Eine solidarische Einwanderungsgesellschaft
Einwanderung ist keine Bedrohung, sondern Alltag für Viele, Chance für unsere Gesellschaft und Recht jedes einzelnen Menschen. Unser Land ist Heimat für Menschen aus verschiedensten Orten, mit unterschiedlichen Geschichten und so vielfältig wie noch nie. Wir leben, lieben und arbeiten zusammen. Wir machen nicht mit, wenn Beschäftigte und Rentner*innen in Deutschland ausgespielt werden gegen Menschen, die vor Armut, Unterdrückung und Krieg fliehen. Würde der Reichtum gerechter verteilt, gäbe es genug für gutes Leben, Wohnen und Arbeiten – für alle.
Die Wirtschaft basiert vielfach auf der Ausbeutung und schlechten Arbeitsbedingungen von Migrant*innen mit oft prekärem Aufenthaltsstatus und teilweise eingeschränkter gesundheitlicher Versorgung, z.B. in Schlachthöfen, auf Spargelfeldern und in der Pflege. Menschen mit Migrationsgeschichte sind nach Generationen noch häufiger von Armut, Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit betroffen. Ihre Kinder werden im Bildungssystem systematisch benachteiligt, wer einen migrantisch klingenden Nachnamen trägt, hat häufig Probleme bei der Wohnungs- und Jobsuche. Rechtliche und soziale Diskriminierung müssen abgebaut werden.
Doch die Bundesregierung setzt stattdessen weiter auf Abschreckung, Spaltung und Abschottung. Das Ergebnis: Wachsender Rassismus in Gesellschaft und staatlichen Institutionen, wie der Polizei, wo extrem rechte Netzwerke (Stichwort NSU 2.0) ihr Unwesen treiben. Und immer wieder rechter Terror.
Unsere Agenda gegen Rassismus: soziale Offensive und gleiche Rechte für alle
Um Rassismus und Diskriminierung zu überwinden, braucht es eine gerechte Verteilung von Rechten, Reichtum und Ressourcen. Integration ist keine Bringschuld der einzelnen, sondern Merkmal einer Gesellschaft, ein beidseitiger Prozess. Demokratie setzt Teilhabe im Alltag voraus. Wir wollen, dass alle Menschen, die hier leben, im Rahmen einer Teilhabe-Agenda rechtlich, politisch und sozial gleichgestellt werden. Zusammen mit zahlreichen Bewegungen und antirassistischen Initiativen, wie Seebrücke und Blacklivesmatter, stehen wir #unteilbar gegen unsoziale Spaltung und rechte Hetze. Antirassismus ist für uns viel mehr als Symbolpolitik. Es braucht Investitionen in Zusammenhalt und Integration statt in Ausgrenzung und Abschottung. Unser Ziel ist ein grundlegender Politikwechsel – in Richtung globale Bewegungsfreiheit, gleiche Rechte für alle und einer solidarischen Einwanderungsgesellschaft. DIE LINKE steht für offene Grenzen für alle Menschen in einem solidarischen Europa, das sich nicht abschottet. Wir streiten für sichere Fluchtwege und eine Gesellschaft, die Menschenrechte verwirklicht – statt Mauern zu bauen und Grundrechte der aktuellen Haushalts- und Stimmungslage anzupassen.
- Es braucht Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse unabhängig von Beschäftigungsdauer und Arbeitgeber sowie flächendeckende Kontrollen zur Durchsetzung des Mindestlohns von 13 Euro für alle Menschen (vgl. Kapitel Arbeit). Gegen einen eventuellen Fachkräftemangel braucht es keine gezielte Abwerbung von qualifizierten Menschen im Ausland, sondern anständige Ausbildung, Arbeitsbedingungen und Bezahlungen für alle Menschen hierzulande.
- Es braucht eine bessere Anerkennung der Qualifikationen und Abschlüsse von Nicht-EU-Bürgerinnen und Nicht-EU-Bürgern, damit diese ihre Berufe weiter ausüben können.
- Den Einschränkungen sozialer Sicherheiten für Migrant*innen aus EU-Ländern und anderen Staaten durch die Bundesregierung stellen wir uns entgegen. Gesundheitsschutz darf nicht eingeschränkt werden: Es braucht einen bundesweiten Härtefallfonds und einen anonymen Krankenschein für die Behandlung von Menschen ohne Absicherung, Ausnahmen von der Versicherungspflicht wollen wir aufheben (vgl. Kapitel Gesundheit).
