet sich noch stärker gen Osteuropa. Ein vertrauliches Papier sieht Armeeübungen mit Staaten wie Moldau oder Armenien vor. Am Ende könnte sogar der Beitritt zu dem Verteidigungsbündnis stehen - ein klares Signal an Moskau."
Probleme: Afghanistan - das Debakel der NATO
Offiziell soll der NATO-Einsatz ISAF in Afghanistan 2014 - also in diesem Jahr - beendet werden. Die zwischendurch mal weit über 100.000 Soldaten sollen offiziell abgezogen werden. Nach 13 Jahren Krieg, so die NATO, sei alles besser in Afghanistan. Neben ungezählten afghanischen Zivilisten - darunter die Opfer von Kunduz - sind in Afghanistan 3500 Nato-Soldaten - darunter 54 Bundeswehrsoldaten - ums Leben gekommen. Zehntausende der Soldaten sind traumatisiert. 900 Milliarden Dollar hat der Afghanistan-Einsatz gekostet, der wohl kostspieligste "asymmetrische Krieg der Neuzeit". Interessant: Selbst ein Bundesminister - der Entwicklungshilfeminister Gerd Müller - beklagt das krasse "Missverhältnis zwischen militärischen Ausgaben und Aufwendungen für einen zivilen Wiederaufbau". Die Sicherheitslage in Afghanistan ist desolat. Dazu kommt, der Ausgang der Präsidentschaftswahlen ist unklar. Es gibt offen Streit, wer gewonnen hat. Die NATO und die Bundeswehr werden Soldaten in Afghanistan lassen - beendet ist das Debakel nicht.
Bundeswehr als führende NATO-Armee
Deutschland war (und ist) als drittgrößter Truppensteller maßgeblich am Afghanistankrieg beteiligt. Mehr noch: In diesem Krieg ist die Bundeswehr "erwachsen" geworden, sie hat sich als kriegsführungsfähig und -willig erwiesen und somit für weitere Aufgaben empfohlen, wie Martin Zapfe von der "Eidgenössischen Hochschule Zürich" konstatiert: "Seit dem Ende der territorialen Bedrohung der Bundesrepublik und der Bündnisgebiete richtete sich die Bundeswehr Schritt für Schritt auf Auslandseinsätze aus. In den 1990er-Jahren waren dies primär die Operationen auf dem Balkan, gipfelnd im Luftkrieg um den Kosovo, an dem Bundeswehrflugzeuge massgeblich beteiligt waren. Nach 2001 standen die Operationen in Afghanistan im Mittelpunkt. Die ISAF-Mission am Hindukusch stellt nicht nur den längsten Einsatz der Bundeswehr dar; sie sah auch die intensivsten Gefechte deutscher Streitkräfte seit dem Zweiten Weltkrieg. Kurz gefasst: In Afghanistan hat die Bundeswehr das Kämpfen gelernt."
Die Bundeswehr spielt ganz generell innerhalb der NATO eine führende Rolle: US-General Philip Breedlove äußerte sich lobend über Deutschland. Die Bundeswehr habe sich "großartig" an den Nato-Operationen im Kosovo und in Afghanistan beteiligt. Breedlove: "Dafür gebührt Deutschland unser Dank." Die Bundeswehr verfüge über ausgesprochen fähige Landtruppen: "Sie werden auch in Zukunft einen sehr wichtigen Teil der Nato-Bodentruppen bilden." Ob deutsche Truppen künftig auch in Osteuropa zum Einsatz gelangen, ließ der General offen.
Aktivitäten gegen den NATO-Gipfel
In dieser Situation wollen sich die Staats- und Regierungschefs am 4./5. September bei Newport in Wales zum NATO-Aufrüstungs-Gipfel treffen. Dagegen wird es natürlich internationalen Protest und Widerstand geben, mit einem Gegengipfel, mit einer Großdemonstration, einem Camp und Aktionen zivilen Ungehorsams vom 31. August bis 5. September. In Deutschland findet zur gleichen Zeit der Antikriegstag bzw. der Weltfriedenstag statt. Der NATO-Aufrüstungs-Gipfel wird dort Thema sein.