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Nato bringt Unsicherheit nach Europa
Rede von Gesine Lötzsch in der Debatte des Deutschen Bundestages zur Nato-Strategie der Bundesregierung
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie, Herr Bundestagspräsident Lammert, haben in der vergangenen Woche die Bundesregierung wegen der Missachtung des Deutschen Bundestages kritisiert, und ich finde, zu Recht.
(Beifall bei der LINKEN)
Ja, es ist ein Skandal, wie die Atomlobby die Regierung über den Tisch gezogen hat und wie dann die Regierung das Parlament über den Tisch zog.
(Birgit Homburger (FDP): Was hat das mit der NATO zu tun?)
Das Gleiche erleben wir mit dem neuen Strategischen Konzept der NATO und der Rüstungslobby. Genau das ist der Zusammenhang, Frau Kollegin Homburger.
(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Endlich sagt es mal einer!)
Das NATO-Konzept wird als geheime Verschlusssache behandelt. Wir als Volksvertreter sollen über ein Konzept beraten, das die meisten in diesem Saal gar nicht kennen. Nun könnte die Regierung sagen: Sie, meine Damen und Herren, müssen es auch nicht kennen; Sie brauchen auch nicht zu entscheiden. - Das ist, finde ich, der zweite Skandal.
(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Schon wieder! Ein Skandal nach dem anderen!)
Die Bundeswehr als Parlamentsarmee wird direkt in das neue NATO-Konzept einbezogen, und das Parlament soll das nicht entscheiden dürfen. Was hat das noch mit Demokratie zu tun?
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Dass Sie es nicht verstehen, ist mir schon klar!)
In dem Konzept, das den meisten nicht vorgelegt wurde, muss es nach Ansicht der Linken darum gehen, wann endlich die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abgezogen werden. Ich sage Ihnen ganz klar: Wir fordern den sofortigen Abzug dieser Atomwaffen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn wir nicht darüber entscheiden dürfen, dann ist das eine unglaubliche Bevormundung des Deutschen Bundestages. Das dürfen sich selbstbewusste Abgeordnete aus allen Fraktionen nicht bieten lassen.
(Beifall bei der LINKEN - Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Davon gibt es aber da drüben nicht so viele!)
Auch die Menschen, die durch die NATO geschützt werden sollen, werden nicht über das Strategische Konzept informiert und haben kein Mitspracherecht, wenn es um ihre eigene Sicherheit geht. Stellen Sie sich vor, ein Autoverkäufer würde auf die Frage eines Kunden nach der Sicherheit des Autos antworten: Das geht Sie gar nichts an. - Aus dem Geschäft würde wohl kaum etwas werden. Man muss den Eindruck haben, dass jeder Autoverkäufer dieser Republik mehr Verstand hat als die Sicherheitsexperten in dieser Regierung.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch die Autoverkäufer wissen, dass ein gutes Sicherheitskonzept eines der wichtigsten Verkaufsargumente ist.
Wenn die Bundesregierung nun der Meinung ist, dass sie dieses Konzept nicht öffentlich vorzulegen hat, dann scheint es dafür zwei Gründe zu geben: Erstens scheint die Regierung der Auffassung zu sein, dass Sicherheitspolitik außerhalb der demokratischen Verfahren steht. Dem stellen wir uns entgegen.
(Beifall bei der LINKEN - Volker Kauder (CDU/CSU): Wie macht sie das?)
Zweitens kann die Regierung der Auffassung sein, dass das NATO-Sicherheitskonzept nichts taugt.
(Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Genau! Wahrscheinlich beides!)
Wir als Linke wollen, dass alle Menschen ein angstfreies Leben führen können. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn das die wichtigste Prämisse von Sicherheitspolitik ist, dann müssen wir uns fragen, ob die NATO bisher ein angstfreies Leben garantieren konnte. Die Antwort ist eindeutig Nein.
(Beifall bei der LINKEN)
Der ewige Krieg gegen die Menschen in Afghanistan hat eine ganze Region destabilisiert und unzählige Opfer gefordert. Es ist bis zum heutigen Tag nicht klar, wie die NATO aus diesem Krieg wieder herauskommen will. Darum fordern wir auch hier und heute wieder den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
(Beifall bei der LINKEN)
Unsere Freiheit wird nicht am Hindukusch verteidigt, und die Bundeswehr ist auch nicht die größte Friedensbewegung, wie es einst der damalige Verteidigungsminister Struck behauptet hat.
Wir müssen feststellen, dass mit dem Kampf gegen den Terror die Welt nicht sicherer, sondern unsicherer geworden ist. Die NATO hat einen beträchtlichen Anteil daran, dass der Terror jetzt nach Europa kommt. Das ist eindeutig das Ergebnis einer falschen Politik. Wir haben immer gesagt, dass man Terror nicht mit Krieg bekämpfen kann, im Gegenteil: Es entsteht neuer Terror.
(Beifall bei der LINKEN)
In dieser Situation gibt uns die Bundesregierung und insbesondere Herr Minister de Maizière den guten Rat, wachsam zu sein. Ist das alles, was die Bundesregierung sicherheitspolitisch zu bieten hat? Die NATO und mehrere Bundesregierungen haben uns die Suppe eingebrockt, und jetzt sollen die Menschen diese Suppe auslöffeln. Das ist doch wirklich eine Zumutung.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir müssen uns fragen, ob diese Organisation, die für den Tod von unzähligen Zivilisten die Verantwortung trägt und das Leben von Millionen Menschen unsicherer gemacht hat, in der Lage ist, in Zukunft für unsere Sicherheit zu sorgen.