- Wir wollen das aktive und passive Wahlrecht auf allen Ebenen für alle langfristig in Deutschland lebende Migrant*innen, damit sie gleichberechtigt die Gesellschaft mitgestalten können. Alle hier geborenen Kinder und Jugendlichen, deren Eltern dauerhaft im Land wohnen, sollen die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten und ein Recht auf Mehrstaatlichkeit haben – ohne die Staatsbürgerschaft der Eltern ablegen zu müssen. Migrant*innen sollen nach fünf Jahren Aufenthalt in der Bundesrepublik einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung haben.
- Wir fordern Legalisierungsmöglichkeiten für Menschen ohne Aufenthaltsstatus und effektive Bleiberechtsregelungen für Menschen, die in einem unsicheren Aufenthaltsstatus oder mit Kettenduldungen leben müssen. Für sie wollen wir einen sicheren Zugang zu Bildung, Gesundheit und arbeitsrechtlichem Schutz vor Ausbeutung schaffen.
- Abschiebungen, insbesondere in Krieg, Verfolgung und Elend oder als Form der Doppelbestrafung, lehnen wir ab – im Gegensatz zu allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien. Wir haben hier immer dagegen gestimmt und werden das auch in Zukunft tun.
- Antirassismus ins Gesetz: Es braucht, wie in Thüringen, eine klare Arbeitsdefinition von institutionellem und strukturellem Rassismus. Zudem fordern wir eine grundlegende Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und ein Verbandsklagerecht. Es braucht einen Diskriminierungsschutz, der auch staatliches Handeln einbezieht. Wir fordern ein Bundesantidiskriminierungsgesetz (BADG) zum Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Stellen. Es braucht einen Antirassismus-Beauftragten mit echten Befugnissen.
- Rassismus und Korpsgeist in den Behörden müssen endlich angegangen werden! Dafür braucht es eine interkulturelle Öffnung der gesamten Verwaltung und eine Polizeireform. (vgl. Kapitel Sicherheit für alle).
- Wir fordern ein humanitäres Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt ohne festen Aufenthaltsstatus. Opfer von Rassismus und ihre Angehörige müssen besser unterstützt werden. Es braucht eine Ausweitung der Entschädigungsleistungen für Betroffene von rassistisch und antisemitisch motivierten Attacken.
- Migrant*innen sind kein Sicherheitsproblem — Schluss mit dem institutionalisierten Misstrauen! Die Zuständigkeit für Migration und Integration muss dem Bundesinnenministerium entzogen werden. Wir fordern ein Bundesministerium für Migration und Integration, ähnlich dem Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz oder der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.
- Zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Antiziganismus, religiösen Fundamentalismus und für mehr Demokratie engagieren sowie Flüchtlingsräte, migrantische Verbände, selbstverwaltete Beratungsangebote und die Selbstorganisation von Migrant*innen wollen wir durch ein Demokratiefördergesetz stärker und endlich dauerhaft fördern (vgl Kap. Gegen rechte Gewalt).
- Antirassistische Fan-Initiativen sollen mehr finanzielle Unterstützung erhalten. Trainer*innen, Betreuer*innen und ehrenamtliche Verantwortliche in Vereinen und Fanprojekten, die Integrationsarbeit leisten, müssen stärker unterstützt werden.
Es braucht deutlich mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und den sozialen Zusammenhalt, d.h. eine bessere Ausstattung, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Personal in Schulen, Kitas, Verwaltung, Jugend- und Kulturzentren (vgl. Kapitel Investitionen). Niedrigschwellige Angebote, insbesondere für Migrant*innen und geflüchtete Frauen sowie queere Geflüchtete und Migrant*innen, wollen wir ausbauen und sie unterstützen.
- Wir wollen einen »Fonds für Willkommenskommunen«, der Geflüchteten Bewegungsfreiheit sichert und aufnahmebereiten Kommunen und solidarischen Städten hilft. Kommunen, die die Bedingungen für Willkommenskultur verbessern wollen, können damit Mittel für Versorgung und Integration von Geflüchteten beantragen. Diese Investitionsmittel können dann allgemein für die öffentliche Daseinsvorsorge genutzt werden.
- Wir werden ein Sofortprogramm auflegen, um zusätzliche Schulsozialarbeiter*innen und Lehrkräfte auszubilden und einzustellen, die Deutsch als Zweitsprache unterrichten. Die Schulpflicht muss für alle Kinder bundesweit und unabhängig vom Aufenthaltsstatus gelten, auch der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und Ganztagesplätze. Qualifikationen für die Berufsausbildung müssen unabhängig vom Alter angeboten werden. Bildungs- und Integrationsangebote wollen wir unabhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status gewähren.
- Geflüchtete wollen wir bundesweit dezentral und in Wohnungen unterbringen und ihnen flächendeckend kostenlose Sprachkurse anbieten. Statt diskriminierender Sach- wollen wir reguläre Geldleistungen auf Höhe der solidarischen Mindestsicherung für alle Menschen.
Menschlichkeit verteidigen: Menschen retten, Fluchtwege frei machen, Fluchtursachen bekämpfen
Deutsche Konzerne exportieren Waffen in die ganze Welt, aber Menschen, die vor diesen Waffen und den mit ihnen geführten Kriegen fliehen, sollen ausgesperrt werden. Viele flüchten, weil westliche Konzerne ihre Länder zerstören. Doch ihre Einreise nach Europa wird mit unmenschlichen Mitteln erschwert. Mehr als 20 000 Menschen sind in den vergangenen sieben Jahren auf dem Weg nach Europa gestorben, ertrunken im Mittelmeer, verdurstet in der Wüste. In den Lagern an den Grenzen, auf dem Boden der EU, gibt es unerträgliches Elend. Deutschland macht sich politisch abhängig von Diktatoren, die den Job der Flüchtlingsabwehr an den europäischen Außengrenzen übernehmen; im Innern macht die extreme Rechte mobil.
Dabei würde es anders gehen. Denn Platz und Ressourcen sind genug vorhanden. Würde der Reichtum gerechter verteilt, gäbe es genug für alle. Menschenleben und Würde dürfen nicht vom Pass oder Aufenthaltstiteln abhängen. Deswegen stehen wir auf gegen Abschottung und Abschiebungen, für das Recht zu gehen, zu kommen und zu bleiben. Und für eine Überwindung der wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten, die Ideologien der Ungleichheit wie Rassismus und Nationalismus immer wieder zu populären Waffen in der Konkurrenz um Ressourcen, Reichtum und Lebenschancen werden. Schluss damit! Statt uns gegeneinander ausspielen zu lassen, wollen wir gemeinsam für Gerechtigkeit eintreten: die Menschen zu retten, soziale Gerechtigkeit globalisieren und Fluchtursachen – nicht die Geflüchteten – tatsächlich bekämpfen.
- Schluss mit den Ausreden: Die Menschen retten! Die EU-Abschottungsagentur Frontex muss aufgelöst und durch ein ziviles europäisches Seenotrettungsprogramm ersetzt werden. Bestehende Instrumente zur Überwachung des Mittelmeers und der Außengrenzen wollen wir in den Dienst der Seenotrettung stellen. Die Kriminalisierung der zivilgesellschaftlichen Seenotrettung muss umgehend beendet werden. Alle europäischen "Hotspots", wie das Elendslager Moria und seine Nachfolger, müssen aufgelöst werden. Es braucht ein humanitäres Sofortprogramm zur Aufnahme der Menschen. Solange eine europäische Lösung nicht durchsetzbar ist, muss die Bundesregierung mit einer Koalition der Willigen vorangehen.
- Wir wollen legale und sichere Einreisemöglichkeiten in die EU. Das entzieht Schleppern die Geschäftsgrundlage. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die UN-Kinderrechtkonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention müssen eingehalten werden. Die UNO hat im Januar 2021 die Praxis der Zurückweisung an Europa Grenzen angeprangert und sieht das Asylrecht in Gefahr. Der Grundsatz der Nicht-Zurückweisung an den EU-Außengrenzen und auf hoher See muss ohne Einschränkung befolgt werden! Der Flüchtlings-Deal mit der Türkei und ähnliche Abkommen mit Milizen und Diktatoren in Staaten, wie Libyen, Ägypten, Sudan und Marokko, müssen aufgekündigt werden.