Wir als Linke sind der Auffassung, dass sich die NATO nicht reformieren lässt. Sie ist nicht in der Lage, auf die Fragen der Gegenwart und der Zukunft die richtigen Antworten zu geben.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, im Augenblick erleben wir einen bedrohlichen Währungs- und Handelskrieg zwischen den USA, China und Europa. Die USA befinden sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise und haben kein ökonomisches Konzept. Was geschähe denn, wenn die USA versuchen wollten, ihren ökonomischen Niedergang mit militärischen Mitteln zu stoppen? Hat die NATO darauf eine Antwort? Nein.
(Lachen bei der FDP)
Wir erleben die Zunahme von Naturkatastrophen als Folge des Klimawandels. Immer mehr Menschen sind auf der Flucht vor Hunger, Wassermangel, Überschwemmung und Bodenerosionen. Hat die NATO darauf eine Antwort? Nein. Was können wir mit einem Raketenschutzschirm über Europa anfangen, wenn die Bomben mit der Luftpost kommen? Hat die NATO darauf eine Antwort? Nein. Ich halte fest, dass die NATO mit den Menschheitsfragen des 21. Jahrhunderts komplett überfordert ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie gaukelt Sicherheit vor, bringt aber immer mehr Unsicherheit nach Europa.
Wenn nun der Kollege Verteidigungsminister zu Guttenberg sich hinstellt und erklärt, die NATO und die Bundeswehr sollen in Zukunft die Handelswege und die Rohstoffquellen sichern, steht er mit dieser Position nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Ihn scheint das nicht zu stören, uns stört es schon.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Wir sollten uns über eines im Klaren sein: Wenn es um den Welthandel geht, sind die wirklichen Bedrohungen doch ganz andere. China, Deutschland und Japan stehen als Exportstaaten international unter Kritik. Immer mehr Staaten wollen sich nicht länger mit den unausgeglichenen Handelsbilanzen abfinden. Die Kanzlerin hat vor dem G-20-Gipfel erklärt, dass sich die anderen Staaten mehr anstrengen müssen, um mehr exportieren zu können. Das ist ökonomischer Unsinn; das weiß doch jedes Kind. Wenn alle Staaten nur noch auf Export setzen würden, dann bräche der internationale Handel zusammen. Wenn wir also unsere Handelspolitik nicht freiwillig ändern, dann werden die anderen Staaten mit Protektionismus antworten, und unsere Exportstrategie wird wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Das können wir doch alle nicht wollen.
(Beifall bei der LINKEN)
Und hat die NATO darauf eine Antwort? Nein. Wir sehen, dass die NATO für fast alle Aufgaben ungeeignet ist, bis auf eine: Sie hält die Rüstungsindustrie am Laufen. Zwei Drittel der weltweiten Militärausgaben werden von NATO-Staaten getätigt. Allein für den unsinnigen Raketenabwehrschirm wurden schon jetzt 120 Milliarden Euro ausgegeben. Ich habe ebenso wie viele hier im Saal - ich hoffe, zumindest auf der linken Seite - bessere Ideen für die Verwendung von 120 Milliarden Euro: für Bildung, für Kultur, für Infrastruktur, für Zukunft und nicht für die Zerstörung der Zukunft.
(Beifall bei der LINKEN)
Abschließend noch einige Anmerkungen zu den vorliegenden Anträgen. Der Entschließungsantrag der SPD enthält einige Forderungen an das Strategische Konzept der NATO, die auch wir unterstützen können. Einen Punkt davon hebe ich hier besonders hervor: Die Kollegen der SPD fordern wie auch wir zu Recht, dass die Konvention über Landminen und Streumunition endlich von allen unterstützt werden soll und dass alle NATO-Mitglieder dieser Konvention beitreten müssen.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD))
Diese Streumunition und diese Landminen haben sehr viel Leid über die Menschheit gebracht. Gerade Kinder und Jugendliche werden ihrer Zukunft beraubt, wenn sie noch Jahre nach Kriegsende auf diese Landminen treten oder von Streumunition verletzt werden können. Dies sind so menschenverachtende Mittel, dass sie sofort verboten gehören.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, unsere Fraktion hat einen Entschließungsantrag eingebracht, der eine Abstimmung über das neue Strategische Konzept der NATO hier im Bundestag fordert. Meines Erachtens muss das eine Forderung aller Abgeordneten sein. Ansonsten, wenn wir diese Forderung nicht unterstützen, können wir unsere Rolle als Volksvertreter nicht ernst nehmen.
(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der FDP)
In einem zweiten Entschließungsantrag fassen wir einige unserer wichtigsten Forderungen zum neuen Strategischen Konzept der NATO zusammen. Drei davon nenne ich noch einmal: Erstens. Wir fordern den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Wir fordern den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland und weltweit endlich konkrete nukleare Abrüstungsschritte und nicht nur schöne Deklarationen.
(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)
Drittens. Wir wollen, dass sich die NATO nicht an dem unsinnigen Raketenabwehrschild beteiligt.
Mit diesen Forderungen vertrete ich, im Gegensatz zu den Zwischenrufern von der rechten Seite, die Meinung der Mehrheit der Menschen in diesem Land.
(Widerspruch bei der FDP)
Wenn Sie unseren Entschließungsanträgen zustimmen, dann sind Sie auf der richtigen Seite; wenn Sie dagegen stimmen, dann wird in der Öffentlichkeit klar, dass für Sie nicht die Sicherheitsinteressen der Menschen wichtig sind, sondern vor allen Dingen die üppigen Profite der Rüstungsindustrie. Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der FDP: Welche Geschichtsvergessenheit!)