- Flucht ist kein Verbrechen! Der individuelle Zugang zu Asylverfahren und Rechtsschutz muss für Asylsuchende an den EU-Außengrenzen sichergestellt werden. Frauen, Kinder, religiöse und ethnische Minderheiten sowie Menschen mit Behinderung und queere Menschen müssen brauchen besonderen Schutz vor Gewalt, Elend und Ausbeutung. Schnellverfahren und Inhaftierungen von Schutzsuchenden (ob in sogenannten »Rückkehr-«, »Transit-«, »kontrollierten Zentren« oder »Hotspots«) lehnen wir ab.
- Asylrecht ausweiten und durchsetzen! Wir wollen einheitliche Schutzstandards auf hohem Niveau; die Abschiebung der Verantwortung auf andere Staaten mithilfe von Drittstaaten- oder Herkunftsländerregelungen wollen wir beenden. Das Dublin-System muss ein Ende haben. Verfolgung wegen sexueller Orientierung und von trans* und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI*) muss als Asylgrund anerkannt werden. Der Negativ-Wettbewerb durch abgesenkte Standards bei Unterbringung, Versorgung und Rechten gehört abgeschafft!
- Wir fordern eine flächendeckende unabhängige Asylverfahrensberatung durch Wohlfahrtsverbände und Vereine, die öffentlich finanziert sein muss; pauschale Asyl-Widerrufsprüfungen soll es nicht geben; die Qualität der Asylprüfung und internen Kontrolle muss deutlich verbessert werden, um die Vielzahl der rechtswidrigen und fehlerhaften Bescheide des BAMF wirksam zu reduzieren
- Es gibt keine "Wirtschaftsflüchtlinge" – niemand flieht freiwillig! Wir fordern die Ausweitung verbindlicher Flüchtlingsrechte auf Armuts-, Umwelt- und Klimaflüchtlinge sowie eine entsprechende humanitäre Visa-Vergabe. Es braucht umfassende Aufnahmekontingente über das Resettlement-Programm des UNHCR und die Aufhebung des Visumszwangs für Schutzsuchende.
- Die Bundesregierung muss endlich darauf drängen, dass die EU gegen Mitgliedsstaaten vorgeht, die ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen systematisch missachten. Für eine faire Verteilung von Geflüchteten wollen wir eine europäische Fluchtumlage: Alle Mitgliedsstaaten sollen entsprechend ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit Geflüchtete aufnehmen. Die Mitgliedstaaten, die überproportional viele Flüchtenden aufnehmen, sollen entsprechend große Ausgleichssummen erhalten.
- Das Recht auf Familiennachzug muss effektiv umgesetzt werden - auch für »subsidiär« Schutzberechtigte. Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen muss es ein Recht auf Nachzug der Geschwisterkinder geben.
- Wir fordern, dass die Kommunen selbst entscheiden dürfen, ob sie über die ihnen zugeteilten Kontingente hinaus weitere Geflüchtete aufnehmen. Auch kommunal verankerte Gremien sollen künftig Härtefallerlaubnisse anordnen können.
- Kein Mensch ist illegal! Das Recht auf Bewegungsfreiheit darf nicht vom Zufall des Geburtsortes oder der ökonomischen Verwertbarkeit abhängig sein. DIE LINKE setzt sich für eine umfassende Visa-Liberalisierung sowie ein offenes und solidarisches Einwanderungsrecht ein, das sich nicht mehr am Maßstab von Herkunft oder ökonomischer Verwertbarkeit orientiert.
Wer Fluchtursachen wirklich bekämpfen will, muss endlich die Verhältnisse verändern, die immer wieder zur Flucht zwingen und Hilfe notwendig machen. Statt weiter systematisch Fluchtursachen wie Waffen, Umwelt- und Klimazerstörung sowie Armut zu exportieren, wollen wir daher globale Ungerechtigkeiten überwinden, Demokratie und soziale Bewegungen von Unten unterstützen und Menschen in Not effektiv helfen (vgl. Kapitel Soziale Gerechtigkeit global).